Extravagant

Der STO, die Extremversion des Lamborghini Huracán, trumpft mit visuellen und auditiven Highlights auf. Er beweist aber, dass er mehr hat als nur eine grosse Klappe.

Lamborghinis Rolle ist es, an die Grenzen zu gehen und das Exzentrische, das Wahnsinnige auszuspielen. Dies beginnt bei der Optik, deren Extravaganz die absurden Leistungen widerspiegelt. Ein knalliges Design, das dem Countach – und weiteren Supersportwagen aus Sant’Agata Bolognese – einen Platz an den Wänden der Zimmer zahlreicher Teenager einbrachte.

Seit ein paar Jahrzehnten hat sich der Stil der Lambos allerdings beruhigt. Natürlich ist alles relativ: Dank ihrer spektakulären Proportionen und ihrer scharfen Kanten behalten die Lamborghini der Audi-Ära eine verblüffende Bühnenpräsenz. Die Italiener haben jedoch dieses unverwechselbare Quäntchen an Verrücktheit verloren. Hier kommt der Huracán STO mit Karacho ins Spiel, um frischen Wind in zu angepasste Strukturen zu bringen. Der Baby-­Lambo hatte – bereits in der Basisversion – mit seinem abschätzigen Blick das Gesicht eines Rotzbengels. Und in dieser Version Super Trofeo Omologata ist er gar einschüchternd. Diesen Namen hat Lamborghini den aus dem Rennsport abgeleiteten Versionen verliehen. 

Spektakuläre Wandlung

Die vom Huracán durchlaufene Verwandlung hin zum STO ist spektakulär. So wurden zwei riesige Lufteinlässe in die vordere Haube geschnitten, um die heisse Luft der Kühler abzuleiten. Mehr noch als diese beiden Löcher zieht der Einlass auf dem Dach den Blick auf sich. Ja, dieser periskop-ähnliche Lufteinlass, der den 470 kW (640 PS) starken V10 mit Sauerstoff füttert, ist in etwa so diskret wie die Kopfbedeckungen, die Damen jeweils bei Reitveranstaltungen tragen.

Der Stier ergänzte die zahlreichen Exzentrizitäten mit einer Haifischflosse, die an die Prototypen der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) erinnert. Dieses Karbonelement leitet die Luft bis zum riesigen Heckspoiler und verhindert so Turbulenzen. Dadurch liegt die Hinterachse satter am Boden, das Auto wird in Kurven und beim Bremsen stabiler. Für noch mehr Stabilität lässt sich der Heckspoiler (manuell) verstellen, sodass der Anpressdruck um 13 Prozent erhöht werden kann. So drücken also 420 Kilogramm den Stier bei 280 km/h zu Boden! 

Dennoch wäre die Transformation nicht komplett, hätte der Huracán STO nicht noch unnötiges Gewicht im Werk abgelegt. Dazu hat Lamborghini auf ein altbewährtes Rezept zurückgegriffen: Karbon. Dank des grosszügigen Einsatzes entledigt sich der STO im Vergleich zum Performante ganzer 43 Kilogramm. Eine wenig spektakuläre Erleichterung, aber mit 1339 Kilogramm Trockengewicht ist der Baby-Lambo der Leichteste der Palette. Und wiegt auch nur ein bisschen mehr als ein McLaren 600LT (Leergewicht 1365 Kilogramm). Im Innen­raum zeigt sich aber, dass Lamborghini die Kilogramm-Jagd nicht zu weit treiben wollte, das Cockpit ist alles andere als spärlich ausgestattet. An den Türverkleidungen, Luftdüsen und Schalensitzen ist Karbon zu finden. Aber auch Alcantara ist reichlich vertreten. 

Die Fahrerposition ist zwar deutlich besser als bei seinem Cousin, dem Audi R8, doch der Huracán STO bleibt hinsichtlich Komfort und Feinheit weit hinter dem Deutschen zurück. Die Ergonomie ist unnötig kompliziert: Die meisten Funktionen sind in einem Touchscreen untergebracht, der nicht intuitiv zu bedienen ist. Unter den ergonomischen Exzentrizitäten gibt es jedoch eine, die das Kind in einem weckt und die Aufregung enorm steigert: der Startknopf, der sich hinter einer kleinen Klappe verbirgt.

