Chevrolet Corvette C8: was lange währt

Die Idee reicht 60 Jahre zurück, nun hat es bei der Chevrolet Corvette endlich geklappt: Der V8-Motor sitzt zwischen den Achsen, das Herz der C8 damit am richtigen Fleck.

Der erste Eindruck war mächtig. Sehr sogar. Dem Wetter ausgeliefert, zeigte die Corvette C8 schnell, was Sache ist. Und das, nachdem sie sich auf der Autobahn derart zivilisiert verhalten hatte. Die Verantwortlichen von Chevrolet mahnten zwar, man solle zumindest zu Beginn das Regen-Set-up bemühen. Mittelmotor, Hinterradantrieb, 354 kW (482 PS) und 613 Nm vertragen sich nämlich nur bedingt mit nasskalten Bedingungen und können auch zickig werden. Wie sie das können, zeigte sich ziemlich unvermittelt im ersten Kreisel. Ohne dass das Gaspedal malträtiert oder die Lenkung grob angefasst worden wären, verselbständigte sich das Heck. Und weil auch der Vordermann gleich mehrfach ins Schlingern geriet, war es Zeit für eine Lagebesprechung.

Schliesslich fährt sich die C8 mit Mittelmotorlayout gänzlich anders als ihre Vorgänger mit dem dicken Mocken über der Vorderachse. War die Grenze damals ziemlich klar definiert – zu viel Tempo schiebt über alle vier Räder, zu frühes Gas weckt das Heck –, kündigt sie sich heute kaum an. Vor allem wenn wie bei der C8 60 Prozent des Gewichts hinten liegen. Alles wirkt lebendiger, leichtfüssiger und präziser, aber eben auch nervöser, unvorhersehbarer, schlagartiger. Kein Zweifel: Mit der C8 meint es Chevrolet ernst. Richtig ernst. «Wir konstruierten das Auto, welches wir als Rennenthusiasten wollten», sagt Alexander MacDonald, Performance-Manager und zuständig für die Abstimmung der Corvette.

Start auf einem weissen Blatt Papier

Heisst: Das Chassis ist für den Rennsport konzipiert und besteht vorwiegend aus Aluminium. «Manche Teile sind Eigenentwicklungen, weil das kein Zulieferer macht», erklärt MacDonald. Aus einem Block geschmiedete Aluteile erhöhen die Steifigkeit, wobei es keine Differenz zwischen Coupé und Cabriolet gibt. Diese unterscheiden sich im Wesentlichen ohnehin nur durch den Dachmechanismus und 35 Kilogramm. Mit rund 1.7 Tonnen sind beide kein Leichtgewicht, das Fahrwerk jedoch geht gelassen damit um. Doppelquerlenker vorne wie hinten sind das Rezept, oben mit langen, geschmiedeten Auslegern, unten mit kürzeren aus Aluguss. In beiden ist das Magnetic-Ride-Fahrwerk verbaut. Das kann dank eines neuen Geschwindigkeitsmessers die Dämpferraten nun noch schneller adaptieren. Zügiger sind auch die Schaltvorgänge, weil bei Chevrolet erstmals ein kompaktes Doppelkupplungsgetriebe zum Einsatz kommt. Ein elektrohydraulisches Sperrdifferenzial ist direkt integriert, «ein Vorteil, da wir bei der Entwicklung der C8 ganz von vorne beginnen konnten», sagt MacDonald.

Ein weiterer Vorteil der zwei Kupplungen ist die Tatsache, dass sie helfen, den Übergang bei der Zylinderabschaltung abzufedern. War die Deaktivierung der gegenüberliegenden Blöcke beim Vorgänger noch teilweise spürbar, weist heute einzig das Symbol im digitalen Tacho darauf hin. Der V4-Modus hilft, Sprit zu sparen. 12.1 l/100 km sind es im WLTP-Mischbetrieb, während die Grenze nach oben natürlich beinahe offen ist, sind auf der Autobahn auch unter zehn Liter realistisch.

Abgesehen von der Zylinderabschaltung kommt der tiefbauende V8 mit der horizontalen Nockenwelle, der traditionellen Zündfolge (1–8–7–2–6–5–4–3) und der entsprechenden Akustik nach wie vor klassisch daher. Es handelt sich zwar um einen kompletten Neubau, auf eine Flachkurbel wie bei europäischen Fabrikaten wird aber verzichtet. Die soll in zwei Jahren bei der radikaleren Z06 Einzug halten, die ZR1 wird irgendwann mit einer Biturbo­aufladung statt des Kompressors folgen.

