«Natürlich gibt es Investitionen»

Der grünliberale ­Nationalrat Jürg Grossen ist der Meinung, dass ­Gebäudeeigentümer dazu angehalten werden ­sollten, Ladestationen für ihre Mieter zu installieren. Der Bundesrat sieht das anders.

Das rasante Wachstum des Markts für Elektrofahrzeuge in der Schweiz – ihr Marktanteil hat sich innerhalb eines Jahres fast verdoppelt (9.8 %) – könnte bald an Schwung verlieren. Der Grund: die Ladeinfrastruktur. Die überwiegende Mehrheit der Käufer von Elektrofahrzeugen hat eine Ladesäule zu Hause, und zwar aus dem einfachen Grund, dass sie ein Haus besitzen. Für die 60 Prozent der Bevölkerung in einem Mietverhältnis in unserem Land hingegen ist die Installation einer Ladesta­tion auf dem Mietparkplatz ein Hindernislauf. Nationalrat Jürg Grossen ist der Meinung, dass Bauherren dazu verpflichtet werden sollten, Ladesta­tionen zu installieren. Der Präsident der Grünliberalen Partei (GLP) hat im Parlament deswegen eine Motion eingereicht. Der Bundesrat spricht sich allerdings dagegen aus: Er ist der Ansicht, dass Anreize und Subventionen geschaffen werden sollten, anstatt den Bauherren die Pistole auf die Brust zu setzen. Trotz der ablehnenden Haltung des ­Bundesrates ist Jürg Grossen davon überzeugt, dass er im Parlament die nötigen Mehrheiten ­vorfinden wird. Ungewöhnlich ist, dass seine Motion von Nationalräten der Linken und der Rechten, sogar aus den Reihen der SVP, mitunterzeichnet wurde.

AUTOMOBIL REVUE: Wie sind Sie zum Entschluss gekommen, dass es eine solche Motion braucht?

Jürg Grossen: Als Präsident von Swiss E-Mobility erreichen mich täglich Anfragen von Personen, die keinen direkten Zugang zu einer Ladeinfrastruktur haben, weil sie in einem Mietshaus wohnen. Das behindert die Ausbreitung der Elektromobilität. Zahlreiche Gebäudebesitzer haben noch nicht erkannt, wohin die Reise mit der Elektromobilität geht. Wir haben bei den Zulassungen von Neufahrzeugen heute schon einen Anteil von rund 20 Prozent Steckerfahrzeugen, das heisst, wir brauchen schnellstmöglich eine zukunftsträchtige Lösung für die Zukunft, wie die Bewohner einer Miet- oder Stockwerkeigentumsliegenschaft ihre Fahrzeuge unkompliziert und effizient laden können.

Ist das derzeitige öffentliche Ladenetz nicht ausreichend?

Wir haben ein gutes öffentliches Ladenetz in der Schweiz. Es geht hier aber nicht um die öffentlichen Ladestationen. Klar ist, dass Elektrofahrzeuge aus Energie- und Elektrizitätssicht möglichst immer dann eingesteckt werden sollten, wenn sie lange stehen, sprich zu Hause, am Arbeitsplatz oder am besten an beiden Orten. Es geht nicht darum, sich nur an öffentlichen Stationen zu bedienen, wie wir es von der Tankstelle beim Verbrennungsmotor kennen. Schon heute verzichten jeden Tag Leute auf den Kauf eines Elektrofahrzeugs, weil die Ladeinfrastruktur nicht in ihrer Wohnsituation enthalten ist. Das verzögert den Ausbau beziehungsweise die Zunahme der Elektromobilität.

Es ist also schon heute dringend nötig, dass die Motion angenommen wird?

Es ist unglaublich dringend. Die Automobilindustrie bringt die Fahrzeuge jetzt auf den Markt. Wenn aber die Kunden keine Möglichkeit zum Laden haben, behindert das den Verkauf. Wer sich heute gegen ein Elektroauto entscheidet, fährt weiter über Jahre fossil. Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, dass der Bundesrat diese Zeichen der Zeit noch nicht erkannt hat. Es ist eine kleine Sache, die ich fordere, aber eine wichtige und sehr wirkungsvolle. Wir müssen nun konkrete Massnahmen ergreifen.

