Die historische Kompetenz von Renault bei den Elektroantrieben ist gross. Mit der Lancierung des Zoe gehörten die Franzosen zu den E-Pionieren. Das war 2013 – aber danach kam lange nichts mehr. Der Zoe muss während bald eines Jahrzehnt für Renault den Elektrokarren schleppen und tut das auch ganz erfolgreich. Dass jetzt der Schritt vom Kleinwagensegment in die Kompaktklasse erfolgt, ist die logische Konsequenz. Und Renault beweist, dass man es ernst meint mit den Plänen für die Elektrifizierung der Flotte. So ist auch zu erklären, wieso der neue Stromer nicht einfach ein weiteres Modell ist oder eine elektrische Variante. Nein, mit dem neuen Megane E-Tech Electric, so sein voller Name, wird Renaults aktuell erfolgreichstes Modell komplett auf Elektro umgestellt.
Damit greift man ein neues Geschäftsfeld an, schliesslich ist der Elektroantrieb heute vor allem entweder in den höheren Segmenten oder bei den SUV zu finden. Der Megane jedoch bleibt als E-Tech eine fünftürige Kompaktlimousine, auch wenn er mit 1.50 Metern etwas höher baut als sein Vorgänger in der aktuellen Generation. Die grossen Räder mit den weit ausgeschnittenen und mit Kunststoff verkleideten Radläufen, die eine gewisse SUV-Optik vermitteln, kennt man ja bereits von Espace und Scenic.
Die aktuelle, vierte Generation wird noch eine Weile im Verkauf bleiben, auch nachdem der elektrische Nachfolger Anfang 2022 auf den Markt kommt. Schliesslich hat sie vor noch nicht einmal zwei Jahren ein Facelift erhalten und wurde zudem mit einem Plug-in-Hybrid elektrifiziert. Ausserdem ist da auch noch der R.S., den man so schnell nicht aufgeben möchte (hier zum Bericht). Und trotzdem wird der konventionelle Megane in den nächsten Jahren auslaufen, und dann heisst es im C-Segment: Elektro oder nichts.
Neue leichte Plattform
Das man es ernst meint, beweist auch die neue modulare CMF-EV-Plattform, die man zusammen mit Allianzpartner Nissan entwickelt hat. Typisch für ein Elektroauto zeichnet sich diese durch kurze Überhänge und dadurch gute Platzausnutzung im Innenraum aus. Weniger typisch für ein Elektroauto ist die hoch liegende Motorhaube. Beim Megane ist das konstruktionsbedingt: Während der typische E-Aufbau bei der Konkurrenz ein flaches Skateboard bedeutet, in dem Batterie und Leistungselektronik untergebracht sind und die Motoren direkt zwischen den Rädern liegen, geht Renault-Nissan eine konventionelleren Weg. Die Lithium-Ionen-Batterie baut mit einer Höhe von bloss elf Zentimetern äusserst flach, sodass kein dicker Sandwichboden entsteht.
Motor, Getriebe, Inverter und Ladeelektronik indes sind alle übereinander über der Vorderachse verbaut. Das Packaging sei idealer so, als wenn man die Komponenten im Auto verteile, erklärt Renault. Auch könne man darauf verzichten, dass lange Hochvoltkabel durchs Auto verlegt werden müssten. Nur bei Fahrzeugen, die mit Allradantrieb ausgestattet sind, verlaufen die Kabel nach hinten, wo Elektromotor und Getriebe im Achsträger verbaut sind. Für den Megane ist das derzeit nicht vorgesehen, die CMF EV ist aber in Länge und Breite flexibel, sodass sie auch in SUV zum Einsatz kommen kann. Bisher gesehen hat man das erst im Concept-Car Arya von Nissan.
Für die Batterie gibt es im Megane E-Tech zwei Grössen, 40 kWh und 60 kWh. Das klingt erst einmal nach nicht sehr viel, die von Renault versprochenen Reichweiten sind dennoch ansehnlich: 300 Kilometer sind es mit der kleinen Batterie, bis zu 470 Kilometer mit der grösseren. Offizielle Verbrauchswerte gibt es noch keine, wer aber rechnet, merkt, sie sind ziemlich tief. Mit ein Grund dafür ist mit Sicherheit auch das geringe Gewicht des Megane. Mit einem Leergewicht von 1.6 Tonnen ist er deutlich leichter als die Elektrokonkurrenz, die 150 bis 200 Kilogramm mehr wiegt.