Unterschiedliche Messmethoden

Geniessen wir also die Zeit, die mit dem traditionellen 6.2-Liter-Sauger noch bleibt. Und den Umstand, dass das Wetter am Nachmittag der ersten Testfahrt der EU-Version besser war. So wild sich die ’Vette bei Nässe auch gab, so schnell baute sie im Trockenen Vertrauen auf. «Die Hochachse ist im Prinzip der Rücken des Fahrers, die C8 dreht sich quasi um diesen», sagt Alexander MacDonald. Das Resultat: ein äusserst spontanes Einlenkverhalten. Weil mehr Gewicht auf den Antriebs­rädern lastet, bedeutet das zudem in der Theorie auch mehr Traktion. Und tatsächlich: Nichts mehr von wegschmierender Hinterachse oder nervösem Fahrverhalten. Die Art und Weise, wie sich die C8 um die Kurven treiben lässt, erinnert an die Grazie italienischer Sportwagen. Die Leichtigkeit und Präzision, die sie vermittelt, an deutsche Perfek­tion. Beim Ausflug auf die Rennstrecke (s. Box) meinte ein italienischer Kollege, die C8 könne der Marke mit dem Pferdchen durchaus standhalten. Und die deutschen Kollegen massen für den Stingray 3.1 Sekunden für 0 bis 100 km/h. Bei uns werden es wegen geringfügig weniger Leistung und ein klein wenig mehr Gewichts etwas mehr sein. Die unterschiedlichen Werte im Vergleich zur US-Version sind vor allem anderen Einheiten und Messbedingungen geschuldet. Hinzu kommt, dass zur Einhaltung der Abgasnorm Euro 6d gleich zwei Otto-Partikelfilter verbaut werden mussten.

Kann sie was?

Die Kernfrage bei einem Sportwagen: Wie liegt er auf der Strasse? Im Spring Mountain Motor Resort and Country Club im US-Bundesstaat Nevada haben wir die Corvette C8 am Limit gefahren. Die Grundauslegung des Mittelmotorwagens zielt auf Untersteuern, kann aber jederzeit dazu gebracht werden, mit dem Heck nach aussen zu drängen. Damit bleibt die C8 stets auf der sicheren Seite. Selbst im Track-Modus ist sie, zumindest auf trockener Strasse, wenig heimtückisch. Zwar ist die Corvette im Vergleich zur Vorgängerin mit Frontmotor rund 90 Kilogramm schwerer und bringt es auf rund 1700 Kilogramm, aber die Brembo-Bremsen sind auch hartem Pisteneinsatz gewachsen, bieten ein gutes Pedalgefühl und zusammen mit der präzisen Lenkung ein sehr ansprechendes Fahrerlebnis. Dank der vorgeschobenen Sitzposition und der Kanten auf der kurzen Haube lassen sich Kurven präzis anpeilen. Dazu ist das neue Doppelkupplungsgetriebe ein guter Sparringpartner. Lernfähig geht die Schaltbox mit der Drehzahl mit, wenn der Wagen härter gefahren wird, und ist jederzeit willig, die Gänge zu wechseln. Für ein Erstlingswerk ist das Tremec-Achtgang-DSG absolut gelungen. Manuell macht es zwar mehr Spass, aber schneller wird man dadurch kaum. Das Tempogefühl ist weit weniger dramatisch, als der Tacho einen glauben macht. Das Grollen des 6.2-Liter-V8 hat wenig Hektisches, eher die Wirkung einer Naturgewalt. Der Motor ist keine Drehorgel vom Schlag eines Ferrari-V8 oder gar eines McLaren. Aber er liefert souveräne Kraft. Auf der Piste lässt sich damit sehr gut abschätzen, wann die Kraft beim Herausbeschleunigen aus der Kurve wieder ganz zur Verfügung steht: sofort! Was also erst ungewöhnlich scheint, zumindest für eine Serien-Corvette, gilt für die C8 unbestritten: Sie ist auch ein lustvolles Track-Car!

Freie Hand

Apropos USA: Dort beginnt die C8 bei 60 000 Dollar, bei uns werden rund 120 000 Franken und damit fast doppelt so viel fällig. «Nein, die Basis ist in Europa gar nicht erhältlich, zudem sind im US-Preis keine Steuern enthalten», sagt MacDonald. So sind hier viele Anbauteile Standard, innen gibt es zum Beispiel ein Head-up-Display, einen digitalen Rückspiegel und viel Leder. Bei Materialqualität und Verarbeitung hat die C8 einen enormen Sprung gemacht. Alles ist auf den Fahrer ausgerichtet, es gibt (viele) Knöpfe für die Klimasteuerung, die Instrumente sind digital. Das gabs bei der Corvette schon lange vor dem Rest der Industrie, jetzt sind die Anzeigen auch brauchbar.

Überall ist der Fokus auf die Sportlichkeit grösser als je zuvor bei einer Corvette. Dazu haben die Amerikaner diesen gewissen Sinn für Humor. Während beispielsweise Porsche der Philosophie folgt, selbst die stärksten 911 – entschuldigen Sie den Ausdruck – idiotensicher und für jedermann fahrbar zu machen, gibt Chevrolet dem Fahrer freie Hand. Der Spagat ist absolut gelungen, die vier vordefinierten Modi bieten vom verhältnismässig komfortablen Dahingleiten bis zur schnellen Runde alles, ohne jemals zu überregeln. Zusätzlich gibt es die Profile My Mode und Z-Mode, für die sich 13 Parameter konfigurieren lassen. Vor allem Letzter ist auf Performance ausgelegt. Neben Gewohntem wie den Dämpfereigenschaften, dem Lenkgefühl oder der Schaltstrategie lassen sich auch Ungewöhnlicheres wie die Bremskalibrierung oder die Traktionskontrolle in mehreren Stufen verändern. Auf Wunsch kappt die C8 damit wichtige elektronische Rettungsanker. Was die Verbindung nur noch inniger macht, als sie es mit dem Motor im Nacken und dem fahrerorientierten Cockpit ohnehin schon ist. Nur eben, wer zu sehr darauf vertraut, steht auch schnell im Regen.

Die technischen Daten zu diesen Modellen finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.

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