Er verzeiht nichts

Wir drücken den Knopf. Der Anlasser stösst ein langes Klagelied aus, und uns läuft ein Schauer über den Rücken. Der 5.2-Liter-V10 erwacht mit einem dumpfen und lauten – sehr lauten – Grollen. Die Aufregung ist gross, doch wir lassen die 640 Pferde nicht sofort auf die Strasse los. Wir machen uns erst einmal auf einer abgesperrten Piste mit dem Monster vertraut. Erste Feststellung: Im Vergleich zum Huracán Evo verzeiht der STO nichts. Übertreibt man es ein wenig mit dem Gas oder lenkt eine Zehntelsekunde zu spät ein, ist der Dreher gewiss. Doch hat man die Gebrauchsanweisung erst einmal verinnerlicht, werden sowohl die Drifts als auch das Lächeln auf dem Gesicht immer breiter. Vor allem aber geben diese Fahrten einen Einblick in die Hauptmerkmale des STO, nämlich seine extreme Reaktionsfähigkeit auf allen Ebenen – Gaspedal, Lenkung und Fahrwerk.

Wir überprüfen es wenig später auf schlechtem Strassenbelag und in engen Serpentinen.Der Huracán STO wirft sich beim kleinsten Lenkimpuls mit Elan in die engen Kurven. Ist der Italiener erst einmal in der Kurve, hält er unerbittlich an seinem Kurs fest wie ein hungriger Hund, der seinen Knochen nicht mehr loslässt. Die Verschmelzung von Fahrer und Maschine ist vollkommen, da der Stier seinem Matador den Strassenzustand gänzlich ungefiltert weitergibt. Und trotz dieses wütenden Charakters weiss der Huracán, wie er seinen Fahrer in Sicherheit wiegen kann: Die Stabilität des STO ist sowohl in den Kurven wie auch beim Bremsen verblüffend. Beim Abbremsen bei hoher Geschwindigkeit stemmt sich der Huracán STO in den Boden und bleibt perfekt auf der Linie, die Hinterachse zeigt keinerlei Tendenz zum Ausbrechen. Das Betätigen des Bremspedals ist – aufgrund der Karbon-Keramik-Bremsscheiben – im kalten Zustand etwas gewöhnungsbedürftig, aber sobald die Bremsbeläge die richtige Temperatur erreicht haben, vermitteln sie ein sehr natürliches Gefühl, und die Kraft ist perfekt dosierbar. 

Konzert der Mechanik

Die gute Nachricht ist, dass der V10 mit dem hervorragenden Fahrwerk mithalten kann. Die unmittelbare Reaktion auf das Gaspedal sowie die endlose Drehfreudigkeit erinnern uns daran, dass wir es hier mit einem Saugmotor zu tun haben. Der Schub ist schon bei niedrigen Drehzahlen voll da und erlebt einen Wutausbruch bei 3500 U/min, wenn die Klappen des Auspuffs den Zehnzylinder ungehindert ausblasen lassen. Die metallischen Klänge gehen in ein wütendes Bellen über, während der Körper in den Sitz gepresst wird und die Atmung für einen Moment lang aussetzt. Doch es bleibt keine Zeit, um Luft zu holen, der V10 setzt seinen irrsinnigen Ritt in einem ohrenbetäubenden Tohuwabohu fort. Bei 6500 U/min kommt es zur zweiten Ex­plo­sion, wenn das maximale Drehmoment von 565 Nm zuschlägt. Mit diesem zweiten Atemzug entfesselt der Motor noch einmal einen wilden und unerbittlichen Schwung bis in den roten Bereich bei 8500 U/min. Der Geräuschpegel ist an der Grenze des Erträglichen, aber das macht nichts: Wie ein Junkie drückt man aufs Pedal, wieder und wieder.

Klar, der STO ist für die Rennstrecke gebaut, und die Serpentinen einer Passstrasse und einige Kilometer Autobahn geben kein adäquates Bild ab. Und trotzdem erweist sich der Huracán STO als atemberaubend homogen, zumal die Harmonie zwischen Fahrwerk, Lenkung und Antrieb vollkommen ist. Diese fabelhafte Sensationsmaschine ist zweifellos der begehrenswerteste Lamborghini der aktuellen Modellpalette. Er verdient einen Ehrenplatz an den Wänden der Zimmer von jungen … und weniger jungen Menschen! 

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