Wir fassen uns kurz, müssen die Historie aber in Erinnerung rufen. Seit 45 Jahren und dem 100 Avant prägt Audi die Kombigattung. Erfunden hat Audi den Kombi nicht, in Europa wurde er in den 1950er-Jahren gross, in den USA früher. Auch für den Wandel vom Nutzfahrzeug zum Lifestyleobjekt war Audi nicht allein verantwortlich. Selbst die Nische der Powerkombis hat man nicht begründet. Da war BMW mit dem M5 Touring 1992 früher.
Was Audi zwei Jahre später bewirkte, war, die Begeisterung auf die Masse zu übertragen. Mit dem RS2 gelang Audi ein Coup wie seinerzeit mit dem Ur-Quattro. Folgerichtig also, dass 1999 als Nachfolger der RS4 vorgestellt wurde. Bis 2006 übrigens trugen ausschliesslich Kombis das RS-Label. Kommen wir endlich zum Punkt: Der neue RS4 verkörpert viel von dem, was einen RS ausmacht. 2017 lanciert und letztes Jahr einem Facelift unterzogen, ist er ein echter Sportwagen für die Familie. Bot der RS2 damals mehr Leistung als seine Limousinenkonkurrenten und gar als der Porsche 911, so begeistern im heutigen Kontext nicht mehr nur die absoluten Zahlen. Die 331 kW (450 PS) und 600 Nm, die der V6 erzeugt, sind imposant, aber nicht neu. Der Spurt von 0 auf 100 km/h gelingt dank Allrad unverändert in 4.1 Sekunden, gemessen haben wir auf nasser Fahrbahn 4.3 Sekunden. Die Leistung bleibt damit seit 2005 nahezu unverändert. Massiv zugenommen hat mit der neuen Generation und dem Umstieg vom V8-Sauger auf den V6-Biturbo das Drehmoment.
Das spürt man in jeder Lebenslage. Zwar wurde der Bereich mit maximaler Kraft zum Erreichen der Emissionsvorschriften auf 2000 bis 5000 U/min (zuvor 1900–5000 U/min) minimal geschrumpft, trotzdem reicht das sowohl in der Stadt locker, um niedertourig im Verkehr mitzuschwimmen, als auch über Land, um brachial aus der Kurve zu schiessen.
Das Tiptronic-Getriebe ist so abgestimmt, dass der RS4 im Comfort-Modus beim forcierten Tritt aufs Gaspedal in einem hohen Gang verweilt. Im Dynamic-Modus wiederum überzeugt der Wandler mit stimmigen Schaltzeitpunkten und dem wuchtigen Einlegen der acht Fahrstufen. Doch wie so oft ist am besten bedient, wer über die Schaltwippen selbst Hand anlegt. Ganz so knackig und faszinierend wie beispielsweise das ZF-Getriebe mit seinen vielen Einstellungsmöglichkeiten im BMW M3 Competition ist jenes im RS4 allerdings nicht.
Spürbare Verwandlung
Trotzdem punktet es mit einer ausgereiften Spreizung. Wer will, kommt ziemlich gemütlich und mit rund 9.5 l/100 km von A nach B – natürlich ist bei entsprechender Fahrweise auch das Doppelte möglich. Dabei agiert das Fahrwerk nicht gerade sanft, aber ausreichend komfortabel. Kurzen Stössen muss das optionale – ein Witz bei einem RS, nicht? – Sportfahrwerk Tribut zollen. Der Kombi schaukelt leicht, aber angenehm und schiebt beim Gasgeben in Kurven vorhersehbar über alle Räder. Klingt nicht gerade nach RS. Oder aber doch, weil in jüngster Vergangenheit manche RS-Modelle Ecken und Kanten vermissen liessen. Nicht so der RS4. Im Dynamic-Modus oder in den frei belegbaren RS-Modi geht der Kombi gänzlich anders zur Sache. Stehen die Einstellungen auf Attacke, wird die Lenkung straff und direkt, im Gegensatz zum Comfort-Modus, in dem sie Audi-typisch lasch und gefühllos ist, gelingt hier eine überraschend natürliche Abstimmung. Und die adaptiven Dämpfer werden so hart, dass sich das Auto im härtesten Setting in Kurven regelrecht in den Asphalt stemmt, auf Geraden aber schier von Bodenwelle zu Bodenwelle hüpft. Der Klang verändert sich von einem heiseren Hecheln in ein wonniges Schnurren, das etwas, aber nicht zu dick aufträgt. Bleibt nur die Tatsache, dass die Klappe deutlich hörbar auf jeden Gasstoss reagiert und mechanisch klirrend munter vor sich hinregelt, um die Emissionsgrenzen einzuhalten.
