Mercedes-Benz S500: ein Feuerwerk der Technik

Die neue S-Klasse verteidigt ihre Vormachtstellung. Doch die ­Differenzierung wird immer schwieriger.

Mercedes-Benz S500 86.5 Kaum ein anderes Auto kann derart verwöhnen, wie es die neue S-Klasse tut. Ein Blick reicht, und der Mercedes liest seinen Insassen buchstäblich jeden Wunsch von den Augen ab. Oder aber man flüstert ihm sein Anliegen zu: Dank hervorragender Sprachsteuerung weiss der S500 immer, von welchem Platz das Kommando kommt. Nebst all dem Luxus, der erstklassigen Verarbeitung und dem vor allem auf der Rückbank grossartigen Platzangebot überzeugt die neue S-Klasse auch während der Fahrt. Mit 320 kW (435 PS) im S500 kommt man stets mehr als ordentlich vom Fleck, und selbst wenn der Benz in erster Linie für die Langstrecke konzipiert wurde, ist er auch schnelleren Kurven nicht abgeneigt. Natürlich hat das seinen nicht gerade günstigen Preis, doch bei der direkten Konkurrenz bekommt man fürs gleiche Geld auch nicht unbedingt mehr.

Wer sich anschickt, das beste Auto der Welt zu bauen, darf mit Superlativen nicht geizen. Früher war das vergleichsweise einfach. Da beeindruckte es, wenn ein ABS, Airbags oder Parkpiepser da waren – Dinge, für deren weltweiten Erfolg die S-Klasse federführend war. Auch wenn Autos zu bauen damals sicher nicht leichter war, so müssen Entwickler heute an Dinge denken, an die sie damals in Bezug aufs Fahren noch nicht dachten. Ob das Auto tatsächlich mit der Waschmaschine kommunizieren muss, ist offen. Aber eines ist das sicher: beeindruckend. Mercedes hat Verträge mit Smart-Home-Anbietern, damit das bordeigene System MBUX mit dem Zuhause in Austausch treten kann.

Ebenfalls effektvoll ist die Tatsache, dass man für die Auswahl, welchen Rückspiegel man verstellen will, keinen Knopf mehr betätigen muss. Ein Blick reicht und das Auto versteht, weil vier Kameras den Innenraum überwachen. Und wieder: Sinnhaftigkeit ungewiss, Coolness-Faktor 1000.

Was wir damit sagen wollen: Die S-Klasse ist nach wie vor eine der besten, wenn nicht die beste Limousine der Welt. Aber es wird immer schwieriger, sich von der Konkurrenz abzuheben. Nicht zuletzt sind es Spielereien, mit denen man sich zu differenzieren versucht. Oder um bei den beiden obigen Beispielen zu bleiben: Der Vernetzungsgrad der S-Klasse ist so hoch, dass sie nicht nur beinahe fehlerfrei die Sprache – 27 sind es derzeit – ihrer Passagiere spricht, sondern auch diejenige aller vernetzten Geräte im Haushalt und in einem nächsten Schritt diejenige aller anderen Verkehrsteilnehmer. Und die Kameras im Innenraum sind eigentlich für die Warnung beim Aussteigen vor ­einer herannahenden Gefahr da. Das System verhindert so aktiv Unfälle. Dass man der Hardware dabei quasi im Vorbeigehen implementiert, dem S-Klasse-Kunden buchstäblich jeden Wunsch von den Augen abzulesen, ist Ehrensache.

Alle Register ziehen

Ebenfalls selbstverständlich ist, dass eine Sonderklasse, so will es ihre DNA, in allen, wirklich allen Belangen herausragend ist. Einen Kritikpunkt zu finden, ist wie die Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen oder besser: dem Haar in der Suppe. Natürlich gibt es hie und da Dinge, die nicht ganz perfekt sind. Doch dies sind Nebensächlichkeiten wie etwas zu viel Plastik hier, eine etwas umständliche Lösung da. Vielmehr hat man keine Augen für solche Kleinigkeiten, weil die S-Klasse alle Register zieht und einen mit all ihren technischen Highlights in den Bann zieht.

Für alle Hardware-Enthusiasten und Zahlen­fetischisten deshalb hier eine – bei Weitem nicht vollständige – Liste mit den wichtigsten Details.

