Polestar 1: Ziemlich einzigartig

Tiefe ­Produktionszahlen und ein hoher Preis: Der ­Polestar 1 wird eine ­Rarität bleiben. Und auch technisch sticht das ­Coupé heraus.

Die Ausgliederung von Polestar in eine eigene Marke kam ja für viele unerwartet. Dass das ehemalige Rennteam und die Sporttochter von Volvo plötzlich die Marke für Elektromobilität im Geely-Konzern sein soll, war nicht ganz nachvollziehbar. Als dann das erste Modell bloss ein Fahrzeug mit Plug-in-Hybridantrieb war, hat das erst recht zweifelnde Kommentare provoziert.

Fokus auf den Elektroantrieb

Aber dieser Antrieb funktioniert. Unter der langen Motorhaube sitzt der bekannte Zweiliter-Reihenvierzylinder von Volvo, der durch einen Turbolader und einen mechanischen Kompressor mit Frischluft versorgt wird. So liefert er 227 kW (309 PS) bei 6000 U/min und 370 Nm. Ergänzt wird er durch einen Elektromotor mit 50 kW (68 PS), der zwischen dem Verbrennungsmotor und der Achtgang-Automatik sitzt und vor allem dazu dient, den Lastpunkt des Verbrennungsmotors in einem optimalen Bereich zu halten.

Wenn dem Auto wirklich Leistung abverlangt wird, schalten sich nämlich zwei weitere Elektromotoren an der Hinterachse hinzu. Diese leisten noch einmal je 85 kW (116 PS). So bringt es der gesamte Antriebsstrang auf eine Systemleistung von 448 kW (609 PS) und auf ein Drehmoment von exakt 1000 Nm. Dass es damit ganz ordentlich vorwärts geht, versteht sich von selbst. Der Schub aus dem Stand ist dank der tatkräftigen Unterstützung der Elektromotoren ähnlich direkt wie bei einem Elektroauto. Man darf sich von den Zahlen aber auch nicht täuschen lassen: 0 bis 100 km/h sind in 4.2 Sekunden erledigt. Das ist gleich lange, wie ein Basis-911er mit weniger als der Hälfte des Drehmoments benötigt.

Auch wenn er kein wirkliches Elektroauto ist, treibt Polestar mit dem 1 das Konzept des Plug-­in-Hybrids auf die Spitze. Die Lithium-Ionen-Batterie fasst mit 35 kWh deutlich mehr als übliche PHEV heute. Offiziell preist Polestar damit eine rein elektrische Reichweite von sagenhaften 130 Kilometern an. Der angegebene Benzinverbrauch von 1.1 l/100 km ist natürlich rein theoretischer Natur, denn mit einer solchen Reichweite wird das Auto in den allermeisten Fällen im EV-Modus rein elektrisch bewegt – dann beträgt der Verbrauch im Schnitt 28.4 kWh/100 km. Wer bereits weiss, dass er weiter fahren muss, wählt den Hybrid-Modus, bei dem Verbrenner und Elektroantrieb optimal zusammenarbeiten. Respektive so optimal wie möglich, denn auch im Hybrid-Modus zeigte sich im Test ein Verbrauch von 8.2 l/100 km.

Wohl einzigartig im Umfeld der PHEV ist die Ladeleistung des Polestar 1. Dass ein Plug-in mit einem CCS-Anschluss ausgestattet ist, ist bereits eine Seltenheit, und die Ladeleistung von bis zu 50 kW kann schon mit den schwächeren BEV mithalten. Der Akku ist damit in rund einer Stunde bereits wieder voll geladen, was das Auto auch für längere Strecken interessant machen kann.

Handarbeit bei den Dämpfern

Die grosse Gewichtung des Elektroantriebs hat natürlich auch ihren Nachteil, nämlich eben: das Gewicht. Knapp 2.3 Tonnen wiegt das Sportcoupé, obwohl die Karosserie zu einem grossen Teil aus Karbon aufgebaut ist, was gemäss Hersteller noch einmal 230 Kilogramm einspart. Trotzdem macht sich die Masse bei Kurvenfahrten bemerkbar, wo das Coupé entsprechend träge auf Lastwechsel reagiert. Unterstützend greift das Torque-Vectoring ein, das das Antriebsmoment zwischen den Hinterrädern aufteilt. Die beiden Motoren sind über ein gemeinsames Planetengetriebe mit der Hinterachse verbunden. Dieses regelt die Drehmomentverteilung zwischen den Rädern. Gerade im Sport-­Modus unterstützt die Elektronik so eine dynamische Fahrweise.

Bei den Dämpfern hingegen kann die Elektronik nicht eingreifen. Diese sind zwar verstellbar, aber nicht wie heute üblich auf Knopfdruck, sondern – manuell. So können die Stossdämpfer, die von Rennsportspezialist Öhlins geliefert werden, von Hand in der Härte verstellt werden, und zwar individuell pro Rad direkt am Dämpfer. Dass das niemand wirklich ernsthaft machen wird, ist jedem klar, vom Entwickler bis zum Kunden. Aber es ist eines dieser kleinen Details, die das Auto spannend machen und ihm einen Charakter verleihen, der ihn aus der Masse heraushebt.