Damit wären wir beim Fahren angelangt. Da macht sich die fehlende Masse deutlich bemerkbar. Der Megane E-Tech fährt sich nämlich irgendwie ganz normal. Der Elektromotor liefert entweder 96 kW (130 PS) und 250 Nm oder 160 kW (218 PS) und 300 Nm. Die Beschleunigung ist zügig (0–100 km/h in 7.4 Sekunden), aber ohne den Tritt in den Rücken, den man sonst von Elektroautos kennt. Alles wirkt sauber abgestimmt. Rekuperieren lässt er sich stufenweise über Schaltpaddles hinter dem Lenkrad, sodass von einem ganz konventionellen Fahrgefühl bis hin zu nahezu One-Pedal-Driving alles möglich ist. Bei vorausschauender Fahrweise lässt sich so ein ordentlicher Teil der kinetischen Energie zurückgewinnen.
Spass am Fahren
Man habe dem Auto zwei Seelen verpassen wollen, meint Renault. Einerseits soll der Megane das praktische Alltagsauto sein, mit dem man gemütlich am Morgen zur Arbeit fährt. Andererseits soll er auch «Fun to drive» vermitteln. Da kommt wieder die Masse ins Spiel. Denn tatsächlich lässt sich das Auto ganz agil bewegen, ohne die von den Stromern sonst bekannte Massenträgheit. Typisch für einen Fronttriebler stellt sich bei über-ambitionierter Fahrweise eine Tendenz zum Untersteuern ein, beim Lupfen des Pedals entlastet die Hinterachse und wird etwas unruhig. Wobei die Einzelaufhängung der Hinterräder das Heck lange stabil hält. Man habe sich der besseren Fahrdynamik wegen gegen die günstigere Verbundlenkerachse entschieden, sagt Renault dazu.
Auch im Innenraum hat das digitale Zeitalter Einzug gehalten. Die beiden Bildschirme vor dem Fahrer und zentral am Armaturenbrett dominieren die Innenansicht. Dank der Integration ins Cockpit wirkt das Infotainment aber eleganter und weniger aufgesetzt als die freistehenden Monstertablets, die gerade so Mode sind. Bei der Software vertraut Renault mit Navigation über Google-Maps, Bedienung über den Google-Assistant und diversen Android-Apps komplett auf Google. Zusätzlich gibt es einige physische Knöpfe unter dem Bildschirm für eine vereinfachte Bedienung. Weniger ergonomisch gestalten sich die Lenkstockschalter. So befinden sich rechts hinter dem Lenkrad der Blinkerschalter und darunter, wie bei Renault üblich, die Bedieneinheit für das Radio. Neu sitzt darüber noch der filigrane Gangwählhebel, sodass allein rechts hinter dem Lenkrad drei verschiedene Schalter zu finden sind. Das vereinfacht die Bedienung nicht gerade.
Viel Platz, aber nicht überall
Der Vorteil dieser Lösung aber ist, dass die Mittelkonsole partiell verschwinden kann. Stattdessen gibt es viel offenen Raum zwischen den Vordersitzen und diverse clevere Ablageflächen wie beispielsweise die Handyschale unter dem Zentraldisplay. Weniger geräumig geht es im Fond zu und her, wo kurze Sitzflächen, geringe Beinfreiheit und wenig Platz für die Füsse für eingeengte Verhältnisse sorgen. Besser wird es dann wieder im Kofferraum: Die Ladekante ist zwar hoch, mit 440 Litern Ladevolumen fasst der Megane E-Tech aber eine ordentliche Menge Gepäck.
Die Preise für den neuen Megane sind noch nicht bekannt. Die ersten Fahrzeuge sollen im Frühling 2022 zu den Händlern kommen. Aber mit der aktuell angespannten Versorgungslage bei den Halbleitern scheint das ein optimistisches Ziel zu sein, das sich wohl noch verschieben wird.
Die technischen Daten zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.