Der Motor verweilt lange in einer Art Tiefschlaf, agiert ausser beim Kaltstart zurückhaltend und angenehm sanft, steht allerdings auch blitzschnell bereit. Die maximale Leistung liegt zwischen 5700 und 6000 Umdrehungen an, kurz bevor der 2.9-Liter-Biturbo in den Begrenzer schiesst. Der Sweetspot aber, wo die Leistung für den Verkehrsalltag optimal ist, liegt irgendwo zwischen 4000 und 5500 Touren. Darunter bleibt der Audi verhältnismässig zahm, darüber nimmt die Geschwindigkeit nicht mehr ganz so explosiv zu.
Dank des optionalen Sperrdiffenzials an der Hinterachse, das das Drehmoment aktiv zwischen den Rädern verteilt, und des Mitteldifferenzials, das bis zu 70 Prozent der Kraft nach vorn oder maximal 85 Prozent nach hinten leitet, verwandelt sich der RS4 vom semi-komfortablen Kilometerfresser zum furiosen Sportler. Oder anders ausgedrückt: Dem RS4 gelingt der Spagat zwischen dem Komfort eines Oberklasse-RS und der Dynamik eines RS3 besser als fast allen anderen RS-Modellen.
Vorhersehbar, aber charaktervoll
Zu Beginn erwähnten wir, dass der RS4 ein grosses Erbe weiterführt. Während Brüder wie der RS5 und der RS Q8 geradeaus rasend schnell sind, überzeugen sie querdynamisch nur bedingt. Zu schwer, zu klinisch – um nicht zu sagen: zu langweilig – gibt sich so manch aktuelle RS-Variante. Im Vergleich mit dem RS5 fällt auf, wie fahraktiv der RS4 ist. Trotz identischen Radstands (2826 mm) und Gewichts (1.8 t) liegt der Kombi natürlicher auf der Strasse. Die Vorderachse beisst besser zu, die Lenkung ist motivierter, das Fahrverhalten stimmiger. Die Differenziale arbeiten effektiv und vermitteln ein tolles Fahrgefühl, das Heck dreht schön ein. All das ist äusserst charaktervoll, doch trotz des erbarmungslosen Vorwärtsdrangs behält der RS4 die vorhersehbare Art bei. Vielleicht wirkt er in Kurven nicht ganz so souverän wie der RS5, jedoch sorgt diese kleine Nervosität für das gewisse Etwas. Der Kombi versetzt bei harten Bremsmanövern leicht, dabei kommt eine echte Rückmeldung von der Strasse, die Vorderachse wird schwer, das Heck leicht.
Apropos Bremsen: Am Testwagen war vorne die brachiale, aber sündhaft teure Keramikanlage montiert (8320 Fr.). Nicht nur, dass man zu diesem Preis einen Zweitwagen bekommt, auch die gemessene Verzögerung lässt im nass-kalten Zustand etwas zu wünschen übrig. Auf der Rennstrecke vollbringen die riesigen 400-Millimeter-Scheiben wahre Wunder, für den Strasseneinsatz aber kann man sich das Geld unserer Meinung nach getrost sparen. So sportlich sich der RS4 auch fährt, die klassische Stahlbremse tut es auch.
Ehrliche Art und Weise
Neben der formidablen Fahrleistung bekommt man mit dem RS4 auch optisch etwas geboten. Natürlich orientiert sich das Facelift an der Überarbeitung des A4. Nur fallen die Veränderungen gar nicht so auf, weil schon die Vorversion brachial auftrat. Bei allem Understatement sieht man dem RS die Leistungskompetenz definitiv an. Der Kühlergrill ist breiter und flacher, die Schürzen und die Motorhaube wurden leicht abgeändert.
