Die Zauberformel

Öffentlichkeit und Politik sind kaum mit ­Wasserstoff-Verbrennungsmotoren vertraut. Dabei könnten diese Umweltschützer wie auch Autofans überzeugen.

Wasserstoff ist ein CO2-neutraler Treibstoff, der wegen seiner wachsenden Verfügbarkeit und des Potenzials, aus erneuerbaren Quellen erzeugbar zu sein, immer mehr an Bedeutung gewinnt. Der äusserst leichte Energieträger ist vor allem für seine Rolle in Brennstoffzellen bekannt, er kann aber auch in Verbrennungsmotoren eingesetzt werden. Den Beweis trat BMW im November 2006 an der Los Angeles Auto Show mit dem Hydrogen 7 an. Die modifizierte 7er-Limousine konnte mit Wasserstoff oder mit Benzin betrieben werden. Die Bayern legten rund 100 Stück auf, stellten die Produktion aber bald ein, weil den Kunden kaum Tankstellen zur Verfügung standen.

Heute steht es etwas besser um die Dichte der Wasserstofftankstellen, und allen voran Toyota nimmt einen neuen Anlauf mit der Technologie. Zunächst setzte ein Rennteam, unter anderen mit Konzernchef Akio Toyoda am Steuer, einen für den Wasserstoffeinsatz modifizierten Corolla an ­einem 24-Stunden-Rennen ein (hier zum Bericht). Vergangene Woche zeigte der weltgrösste Autohersteller den Prototyp eines mit Wasserstoff betriebenen Dreizylinders in einem Yaris GR. Aber wie steht es um die Produktionschancen der bisher vor allem in Versuchsträgern präsentierten Technik?

Zur Klärung der heiklen Frage kontaktierte die AUTOMOBIL REVUE Christian Nellen, Professor an der Fachhochschule Westschweiz in Freiburg. Der Verantwortliche für die Abteilung Technik und Architektur befasst sich mit Wasserstoffmotoren und hat derzeit ein Exemplar auf dem ­eigens entwickelten, spezialisierten Prüfstand der Fachhochschule montiert. «Wir wollten vor allem belegen, dass nur einige wenige mechanische Komponenten eines konventionellen Motors für den Betrieb mit Wasserstoff angepasst werden müssen», meinte er. Die nötigen Änderungen umfassen etwa die Einspritzdüsen und die Kennlinien der Einspritzung. «Eine Charakteristik des Wasserstoffs ist seine im Vergleich zu Benzin geringe Energiedichte. Um die gleiche Leistung erbringen zu können, um also die gleichen Kräfte auf die Kolben zu übertragen, müssen wir beim Wasserstoffmotor ­eine grössere Menge Wasserstoff in den Ansaugkrümmer einspritzen (Nellen bezieht sich auf einen Motor mit Saugrohreinspritzung – Red.).» Die Schwierigkeit dabei ist, dass die Einspritzung mit einer beschränkten Zeitspanne auskommen muss; diese kann nur minimal über den ersten Takt, also die Ansaugphase des Viertakters, hinausreichen. «Bei bestimmten Benzinern ist eine Einspritzung während des gesamten Arbeitszyklus möglich. Der Wasserstoff verträgt das nicht, denn das bei geschlossenen Ventilen latente Gasgemisch könnte sich selbständig entzünden. Um dem Risiko entgegenzuwirken, können wir nur Treibstoff zugeben, wenn sich die Einlassventile in der Offenstellung befinden.»

Grössere Einspritzmenge

Auch die Direkteinspritzung (in den Brennraum) ist logischerweise auf die Ansaugphase, also den ersten Viertel des Arbeitsprinzips, beschränkt. Diese Einschränkungen zwingen die Techniker zum Umdenken bei der Treibstoffversorgung. «Wir haben zusätzliche Einspritzdüsen für den Motorrad-­Einzylinder entwickelt, den wir auf unserem Prüfstand im Labor der Fachhochschule Freiburg betreiben. Sie sind per Laserschweissen direkt am Saugrohr angebracht und haben eine höhere Förderdichte, um mehr Treibstoff in den Zylinder befördern zu können. Mit einem Mikrobohrer haben wir zudem eine zusätzliche Öffnung geschaffen», erklärte der Ingenieur. Nellen und sein Team haben zudem den Ansaugtrakt und die Auspuffanlage überarbeitet. Sie erreichten damit bessere akustische Eigenschaften des Motors und verbesserten seinen Luftmengendurchfluss.

