Autoren: Jean-Marc Kohler & Martin Sigrist
Ein eher ungewöhnlicher Sammler ist er, jener Mann, der seit 40 Jahren meist mit einem Pokal nach Hause fährt, wo auch immer er zu einem Concours d’Elégance oder dergleichen antritt. Ob in Pebble Beach (USA), in der Villa d’Este am Comersee oder am Concours d’Excéllence in Luzern, zwischen 1979 und 2019 hat Corrado Lopresto nicht weniger als 265 Preise gewonnen, davon 60-mal den Titel Best of Show. Achtmal fuhr eines seiner Autos mit einem Preis in Pebble Beach vom Platz, gar 18-mal würdigten die Juroren der Villa d’Este Loprestos Kompromisslosigkeit, wenn es um den Erhalt seiner historischen Zeitzeugen geht. Denn längst ist der Architekt und Immobilienmagnat davon abgekommen, seine Autos bis zur Neuwertigkeit zu restaurieren und setzt damit heute Massstäbe. Für seinen nur zur Hälfte gereinigten und konservierten Alfa Romeo SZ gewann er auch die Anerkennung der Unesco, ebenso für den mit seiner gesamten Patina erhaltenen Wagen der italienischen Marke Scat, der Società Ceirano Automobili Torino.
Wie ein roter Faden ziehen sich Einzelstücke, Prototypen oder das allererste Modell einer Serie durch seine Sammlung. So besitzt Lopresto den ersten Isotta-Fraschini mit Chassisnummer 1 von 1902 oder den Lancia Alpha 12 HP Miller von 1908. Dazu kommen Prototypen wie der Entwurf eines Giulietta Spider von Bertone, dasselbe Modell von Pininfarina, das danach in Serie ging, der Prototyp des Alfa Romeo Giulietta Sprint Speciale und unzählige weitere. Was fehlt, sind die Ferrari: «Für den Preis eines Ferrari kann ich mindestens drei Prototypen kaufen», meint Lopresto zu dieser gewollten Lücke. Allerdings besitzt er den Prototyp eines Alfa-Romeo-Motors mit zwölf Zylindern, der Enzo Ferrari als Inspiration zu seinem eigenen V12, respektive dem von Konstrukteur Gioacchino Colombo, gedient hat.
Zwei Leidenschaften vereint
Der 1956 geborene Calabrese restaurierte 1979 erstmals ein Auto, einen bescheidenen Fiat Balilla von 1933, den er noch heute besitzt. Und im selben Jahr lernte er seine Frau Elena kennen, die seine Passion unterstützt. Dem Balilla folgte ein Sechssitzer-Fiat 1100 L. Allerdings sorgte dieser nicht dafür, seine Eltern von seinem Tun zu überzeugen. Ein Kurzschluss der Batterie unter der Sitzbank brachte besonders den Vater zur Überzeugung, dass dies nicht nur ein überflüssiges, sondern auch ein gefährliches Hobby sei. Nie habe der Vater begriffen, wozu er sich den Aufwand leiste, an all diese Veranstaltungen zu reisen, wenn es an diesen Concours doch nur Pokale, aber kein Geld zu gewinnen gebe. Immerhin respektierte er die Leistungen des Sohnes zur Erhaltung von italienischem Kulturgut.
Zum Jubiläum des 40-jährigen Bestehens seiner Sammlung lässt sich Corrado Lopresto 2019 durch eine Fernfahrt mit einem Kleinwagen, einem Fiertler mit 125-Kubikzentimeter-Lambretta-Motor, von Reggio Calabria nach Mailand im Jahre 1949 inspirieren. Lopresto startet seine eigene Fernfahrt – mit dem alten Dreigang-Fiat-Balilla, dem Ursprung der Kollektion. Ausgehend von Tonnara di Palermo durchquert der Architekt zunächst seinen Heimatort Bagnara Calabria. Auf seinem Weg nach Norden begegnet er zahlreichen Fans und Klubs am Strassenrand, viele in historischer Montur. Sogar ein Pfarrer ist dabei, was an die Geschichten von Don Camillo erinnert.
