Der Elefant im Raum muss gleich zu Beginn angesprochen werden. Um den Kritikern etwas Wind aus den Segeln zu nehmen. Im Falle unseres Testwagens werden 75 708 Franken fällig, damit man sich den VW Golf 8 R in die heimische Garage stellen kann. Das ist viel, zu viel, wie auch wir finden. Zumindest in Anbetracht der Tatsache, dass es keinesfalls bei diesem einen Elefanten bleibt, sondern gleich eine ganze Herde mitgeliefert wird. Das Bedienkonzept, die Haptik und teilweise die Assistenzsysteme sind gemessen am Preis nicht ganz so prickelnd.
Genug der Tiervergleiche. Wobei, einen noch: Der Golf 8 R ist ein echter Wolf im Schafspelz. Was dann auch seine grösste Stärke und das Hauptargument für ihn ist. Von aussen nach wie vor etwas unauffällig, weisen vor allem die grossen Lufteinlässe, die üppig dimensionierten Bremsanlagen, die scharf gezeichneten Seitenschweller, der lange Dachkantenspoiler und die vier Auspuffendrohre – optional aus Titan und von Akrapovic auf Radau getrimmt, dafür aber schier unverschämte 4020 Franken teuer – auf viel Sportlichkeit hin. Das neue R-Logo trägt der Über-Golf einmal vorne und hinten, ansonsten wars das. Understatement ist nach wie vor Trumpf, und es ist ein Leichtes, mit dem Golf R unauffällig und adäquat im Verkehr mitzuschwimmen.
Die Basis der jüngsten Erfolge legte VW mit dem Motor mit der Kennzeichnung EA888. Die Allzweckwaffe des Konzerns ist seit 2008 im Programm und erreicht im R die vierte Entwicklungsstufe (Evo 4). Dabei wurde die innermotorische Reibung reduziert, der Einspritzdruck erhöht und die aktuell strengste Abgasnorm erreicht. Die grundlegende Charakteristik hält der Zweiliter-Vierzylinder dadurch bei: schneller Ladedruckaufbau (bei gleichzeitig hohem Druck von bis zu 2.5 bar), ein gleichmässiger Durchzug und eine breite Spreizung.
Die Zusammenarbeit mit dem alternativlosen Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe funktioniert im Alltag erstklassig, da ist kaum eine Verzögerung, kein Ruckeln und auch keine falsche Entscheidung ausmachbar. Dämpferabstimmung und Geräuschkulisse bleiben vorwiegend angenehm, ebenfalls der Verbrauch (auf der AR-Normrunde 6.9 l/100 km), solange in den beiden Fahrprofilen Komfort oder Normal gefahren wird.
Doch der R kann auch anders, so richtig. Selber schalten über die Schaltwippen am Lenkrad wird zur Sucht, vor allem weil der manuelle Modus auch ein solcher ist. Kein fremdbestimmtes Zwangshochschalten am Begrenzer oder Herunterschalten beim Kickdown. Solche kleinen Details verraten, was der R wirklich im Schilde führt.
Wobei wir damit nicht unbedingt die beiden Fahrmodi Nürburgring und Drift ansprechen. Beide sind sie eine Spielerei, der erste passt den Allradantrieb, die elektronische Differenzialsperre und die Dämpfer für die Nordschleife an. Was man als Laie spürt: Das adaptive Fahrwerk wird weicher als im Modus Race, zudem wird etwas früher heruntergeschaltet. Im Drift-Modus ist das ESP automatisch ausgeschaltet. Bei abrupter Betätigung des Gaspedals steht man in Kurven plötzlich quer in der Landschaft. In einem Golf. Da sage noch jemand, Wolfsburg sei nur langweilig.
Möglich macht das der neue Allradantrieb. Doch so neu ist das Konzept gar nicht. Der alte Ford Focus RS begeisterte damit schon vor einigen Jahren, bei VW eingeführt wurde das System mit dem Tiguan R. Aber der Reihe nach. Damit man die Allrad-Errungenschaft konzernintern etwas einordnen kann, muss man vorne beginnen.
