Kaum ein Autohersteller mag heute bei der Entwicklung neuer Modelle grosse Risiken eingehen. Angesagt sind schrittweise Verbesserungen, grosse, kostenintensive Umwürfe sind out. Aber es gibt auch Ausnahmen, selbst wenn solche Wetten nicht unbedingt aufgehen. Ganz selten gelingt ein grosser Wurf. Bei Land Rover ist das der Fall. Für den Defender wandten sich die Engländer vom Leiterrahmen ab und entwickelten eine selbsttragende Karosserie. Der alte Vierzylinder des Ford Transit wurde durch die moderne Ingenium-Motorenfamilie ersetzt, und die Ecken und Kanten wichen einem zeitgemässen Design. Der brüske Sprung ins 21. Jahrhundert war für das Traditionsmodell ungemein gewagt.
Das Resultat war für einige wenige Fans der reine Skandal, aber in der breiten Öffentlichkeit fielen die Reaktionen ungemein positiv aus. Der Def der zweiten Generation hat in seinem ersten Verkaufsjahr einen veritablen Blitzstart hingelegt. Das gilt nicht nur für die Verkäufe, sondern auch für die bisher 97 000 Vorbestellungen. Auch die Fachpresse ehrte den jüngsten Land Rover und kürte ihn zu einem der Finalisten für die Auszeichnung Car of the Year 2021. Die Manager in Coventry (GB) gestehen, dass alles viel besser läuft, als sie zu wagen gehofft hatten. Vor allem aber dürfte der Erfolg noch wachsen. Das hat zwei Gründe: Erstens ist der Landy nun endlich auch in der traditionell als 90 benannten Kurzversion mit drei Türen verfügbar. Und zweitens führt Land Rover eine neue Motorenfamilie für den Defender ein, welche besser zum Offroader und in die heutige Zeit passt.
P400E: Ein Hybrid für die Berge
Im Jahr 2021 ist eine Zukunft ganz ohne Elektrifizierung kaum noch vorstellbar. Entsprechend bringt auch Land Rover eine Plug-in-Version des Defender. Der P400E kombiniert einen Zweiliter-Vierzylinder mit 300 PS mit einem Elektromotor und kommt auf eine Systemleistung von 404 PS bei 5500 U/min und 640 Nm Drehmoment zwischen 1500 und 4400 U/min.
In Tat und Wahrheit wurde dieser Antriebsstrang weniger bei Land Rover als beim deutschen Zulieferer ZF entwickelt. Der Getriebespezialist hat seit geraumer Zeit auch eine elektrifizierte Version eines seiner Automaten im Angebot. Die technisch hochstehende Lösung bildet auch die Basis für den anderen hartgesottenen Hybrid-Offroader, den Jeep Wrangler 4XE (380 PS). Die Achtstufen-Box verzichtet auf einen traditionellen Drehmomentwandler und ersetzt diesen durch einen Elektromotor mit 143 PS. Der Stromer ist mit je einer On-Off-Kupplung zwischen Verbrenner und Getriebe verbaut, sie leitet die Antriebskraft an alle vier Räder. Der Geländewagen kann auch rein elektrisch fahren, wobei wir von der einfachen Funktionsweise im E-Modus höchst beeindruckt waren.
Die Engländer luden uns auf das Offroadgelände der Land Rover Driving Experience Les Comes in Spanien ein, und wir hätten geschworen, dass der Defender problemlos die Wände hoch gefahren wäre. Wenigstens fast. Bezeugen können wir, dass der Offroader allein per Elektronenkraft eine sandige Steigung mit etwas mehr als 25 Prozent hochkraxelte. Der Elektromotor stemmt 275 Nm Drehmoment auf die Antriebswellen. Die Energie kommt aus einer Batterie mit 19.2 kWh, was eine rein elektrische Reichweite von 43 Kilometern garantieren soll. Im Verbrauchszyklus wirkt sich das in einem theoretischen Verbrauch von 3.3 bis 3.9 l/100 km aus. Dank des 50-kW-Ladegeräts kann der P400E äusserst schnell nachgeladen werden (80 % in 30 min). Für einen Hybrid ist das eine ausgezeichnete Leistung. Leider schränken die unter dem Laderaumboden verbauten Akkus das Gepäckvolumen etwas ein (853 l gegenüber 972 l in der Version mit Verbrennungsmotor). Wirklich störend ist das nicht.