Den Weg säumen unzählige Supporter, immerhin sind wir in Italien. Nach 600 Kilometern muss Lopresto aber aus familiären Gründen eine Pause einlegen. Nach einigen Adaptionen – und nachdem der Sohn wieder fit ist – folgen die restlichen 800 Kilometer im September 2020. Beim Archiv von Conte Carlo Felice Trossi, einem ehemaligen Renn- und Herrenfahrer, gibt es einen Zwischenstopp. Über Fermo, Ancona, Senigallia erreicht Lopresto das Meer. Die Fahrt endet schliesslich wie vorgesehen in Mailand, nachdem der gute Fiat Balilla auch Pesano, Ferrara und Mantua pannenfrei hinter sich gelassen hat.
Bei dieser Gelegenheit, kurz vor dem Erreichen des Ziels, erklärte Corrado Lopresto, wie er damals in Mailand empfangen wurde. Oder besser: Wie er damals mit dem Fiat Balilla nicht empfangen wurde. Der örtliche Oldtimerklub wollte nichts vom Süditaliener mit dem bescheidenen Zweitürer wissen. Corrado Lopresto schloss sich in der Folge dem Oldtimerklub von Como an. Noch heute ist er dessen Mitglied – und der Klub stolz auf sein bemerkenswertes Mitglied. Immerhin ist Corrado Lopresto in den letzten 40 Jahren gleich in zwei Domänen als Bewahrer italienischen Kulturguts von Weltrang bekannt geworden: als Architekt für Renaissancebauten und für den italienischen Automobilbau.
Seit geraumer Zeit hat Corrado Lopresto eine enge Beziehung zur Schweiz und zum Verkehrshaus in Luzern. So bestückte er bereits mehrere Sonderausstellungen zu italienischem Autodesign, zum Jubiläum der Giulietta von Alfa Romeo oder zum Werk des ehemaligen Zagato-Designers Ercole Spada mit Teilen seiner umfangreichen Sammlung. Lopresto ist also auch hierzulande kein Unbekannter. Und mit seinem Alfa Romeo 1900 CSS Vignale Cabriolet La Flèche war er Gesamtsieger am Concours in Luzern.
Am Verkehrshaus gefällt ihm besonders die Nähe zu den Besuchern, wie er uns einmal erklärte: «Die Idee, unsere Sammlung einem breiten Publikum zeigen zu können, hat mich besonders fasziniert. Ich möchte die Errungenschaften, die in diesen Autos stecken, einem jungen Publikum weitergeben. Das Verkehrshaus bietet mit seinen über 500 000 Besuchern im Jahr eine hervorragende Plattform dazu.»
Aktuell soll Corrado Lopresto sich übrigens um die Neueinkleidung des Alfa Romeo 8C mit Chassisnummer 1 bemühen. Seit über 50 Jahren befindet sich dieser wohl wertvollste Wagen der nationalen Verkehrsmittelsammlung als Rolling Chassis im Museumsfundus. Der Wagen – der allererste Alfa Romeo Monza überhaupt von 1931 und der letzte, mit dem Enzo Ferrari selber als Rennfahrer ein Rennen bestritten hat – passt dabei perfekt in das spezifische Beuteschema des Sammlers: ein Erstling einer Serie, italienisch und in diesem Fall historisch besonders bedeutungsvoll. Das Auto verbleibt allerdings in der Sammlung des Verkehrshauses.
Zudem plant Corrado Lopresto, wie er dem Autor verraten hat, eine neue Ausstellung im Verkehrshaus. Kein Zweifel, seine Sammlung wird dazu viele weitere, bemerkenswerte Zeitzeugen italienischer Automobilbaukunst hergeben – aber wie in den vergangenen 40 Jahren keine Ferrari!