Erquickende Diskussion
Der Zweiliter-Vierzylinder, der in seiner Geschichte bei allen vier wichtigsten Konzernmarken Einsatz fand und auch schon für einige Skandale sorgte, leistet in der neusten Ausführung 235 kW (320 PS) und 420 Nm Drehmoment. Das sind jeweils lediglich je 20 mehr als beim Vorgänger und bedeutet auch nur einen Respektabstand vor den Konzerngeschwistern Audi S3 oder Cupra Leon. Aber ganz ehrlich, absurd schnell sind die genannten Modelle alle. Der VW Golf R der achten Generation sprintet in angegebenen 4.7 Sekunden von 0 auf 100 km/h, 200 km/h erreicht er in rund 16 Sekunden. Noch vor rund 20 Jahren war das hohes Sportwagenniveau. Heute sind wir damit mitten in der Kompaktklasse angelangt. Womit der Vergleich um Zehntelsekunden dann auch irgendwie obsolet ist.
Einiges erquickender wird die Diskussion in Sachen Kurvenfahrt. Hier sind Unterschiede, gerade im direkten Konzernvergleich, deutlich spürbar. Der Cupra Leon kommt – um beim Hatchback zu bleiben – nur mit Frontantrieb. Der Antriebsstrang des S3 ist nicht ganz so taufrisch wie beim Golf, als Allradsystem kommt eine simple Haldex-Lösung zum Einsatz. Heisst: Audi verteilt das Antriebsmodell von vorne nach hinten, nicht aber individuell auf beide Hinterräder. Beim Golf 8 R gibt es Torque-Vectoring, bei dem zwei Stellmotoren zwei Kupplungen unabhängig voneinander öffnen und schliessen können. Damit kann das Antriebsmoment nach Bedarf zu 100 Prozent variabel auf die Hinterräder verteilt werden. Bevorzugt passiert das am kurvenäusseren Rad, also dort, wo in einer Kurve die beste Traktion herrscht, sodass sich der R mit viel Druck aus den Kurven schiebt.
Unterstützt wird das von einer Tieferlegung um 20 Millimeter und dadurch, dass der Sturz an der McPherson-Vorderachse noch weiter ins Negative gedreht wurde. An der Vierlenker-Hinterachse wurden die Lager modifiziert und zudem die Stabilisator- und Federraten um jeweils zehn Prozent erhöht.
Absolut präzise ist der R aber auch im über das Lenkrad direkt anwählbaren Fahrmodus Race nicht. Vor allem in der Lenkung bleibt immer etwas Spiel, kompromisslose Sportlichkeit – zumindest vom Gefühl her – lässt der R vermissen. Dass es sich dabei jedoch grösstenteils um eine subjektive Empfindung handelt, wird spätestens klar, wenn das Heck bei geringer Geschwindigkeit und hoher Drehzahl wunderbar mithilft. Im R-eigenen Drift-Modus zieht der Golf, wie angetönt, auch bereitwillig schwarze Striche auf den Asphalt, allerdings fehlt es ihm dazu bei höheren Tempi etwas an Leistung. Hier kann das Auto mittels Lüpfen des Gaspedals zum Tänzeln gebracht werden.
Das Leiden des jungen Golfs
Ansonsten bleibt auch der R ein Golf. Platzmässig ist vorne wie hinten trotz breiterer Sportsitze alles im Lot, selbst als Reisemobil taugt der R einigermassen gut. Die Kritikpunkte am Bedienkonzept wurden bereits mehrfach durchgekaut, auch der R schlägt sich softwareseitig mit einigen Aussetzern herum. Assistenten sind vor allem gegen Aufpreis üppig vorhanden, arbeiten teilweise erstklassig, manchmal aber eben auch nicht. Und so ist es mit dem R, wie es derzeit mit so vielen ist: Der Spagat ist gross, die angebotene Bandbreite grösser und die Schwierigkeit bei der Wahl am grössten. Wer einen alltagstauglichen und in allen Belangen brutal schnellen Kompakten sucht, dabei in Anbetracht der Probleme eine dicke Haut und das nötige Kleingeld hat, liegt mit dem Golf R goldrichtig. Wer es auf der Strasse nicht nur fliegen lassen will, findet woanders, gerade auch ausserhalb des Konzerns, ein vielleicht passenderes, zumindest preiswerteres Auto, wenn auch meist ohne Allradantrieb.
Die technischen Daten zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.