So erstaunlich es auch scheint, ist das schon alles an Änderungen, um beim Versuchsmotor vom Benzin- auf den Wasserstoffbetrieb zu wechseln. Kein anderes Teil wurde angefasst. Kolben, Kolbenringe, sogar die Dichtungen konnten alle original belassen werden. «Aber die Techniker müssen genau darauf achten, mit welchen technischen Komponenten sie es zu tun haben, bestimmte Materialien vertragen sich nicht mit dem Wasserstoff. Eine ganze Reihe von Stahllegierungen muss vermieden werden. Der Wasserstoff stellt mit seinen feinen Molekülen eine Herausforderung dar, weil er durch viele Oberflächen diffundieren kann. Wir kommen nicht darum herum, jeden potenziellen Motor einer Materialanalyse zu unterziehen.»

Christian Nellen ist Professor an der Fachhochschule Westschweiz in Freiburg und Abteilungsleiter Technik und Architektur. Er ist Absolvent der Berner Fachhochschule, wo er den Bachelortitel in Automobiltechnik (Fakultät in Biel) erlangte. Anschliessend setzte er seine Ausbildung an der ETH Zürich fort. Nach seinem Umzug nach England, wo er bei Cosworth Racing als Entwicklungsingenieur für die Rallye-WM arbeitete, wechselte er zum Formel-1-Team von Renault, wo er zwischen 2003 und 2014 für die Entwicklung der Zylinderköpfe, des Auspuffs und des Turboladers für die verschiedenen F1-Motoren zuständig war.

Eine Frage der Effizienz

Zuverlässigkeitsprüfungen kommen an der Freiburger Fachhochschule natürlich noch nicht zum Zug. Die Studien fallen noch in den Bereich der Forschung und Entwicklung. «Aber ich glaube nicht, dass die Zuverlässigkeit derzeit zu den grösseren Problemen gehört. Im Moment sehen wir die Effizienz als wichtigere Herausforderung. Die Brennstoffzelle erreicht bei niedrigen Lasten einen sehr guten Wirkungsgrad. Wenn sie aber mehr Leistung erbringen muss, verschlechtert sich die Effizienz zunehmend. Beim Verbrennungsmotor ist das umgekehrt. Er arbeitet bei niedriger Belastung nicht besonders sparsam, setzt die Energie dann aber unter Volllast weit besser um. Ab einem bestimmten Lastprofil sind Verbrennungsmaschinen wettbewerbsfähig.» Das erklärt auch, weshalb sich Wasserstoffmotoren besonders gut für Schiffs-, Lastwagen- und Baumaschinenantriebe eignen. Die Motoren in diesen Spezialanwendungen sind bereits sehr teuer und müssen mit viel Aufwand gewartet oder gewechselt werden. Die Kostenrechnung macht in diesen Fällen mehr Sinn, wenn man konventionelle Verbrennungsmaschinen mit einigen Spezialteilen auf Wasserstoffbetrieb umrüstet – man spricht in diesem Fall von Retrofit.

Eine weitere Hürde für den Wasserstoff-Verbrenner sind dessen Stickoxidemissionen. Sein CO2-Ausstoss ist gleich null, aber das gesundheitsschädigende NOX ist ein Problem. Die Brennstoffzelle hingegen verursacht keine schädlichen Emissionen. Doch auch diese Hürde ist nicht unüberwindbar, die Industrie hat schon viele Erfahrung mit NOX-Sammlern und Partikelfiltern gemacht.

Die Technologien, mit denen sich Christian Nellen befasst, sind noch in der Entwicklungsphase, aber er scheut sich nicht, bereits Berechnungen zu den Total Cost of Ownership (TCO, Gesamt-­Einsatzkosten, die nicht nur die direkten, sondern auch die Folgeaufwendungen umfassen) vorzulegen. «Wir haben für die Freiburgischen Verkehrsbetriebe schon eine Studie für den Wasserstoffeinsatz in Bussen erstellt. Die Ergebnisse der Berechnungen fallen eindeutig aus: Die TCO für den Wasserstoff-Verbrennungsmotor liegen tiefer als diejenigen für den Brennstoffzellen-Antrieb. Und noch besser: Der Wasserstoff hat im Einsatz ausserhalb des Stadtverkehrs sogar eine bessere Kostenbilanz als Busse mit Batterie-Elektroantrieb. Das Potenzial ist also enorm», sagt Nellen.