Innen fährt der RS4 mit den neusten Konnektivitätslösungen vor, die zu teils ambitionierten Aufpreisen hinzubestellt werden können. Serienmässig ist der 10.1-Zoll-Bildschirm, der schlank und formschön auf dem Dashboard thront. Das Infotainment ist gut strukturiert, bietet einige RS-spezifische Spielereien und überzeugt in der Bedienung, auch wenn man nun alles per Touch regeln muss. Das virtuelle Cockpit gehört zu den besten auf dem Markt und lässt sich üppig individualisieren. Ein nicht allzu grosses Head-up-Display ist ebenfalls dabei. Einzig der Sprachassistent hat bereits mit einfachen Kommandos zu kämpfen.
Assistenzseitig ist alles mit an Bord, einzig für die Querführung steht nur ein relativ rudimentärer Spurhalteassistent zur Verfügung. Ganz ehrlich: Mehr muss ein RS auch nicht unbedingt haben, natürlich wäre es für den Testwagenpreis von 142 540 Franken aber doch ganz nett.
Wichtiger ist, dass man sich in den abgesteppten Sportsitzen geborgen fühlt und die vielen Applikationen sowie die gute Positionierung der Bedienelemente Hand und Auge schmeicheln. Auch wenn ausserhalb des Sichtfelds Hartplastik hervorblitzt und Ablagefächer nicht sonderlich reichlich vorhanden sind. Ebenfalls nicht sonderlich üppig ist die Kopffreiheit hinten. Für die Beine wiederum gibt es genügend Platz, solange man nicht in der Mitte sitzt, denn der Kardantunnel nimmt viel Raum in Anspruch. Das Kofferraumvolumen ist mit 495 bis 1495 Litern durchschnittlich.
Letztlich handelt es sich aber ja um den kleinen RS-Kombi. Wer mehr Platz braucht, muss zum RS6 greifen (ab 152 000 Fr.). Dieser bietet natürlich noch mehr Leistung, aber innerhalb des gesetzlichen Rahmens nicht unbedingt mehr Fahrspass. Hier spielt der RS4 sämtliche Trümpfe aus und erinnert auf ehrliche Art und Weise daran, wie dereinst alles begann.
Testergebnis
Gesamtnote 82.5/100
Antrieb
Der doppelt aufgeladene V6 zeigt einen erbarmungslosen Vorwärtsdrang, das Zusammenspiel mit dem Getriebe ist stimmig. Ganz so charaktervoll wie bei manchem Konkurrenten ist das Dargebotene aber nicht.
Fahrwerk
Die 1.8 Tonnen Gewicht spürt man kaum. Zu gut gelingt dem RS4 der Spagat zwischen Komfort und Racing.
Innenraum
Materialtechnisch ist das allererste Sahne. Auch das Infotainment passt. Für einen Kombi steht an manchen Stellen vielleicht etwas wenig Platz zur Verfügung. Die Sitze sind etwas zu hoch montiert, Ablagen gibt es wenige.
Sicherheit
Es wäre vermessen, dem RS4 hier eine schlechte Note zu erteilen. Die Konkurrenz kann es aber vor allem mit den Assistenten besser, und die Keramikbremse ist für die Strasse nicht die richtige Wahl.
Budget
Schon die Basis ist teurer als die Konkurrenz. Und über 140 000 Franken sind extrem viel. Dass bei einem RS beispielsweise das adaptive Sportfahrwerk oder die Sportabgasanlage aufpreispflichtig sind, ist fast frech.
Fazit
Die Fahreigenschaften des RS4 sind imposant. Sowohl Längs- wie auch Querdynamik sind dank guter Zusammenarbeit von Motor, Getriebe, Allradantrieb und Differenzialen stimmig. Die Fahrmodi machen Sinn, verwandelt sich der Kombi doch von der (einigermassen) komfortablen Familienkutsche per Knopfdruck in einen angriffslustigen Kurvenhengst.
Die technischen Daten und unsere Messwerte zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.
Audi RS4
Barchial aus der Kurve schiessen
Schiebt vorhersagbar über alle Räder
Lenkung auf Atacke
In der Kurve regelkonform in den Asphalt stemmt
erbarmungsloser Vorwärtsdrang
Lieber Autor
Lesen Sie nie Unfallberichte.
Gerichtsverhandlungen
Unfalltote
Schwerverletzte
Was soll die Verherrlichung solcher Geschosse ,welche eigentlich im heutigen
Strassenverkehr gar nicht mehr zugelassen werden sollten