Wie stark könnte sich der Einfluss einer angenommenen Motion auf den Marktanteil von Elektrofahrzeugen auswirken?

Das ist eine schwierige Frage, zu der ich keine Zahlen nennen kann. Der Marktanteil wird ohnehin  wachsen, weil das Angebot nun hier ist. Mit der Annahme meiner Motion würde weniger gebremst.

Wird die Motion denn überhaupt unterstützt?

Absolut, und zwar von allen Lagern, von links bis rechts. Im Parlament war es überhaupt nicht schwierig, die Leute davon zu überzeugen, weil viele das Problem anerkennen. Das grössere Problem im Fall einer Annahme wird die Zeit sein, bis das Gesetz in Etappen dann auch tatsächlich umgesetzt würde. Doch allein die Signalwirkung brächte schon viel.

Eine Annahme bedeutet grössere Investitionen für die Vermieter. Schadet das nicht der Wettbewerbsfähigkeit?

Ganz im Gegenteil. Natürlich gäbe es Investitionen, die aber früher oder später ohnehin gemacht werden müssen. Schliesslich hat es sich auch irgendwann eingebürgert, dass jede Wohnung mit ­einem Internetanschluss oder einer Geschirrspülmaschine ausgestattet ist. Hier haben wir eine etwas spezielle Situation, weil es um die Mobilität geht. Früher war diese aus Sicht des Vermieters nur ein Parkplatz, heute muss das Gebäude auch die Versorgungsstelle des Fahrzeuges sein. Ich bin fest davon überzeugt, dass es ein Wettbewerbsvorteil ist, wenn man das als Vermieter früh anbieten kann. Denn, wie gesagt, irgendwann müssen diese Investition ohnehin alle tätigen. Klar ist aber auch, dass diese Investitionen zumindest zu einem gewissen Teil auf die Mieter abgewälzt werden.

Für einzelne könnten solche namhaften Investitionen aber auch schwierig sein.

In einem Einfamilienhaus kommt man mit wenigen Tausend Franken schon weit, das ist in Rela­tion zum Fahrzeugpreis nicht viel. In einem Mehrfamilienhaus werden die Kosten pro Mieter gar noch günstiger. Wichtig ist, dass der Vermieter in eine intelligente Ladeinfrastruktur investiert. Wenn 20 Fahrzeuge gleichzeitig geladen werden, dann muss das intelligent gesteuert sein, damit das Stromnetz nicht überlastet wird.

Die Motion betrifft Eigentümer und Mieter mit einem eigenen Parkplatz. Was machen all jene, die ihr Auto beispielsweise in einer blauen Zone parkieren?

Hier ist die Situation anders. Viele Betroffene laden am Arbeitsplatz oder während des Wocheneinkaufs. Sie sind damit viel stärker vom öffentlichen Ladenetz abhängig. Die Städte befassen sich mit Lösungen wie Laternen-Ladestationen. Solche Parkplätze gehören meistens nicht Vermietern, sondern der Stadt, deshalb kann die Mo­tion hier auch nicht direkt weiterhelfen. Wichtig ist auch, dass die Städte Lademöglichkeiten in den Parkhäusern errichten, denn dort stehen die Fahrzeuge ebenfalls während längerer Zeit. Es ist auch zu beachten, dass das Privatfahrzeug ohnehin politisch mehr und mehr aus der Stadt verdrängt wird, die allermeisten Fahrzeugbesitzer werden in Zukunft also auch einen eigenen Parkplatz haben, weil sie in der Agglomeration oder auf dem Land leben.

Sie betonen die Zeit. Sind Langsamlader die bessere Lösung als Schnelllader?

Ich möchte das nicht gegeneinander ausspielen. Für längere Strecken braucht es unbedingt Schnelllade­stationen. Würden wir allerdings nur auf eine schnelle Ladeinfrastruktur setzen, hätten wir irgendwann ein Problem mit sehr hohen Kosten für das Stromnetz. Stellt man sich vor, dass in der Schweiz irgendwann vier Millionen Autos am Stromnetz angeschlossen sind, dann ist es wichtig, dass diese möglichst langsam laden. Technisch wäre die Bereitstellung solcher Schnell-Ladeleistungen zwar möglich, aber es wäre extrem teuer, ineffizient und deshalb nicht sinnvoll.