Liebherr mit dabei

Christian Nellen ist nicht der einzige, der das so sieht. Neben Toyota ist die ursprünglich deutsche, jetzt aber als Schweizer Gesellschaft registrierte Firma Liebherr felsenfest von den Zukunftschancen der Technologie überzeugt. Der Baumaschinenhersteller hat zusammen mit dem englisch-amerikanischen Spezialisten Mahle eine Vorverbrennungskammer für Hochleistungsmotoren mit Wasserstoffantrieb entwickelt. «Der Einsatz von Wasserstoff als Treibstoff in Verbrennungsmotoren könnte den Prozess der CO2-Säuberung vieler Lastwagen und Geländefahrzeuge vorantreiben», sagt Mike Bunce, Forschungsleiter von Mahle Powertrain in den USA. «In den vergangenen Jahrzehnten haben viele Studien immer wieder belegt, wie gut verträglich der Wasserstoff als Treibstoff für Verbrennungsmotoren ist. Was noch fehlte, war eine stabile Verbrennung.»

Die Lösung scheint jetzt gefunden zu sein. «Der Wasserstoff-Verbrennungsmotor ist ideal für den Einsatz mit abrupten Lastwechseln und plötzlich wechselnden Leistungsansprüchen unter staubigen Bedingungen, bei Hitze und im ruppigen Betrieb im Gelände. In solchen Anwendungen leiden alle anderen Antriebe, vor allem die Brennstoffzellen oder die Batterien», heisst es in einer Pressemitteilung von Liebherr.

Die deutsch-schweizerische Firma erläuterte ihre Entwicklungen und beschrieb die Schwierigkeiten bei ihrem Einsatz. Problematische Eigenschaften der Wasserstoff-Verbrennung sind ihre Klopfanfälligkeit (vorzeitiges Entzünden des Gemischs im Saugrohr und schleichende Zündung im Zylinder) und die unkontrollierte Verbrennung. Das Problem kann normalerweise mit einer niedrigeren Verdichtung gelöst werden, was aber natürlich einen Leistungsverlust mit sich bringt. Der Ansatz von Liebherr bringt die kontrollierte Zündung in einer Verbrennungsvorkammer im Zylinderkopf ein. Das System wurde ursprünglich von Mahle für Benzinmotoren entwickelt, es hat sich aber als ideale Lösung für Wasserstoffmotoren erwiesen. Es musste selbstverständlich für den neuen Einsatz angepasst werden. Spezifisch haben die Techniker die Vorkammer mit Zündkerze für die Zündungsinitiierung im Zylinderkopf umkonstruiert. Das explodierende Gemisch findet durch kleine Öffnungen seinen Weg in die Hauptbrennkammer und löst somit die homogene und rasche Verbrennung aus. Die Energieumwandlung ist damit schneller und umfassender.

Schweizer Entwicklung

Das technische Labor befindet sich im Kanton Freiburg unweit der Fachhochschule Westschweiz. «Liebherr Machines Bulle konnte die Vorkammer mit aktiver Zündung für Hochleistungsmotoren für seine Zwecke anpassen und damit eine schnellere Verbrennung, mehr Leistung und geringere Emissionen erzielen. Die technische Lösung vereinfacht zudem den Motoraufbau», sagt Mike Bunce. «Wir waren damit in der Lage, die Verdichtung recht hoch zu halten, und können damit eine bessere Energieeffizienz bieten. Die Expertise der Liebherr-Ingenieure im Bereich der effizienten Verbrennung und ihre Erforschung alternativer Treibstoffe waren in diesem Gemeinschaftsprojekt höchst hilfreich», fügte Bouzid Seba, Leiter Entwicklung von Liebherr Machines Bulle hinzu.

Der von Liebherr realisierte Wasserstoff-Verbrennungsmotor scheint beste Chancen zu haben, auch im Individualverkehr zum Einsatz zu kommen. Die synthetischen Treibstoffe könnten die einzige Möglichkeit für die Autohersteller darstellen, saubere Verbrennungsmotoren ohne CO2-Ausstoss anzubieten, die aber gleichzeitig geruchsfrei und vom Klang her emotional sind. Ein Motor,  der vielleicht wirklich alle Seiten zufriedenstellen könnte.

1 Kommentar

  1. „… sie verlieren ihren Sound nicht“? Ist das das Hauptargument für den Motor? Wow… , das gibt mir doch etwas tu denken. Dafür besteht ein Wasserstoffmotor immer noch aus mindestens so vielen Teilen wie ein normaler Verbrennungsmotor. Was ja ein riesiger Nachteil ist. Wartung… Verschleiss…?

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