Die Sitze beinhalten 19 Motoren, lassen sich umfassend verstellen und laden mit zehn Massageprogrammen zum Verweilen ein. Die bis zu fünf Bildschirme sorgen für Ablenkung, die optionale 4-D-Surround-Soundanlage von Burmester mit 31 Lautsprechern und acht Körperschallwandlern liefert ein Musikerlebnis der Extraklasse. 17 Schrittmotoren regeln Temperatur und Luftverteilung individuell für jeden einzelnen Sitz. Die Ambientebeleuchtung sieht nicht nur hübsch aus, sondern unterstützt den Fahrer aktiv mit Hinweisen. Das Licht der LED-Scheinwerfer wird von je 1.3 Millionen Mikrospiegeln gebrochen und gerichtet, was für eine perfekte Ausleuchtung und die Hervorhebung fehlender Markierungen oder dergleichen sorgt. Die S-Klasse beherrscht Autonomie nach Level 3, womit Fahrten auf der Autobahn – vorerst im Stau bis Tempo 60 – komplett dem Auto überlassen werden können. Damit einher geht das Vorhandensein aller aktuell geläufigen Assistenzsysteme. Ein riesiges Head-up-Display weist mit schwebenden Pfeilen auf der Strasse wie in einem Videospiel den Weg. Das Ziel verfehlen? Unmöglich! In der höchsten Ausbaustufe schwenken die Hinterräder mit bis zu zehn Grad mit, was den Wendekreis um zwei Meter verkleinert – irre, wirklich! Bei einem drohenden Seitenaufprall wird die Karosse innert Zehntelsekunden um acht Zentimeter angehoben, um die Kräfte besser abzuleiten. Möglich wird das, weil die Steuergeräte die Fahrsituation 1000-mal pro Sekunde analysieren und das Fahrwerk entsprechend anpassen.

In der Ruhe liegt die Kraft

Wahrlich weiss man bei einem solchem Technikfeuerwerk eigentlich gar nicht, womit man genau beginnen soll. Klar ist: beim Motor oder dem Getriebe nicht mehr. Denn: Hat er, funktioniert gut und ist zumindest im Kontext dieser Hightech-Maschine gar nicht mal so spannend, weil bereits bestens bekannt. Der Dreiliter-Sechszylinder mit 435 PS und 520 Nm Drehmoment bleibt derselbe wie in der vorherigen Generation. Den V8 gibt es noch, allerdings nur noch im teureren S580. Unterstützt wird der Benziner von einem Starter-Generator, der zwischen Motor und Getriebe sitzt. Dieser sorgt mit 22 PS und 250 Nm in erster Linie für einen sanften Motorstart und ermöglicht den Segelbetrieb, hilft aber auch etwas beim Beschleunigen. Mit angegebenen 4.9 Sekunden ist der Sprint von 0 auf 100 km/h alles andere als langsam, vielmehr ist der S500 aber ein hervorragender Gleiter. Der Motor lebt in allen Belangen von seiner Souveränität. Kraftreserven sind nahezu in jedem Gang unbegrenzt vorhanden. Falls nicht, dann schaltet die hervorragende Neungang-Automatik beinahe unmerklich und rasant.

Man muss aber auch sagen, dass man mit der S-Klasse im Wesentlichen gar nicht sonderlich schnell fahren will. Zumindest nicht in Kurven. Hier ist sie in allen Fahrmodi zu weich, zu behäbig, zu unpräzise. Vielmehr sind es dieses Dahingleiten und die Stille, die den beinahe unvergleichlichen Reiz ausmachen. Es scheint fast so, als würde die S-Klasse über ein Luftkissen gleiten wie beim Fliegen, nur ohne Turbulenzen, Luftlöcher oder störende Geräusche.

Die Aerodynamik und Akustik wurden in der neuen Generation dann auch umfassend optimiert. Mit einem cW-Wert von 0.25 ermöglicht das nicht nur einen Verbrauch von 7.8 Litern auf der AR-­Normrunde, sondern auch die effektive Reduk­tion von Windgeräuschen. In Verbindung mit dem optionalen Panoramadach gibt es im Hinterwagen ­eine zusätzliche Querverstrebung für mehr Steifigkeit. Trotzdem konnte das Kofferraumvolumen um 20 auf 550 Liter erhöht werden. Das ist insofern von Bedeutung, als dass die beiden hinteren Einzelsitze nicht umgelegt werden können und nur ­eine kleine Durchreiche besteht. Serienmässig in der S-Klasse verbaut ist allerdings eine herkömmliche Rücksitzbank.