Batterie beschränkt den Platz

Dazu trägt sicher auch die Optik bei. Mit der langen Motorhaube, dem gestreckten Kofferraum und den langen Überhängen trägt der Polestar 1 mehr Züge eines klassischen, amerikanischen Coupés denn eines Europäers. Und paart diese mit den nordischen Merkmalen, die einst zu Volvo gehörten und jetzt auch an Polestar vererbt wurden: die Tagfahrlichter in Thors-Hammer-Optik oder die C-förmigen Rückleuchten.

Trotz der Länge von 4.58 Metern ist das Platzangebot eher gering. Wie üblich im Coupé sind die beiden Rücksitze eher Notsitze und nicht für tatsächliches Reisen zu viert vorgesehen. Der Kofferraum ist, in einem Wort zusammengefasst, winzig. Gerade einmal 143 Liter misst er. Ob es angesichts der sowieso schon engen Platzverhältnisse den Schaukasten für die verschiedenen Steckverbindungen des Hochvoltsystems im Kofferraum wirklich braucht, darf man sich fragen. Aber es zeigt, wie stolz man bei Polestar damals war, ein sportliches PHEV-Coupé im Angebot zu haben. Und es ist ein weiteres dieser Dinge, die dem Polestar 1 seinen ganz eigenen Charme verleihen. Der Grund für den wenigen Stauraum liegt unter anderem darin, dass der Polestar 1 noch auf der SPA-Plattform aufbaut, die ursprünglich für Verbrenner vorgesehen war. Die grosse Batterie musste deshalb hinter der Rückbank verbaut werden.

Wenn man im Polestar 1 Platz nimmt, wirkt alles vertraut. Das ist auch kein Wunder, denn ausser dem Logo auf dem Lenkrad ist Polestars Erstlingswerk noch sehr eng mit den Volvo verwandt. Augenfälligstes Beispiel dafür ist der kleine Schaltknauf aus Kristallglas und dahinter der Drehknopf für den Motorstart. Darüber thront, platziert zwischen den hohen Lüftungsdüsen, das Infotainment im Neun-Zoll-Porträtformat. Dessen System lässt erkennen, dass das Auto eigentlich bereits rund zwei Jahre alt ist, denn im Gegensatz zu den neuen Volvo- und Polestar-Modellen kommt der Polestar 1 noch ohne das Google-basierte System aus. Ob man das eine oder das andere bevorzugt, ist sicher Geschmacksache. Tatsache ist, dass auch dieses System mit einem Minimum an physischen Knöpfen auskommt. Lautstärkeregelung, Radiobedienung, Scheibenheizung, das wars. Die Bedienung von Klimaanlage und Lüftung wird an den unteren Rand des Touchscreens verbannt.

Wer weiter nach Gemeinsamkeiten mit Volvo sucht, wird auch an weniger offensichtlichen Orten fündig: der kleine Centerspeaker von Burmester auf dem Armaturenbrett beispielsweise, aber auch die Art und Weise der Ziernähte der Sitze.  Wenn wir beim Polestar 2 stellenweise die mangelnde Qualitätsanmutung kritisiert haben, dann ist der Polestar 1 das komplette Gegenteil. Die, von Volvo bekannte, schwedische Wertigkeit zieht sich durch das gesamte Interieur. Leder und Karbon werden ergänzt durch zurückhaltenden Einsatz von solide anmutendem Kunststoff.

Ist der Preis gerechtfertigt?

Während der Polestar 2 in unserem Test einiges an Kritik einstecken musste, was aber – und das sei betont – grösstenteils durch seinen attraktiven Preis neutralisiert wurde, ist die Situation beim Polestar 1 genau umgekehrt. Am Auto selber gibt es wenig zu monieren – ausser eben den Preis. Mit 170 000 Franken bewegt er sich in einem hochpreisigen Umfeld. Wer so viel Geld ausgibt für ein Auto, überlegt sich gut, worin es investiert werden soll. Ein chinesischer Volvo wird nicht gerade bei vielen zuoberst auf der Liste stehen.

Was aber auch schade ist, da der Polestar 1 in vielen Punkten mit der Konkurrenz in seinem Segment mithalten kann, bloss fehlt ihm der grosse Name. Wenn das zweite Modell in der Palette eine 45 000 Franken günstige Limousine ist, wird es schwierig mit dem Premiumanspruch. Aber eigentlich braucht Polestar auch keinen riesigen Absatz, denn die Produktion ist limitiert auf 1500 Fahrzeuge über den Zeitraum von drei Jahren. Die Produktion läuft Ende Jahr aus. Die Verkaufszahlen in der Schweiz würden wohl kaum zweistellig werden, schätzt Pressesprecher Tobias Glauser.

Immerhin gestaltet sich die Bestellung ziemlich einfach, denn im Gegensatz zu den deutschen Marken, bei denen es einen Spezialisten braucht, der den geneigten Kunden durch den Konfigurator führt, ist die Auswahl an Optionen beim Polestar gering, nicht einmal das Panoramadach ist aufpreispflichtig. Ob dafür die schwedische Einfachheit oder die chinesische Effizienzmaximierung verantwortlich ist, ist schon fast egal. Es passt zu diesem Auto. 

Die technischen Daten und unsere Testdaten zu diesen Modellen finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REUVE.

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