Reicht denn das heutige Stromnetz überhaupt, um theoretisch vier Millionen Elektrofahrzeuge zu laden?

Wird die Ladeleistung intelligent verteilt, dann reicht es weitgehend. Zumal nie alle Fahrzeuge gleichzeitig mit leerer Batterie am Netz hängen werden. Spannend wird es, wenn alle diese Fahrzeuge als fahrbarer Speicher genutzt werden. Strom muss immer dann hergestellt werden, wenn er gebraucht wird. Hier können Speicher einen Beitrag leisten. Bidirektionales Laden funktioniert schon heute, in Zukunft könnte die gesamte Fahrzeugflotte als grosser, fahrender Energiespeicher funktionieren.

Was halten Sie von synthetischen Treibstoffen? Hier wäre die gesamte Infrastruktur vorhanden.

Das Problem ist, dass die Herstellung zu viel Energie benötigt. Zugegeben, auch in Zukunft wird nicht jedes Fahrzeug batterieelektrisch betrieben sein, einige fahren mit Wasserstoff, Oldtimer vielleicht mit synthetischen Treibstoffen. Grundsätzlich stehe ich sämtlichen alternativen Überlegungen offen gegenüber, zumal schwere Baumaschinen, grosse Flugzeuge oder Schiffe wohl noch lange nicht batterieelektrisch betrieben werden können. Kurzfristig haben wir aber ein Energie- und Klimaproblem zu lösen, daher sollten wir nicht einen Weg einschlagen, auf dem noch mehr Energie verbraucht wird. Bei batterieelektrischen Fahrzeugen kann rund 90 Prozent des hergestellten Stroms vom Fahrzeug genutzt werden, die Effizienz ist also ein grosser Vorteil.

Wie gross ist die Chance auf eine Annahme der Motion?

Das Problem ist, dass der Bundesrat nicht will. Im Parlament hat sie nach meinen Einschätzungen und den Gesprächen eine gute Chance. Doch bis die Motion behandelt wird, kann es gut und gerne noch eineinhalb Jahre dauern. Wir haben aber nicht die Zeit, so lange zu warten. Deshalb kläre ich derzeit ab, ob es einen Weg gibt, dieses Anliegen schneller zu behandeln. λ

3 Kommentare

  1. Von Hausbesitzern per Gesetz die Erstellung von Ladeinfrastruktur für Andere zu verlangen, ist ein starkes Stück Linksextremismus. Mit Ladestationen für Mieter muss ein Gewinn zu realisieren sein, dann kommen die von selbst. Nur dürfte dann das Laden teurer werden als der Kauf von Benzin.

  2. Man müsse Herrn Grossen zu bedenken geben, dass Wasserstoff DIE Lösung ist. Und diese ist nicht allzu weit entfernt. Es wird die Infrastruktur für LKWs aufgebaut. Warum nicht auch tauglich für PWs? Auch die Autoindustrie wird erkennen, dass dies die Zukunft ist. Es ist natürlich klar, dass die PW-Industrie, vor allem die Deutschen, zuerst ihre Technik, die sie im Zuge des Dieselskandals in Windeseile aufgebaut haben, zuerst vermarkten wollen. Eigentlich interessant, wie schnell die Technik für E-Power verfügbar war! Schlummerte schon alles in der Schublade? Auch die Technik für Wasserstoff-Antrieb steht zur Verfügung. Die Japaner und Koreaner machen es vor! Man könnte sich die kostspielige Infrastruktur mit unzähligen Ladestationen sparen!

    • Möchte noch ergänzen: Herr Grossen erwähnt es selber: wo nehmen wir aus heutiger Sicht den Strom her? Zudem bestehen unzählige Tankstellen für fossile Brennstoffe. Warum nicht diese für die Zukunft in Wasser-stofftankstellen umbauen? Technik kennt kaum Grenzen!

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