Um noch kurz beim Vergleich mit dem Fliegen zu bleiben: Im Fond herrscht definitiv First Class. Ganz klar, der Chef sitzt hinten rechts und stellt seinen Sessel in die Liegeposition. Der Beifahrersitz fährt dabei automatisch vor, sodass der Chef die Beine ausstrecken kann und die Waden massiert werden können. Über die hinteren beiden Bildschirme können Funktionen des Infotainmentsystems gesteuert werden, die sich nicht direkt aufs Fahren beziehen. Weil die Erreichbarkeit des Screens in der Liegeposition aber einigermassen mühselig ist, steht dazu zusätzlich ein Samsung-Tablet mit demselben Funktionsumfang zur Verfügung.

Alles neu

Zu viel? Kann es das überhaupt sein? Zumindest besteht das Ziel der S-Klasse seit jeher darin, ein Maximum an Komfort, Personalisierung und Annehmlichkeiten zu bieten. Ein Innovationstreiber und Erfolgsgarant war sie schon immer, was der W-223 aber bietet, ist an Technologiedichte derzeit kaum zu übertreffen. Natürlich hat das seinen Preis, der S500 startet bei 152 500 Franken, wobei man durchaus auch etwas für sein Geld bekommt.

Zum Beispiel den von A bis Z neu gestalteten Innenraum. Das Display hinter dem Lenkrad kann mit seiner 3-D-Darstellung Imposantes, das grosse in der Mitte erst recht. Darüber wird beinahe alles gesteuert, einen Knopf gibt es einzig für den Warnblinker. Der Aufbau der zweiten Generation von MBUX ist logisch, übersichtlich und erinnert von der Bedienlogik her an Android. Im unteren Drittel des Touchscreens sind immer die wichtigsten Klimafunktionen eingeblendet. Alles für die Fahrt Essenzielle lässt sich gut und schnell erreichen. Doch der Teufel steckt auch hier im Detail. Denn die Einstellungsmöglichkeiten in der neuen S-Klasse sind atemberaubend, weil schier endlos. So können sieben unterschiedliche Nutzerprofile hinterlegt werden, bei denen je 800 verschiedene Parameter einzeln festgelegt werden können. Das reicht von der Beleuchtung über die Sitzverstellung bis hin zum individuellen Fahrmodus. Beinahe alles, was verstellt werden kann, lässt sich auch verstellen. Und es ist fast unmöglich, zumindest aber nicht sonderlich sicher, dies während der Fahrt auch tatsächlich zu tun. Wer also nicht technikaffin ist, der wird mit dem Benz so seine liebe Mühe haben. Oder aber mehr mit seinem Auto reden, als ihm wohl lieb ist.

Tatkräftig zur Seite steht jederzeit der Sprachassistent. Er versteht organische Befehle und hilft bei fast jedem Problem, egal ob man die Naviansagen stumm schalten, ein Lied suchen oder die Massage starten will. Zudem erkennt er, von wo ein Kommando gekommen ist. Der Befehl «Mir ist kalt» regelt die Temperatur und Sitzheizung nur dort, wo es auch gefordert wurde. «Hey Mercedes, gut gemacht!»

Testergebnis

Gesamtnote 86.5/100

Antrieb

Unverändert. Der Antriebsstrang ist aus dem Vorgänger bekannt und passt nach wie vor hervorragend. Never change a winning team!

Fahrwerk

Sanft. Ein Fahrgefühl wie auf Wolken. Bodenwellen werden effizient gefiltert, Geräusche effektiv unterdrückt. Der perfekte Reisewagen.

Innenraum

Luxuriös. Herz, was willst du mehr! Vorne Business-Class, hinten First Class. Mehr geht derzeit kaum.

Sicherheit

Erstklassig. Sämtliche Sensoren, Kameras und Assistenten sind mit an Bord. In Zukunft sollen weitere Funktionen per Update hinzukommen.

Budget

Angebracht. Die Grenze ist gegen oben zwar fast offen. Aber bei der Konkurrenz bekommt man fürs gleiche Geld auch nicht unbedingt mehr.

Fazit 

Die S-Klasse unterstreicht ihre Position als eine der besten Limousinen der Welt. Ob es für ganz zuoberst auf dem Podest reicht, sei in Anbetracht der ebenfalls immer besser und digitaler werdenden Konkurrenz offen gelassen. Fest steht, dass der Benz voll auf die Karte Zukunft setzt und trotzdem viele alte Tugenden im Programm behält. Technologieaffin sollte man für die neue S-Klasse dennoch sein (wie für beinahe jedes moderne Auto). Zur Unterstützung steht bei Mercedes glücklicherweise die wunderbar funktionierende Sprachbedienung zur Seite.

Die technischen Daten und unsere Messwerte zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.

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