Der im Gelände höchst talentierte Land Rover fühlt sich auch auf befestigten Strassen durchaus wohl. Gerade der Hybrid dürfte den grössten Teil seiner Alltagsfahrten auf dem Asphalt verbringen. Der Wagen ist komfortabel abgestimmt und weist keine übermässige Karosserieneigung oder ungebührliches Eintauchen beim Bremsen auf, obwohl er so viel wiegt wie ein Brummi: Das Leergewicht beträgt 2525 Kilogramm. Das sind 350 Kilogramm mehr als beim Benziner mit 300 PS. Der Plug-in-Hybrid ist übrigens für den Defender 90 nicht zu haben. Die Kurzversion hat schlicht nicht genug Einbaufläche für die voluminöse Batterie.
D200, D250 und D300: Mehr Klasse
Parallel zur umweltfreundlichsten Version entwickelte Land Rover aber auch die Varianten, welche den Offroadfans Freude machen sollen: Die Briten ersetzen den Vierzylinder-Diesel durch einen Reihen-Sechszylinder-Selbstzünder. Der nagelnde Vierer war auch auf unserer Redaktion auf Kritik gestossen. Wir schrieben (AR 34/2020) zum Land Rover Defender 2.0 mit 240 PS: «Der Ingenium-Zweiliter-Vierzylinder-Diesel erwies sich als kräftig, durchzugsstark und sparsam, aber er hat nicht die Manieren eines Sechszylinders.» Der Reihensechser zeigt viel mehr Klasse. Dank seiner Bauweise verteilt er die Massenkräfte gleichmässig über die 720 Grad jedes Viertakter-Zündungszyklus der Kurbelwelle. Das macht auch dem Drehmomentwandler seine Aufgabe leichter, im Geländeeinsatz konstant Antriebsdrehmoment weiterzuleiten. Der Effekt war auf dem anspruchsvollen Offroadkurs deutlich zu spüren.
Land Rover bietet drei Versionen dieses Motors mit verschiedenen Leistungs- und Drehmomentwerten an: Den D200 mit 200 PS und 500 Nm, den D250 mit 249 PS und 570 Nm und schliesslich den D300 mit 300 PS und 650 Nm. Bei allen drei kommt eine Mildhybrid-Abstimmung mit einem 48-Volt-Starter-Generator zum Einsatz. Die Elektronen verbessern den Verbrauch, welcher je nach Version zwischen 8.9 und 9.5 l/100 km liegen soll.
Die Preise für den Defender fangen bei 67 400 Franken für den Dreiliter-Sechszylinder mit 200 PS an. Der Hybrid kostet ab 86 400 Franken. Die Variante mit dem V8 (s. unten) ist in der Grundversion ab 145 100 Franken zu haben. Weitere Ableitungen des Defender sind der Vierzylinder-Benziner P300 (ab 70 400 Franken) und der Sechszylinder-Benziner P400 (ab 81 600 Franken).
Alleskönner Land Rover Defender V8
Das Schmuckstück im Defender-Angebot ist die Version mit dem V8-Motor und 525 PS. Das Topmodell erwies sich als die grösste Überraschung während unseren Testfahrten. Beim ersten Blick auf das Datenblatt drängte sich die Frage auf, was denn ein Achtzylinder in einem Wagen zu suchen hat, der für die Bergfahrten prädestiniert ist. Doch während der Fahrversuche setzte sich die enorme Vielseitigkeit bestens in Szene. Wir waren im kurzen 90 unterwegs und erprobten die verschiedensten Geländehindernisse. Der V8 erwies sich als noch geschmeidiger als seine Brüder, was vor allem auf die 625 Nm zurückzuführen ist. Am meisten beeindruckte uns der V8 aber auf einer Strecke, welche eine Rallye-Sonderprüfung nachstellte. Schon sein Vorwärtsstürmen hätte ihm niemand zugetraut, aber er war auch leicht zum Drift anzuregen und schaffte unglaubliche Sprünge. Die Topversion bekommt übrigens einige besondere Details wie das Alcantara-Lenkrad oder die Schaltpaddles aus Aluminium. Damit verwandelt sich der wie von der Tarantel gestochen beschleunigende V8 (0–100 km/h in 5.4 s) in einen veritablen Wüsten-Rennwagen.
Die technischen Daten zu diesen Modellen finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.