«Das Glas ist bereits wieder halb voll»

Im Interview mit der AUTOMOBIL REVUE erzählt Amag-CEO Helmut Ruhl, was ihn in die Schweiz gebracht hat, wo er die Amag gestern, heute und morgen einordnet – und wieso seine Ducati mit E-Fuels fahren wird.

Helmut Ruhl (52) hat 1996 sein Studium der Betriebswirtschaftslehre in Würzburg (D) abgeschlossen und arbeitet seither in der Autobranche, unter anderem als CFO bei Mercedes-Benz Schweiz. Ab 2017 begleitete er als CFO die Amag Transformation der Careal Holding in die Amag Group. Seit 1. März 2021 ist er CEO der Amag Group AG.

Seit 100 Tagen ist Helmut Ruhl an der Spitze der Amag. Der richtige Zeitpunkt, um mit ihm auf die prägenden Momente zurückzublicken und zu betrachten, wohin die Reise der Amag noch gehen wird.

AUTOMOBIL REVUE: Helmut Ruhl, wie sind Sie zur Amag gekommen?

Helmut Ruhl: Ich war bei Daimler in Stuttgart und habe eines Tages einen Anruf von einem Headhunter erhalten. So bin ich zur Amag gekommen. Das war schon eine grosse Umstellung. Erst einmal ist Daimler natürlich viel grösser, und zweitens ist die Amag-Gruppe ein Familienunternehmen, was eine ganz andere Atmosphäre ist.

Und wie gefällt es Ihnen in der Schweiz?

Ich wohne in der Innerschweiz, und es ist wunderschön da. Ich war ja bereits einmal in der Schweiz, von 2007 bis 2010 bei Mercedes-Benz Schweiz als CFO. Von da ging es nach China und dann wieder zurück nach Stuttgart, wo meine Frau und ich eigentlich beschlossen hatten zu bleiben. Unsere Kinder sollten dort zur Schule gehen können und ihr Umfeld haben. Nach drei Jahren kam dann die Möglichkeit, in die Schweiz zu kommen, und ich habe gespürt, dass das gut werden könnte. So haben wir und unsere Töchter uns unter Tränen von Stuttgart verabschiedet und sind in die Schweiz gezogen. Das war wirklich nicht einfach!

Jetzt sind Sie seit 100 Tagen im Amt. Welcher war der beste Tag von diesen hundert?

Ich kann da keinen einzelnen Tag benennen. Ich habe das Privileg, Dinge machen zu können, die ich eigentlich gar nicht kann. Da lernt man am meisten. Ich durfte als Schnupperlehrling in verschiedene Bereiche blicken und mit anpacken. So war ich beispielsweise im Porsche-Zentrum Maienfeld oder bei Europcar. Es ist unglaublich zu sehen, wie die Mitarbeitenden ehrliche und echte Freude zeigen für ihre Arbeit! Der Mechaniker, mit dem ich in Maienfeld zusammenarbeiten durfte, strahlte und meinte, dass er nach Jahren in verschiedenen Garagen jetzt auf dem Olymp angekommen sei. Und auch die Mitarbeiterinnen bei Europcar zeigten Leidenschaft für ihren Job, obwohl es gerade alles andere als gut läuft.

Wie ist der Ausblick auf die nächsten 100 Tage?

Bis dann sollten wir nach der Chip­krise und der Corona-Krise hoffentlich wieder auf Kurs sein. Im Moment haben wir immer noch Verzögerungen bei der Auslieferung, aber bis im Herbst sollte sich das bei unseren Konzernmarken gelegt haben. Und auch was Corona angeht, heisst es dann wieder back to normal. Einiges, was wir gelernt haben aus der Zeit, nehmen wir sicher mit, beispielsweise das Homeoffice, auch wenn wir das schon vorher hatten. Es müssen ja nicht gerade fünf Tage die Woche sein, aber ein bis zwei Tage zu Hause zu arbeiten, kann man meiner Meinung nach sicher beibehalten.

Schauen wir weiter nach vorne: Wie sieht es in hundert Wochen aus?

Das ist in zwei Jahren, also bis 2023. Bis dahin wollen wir mit Audi in der Schweiz auf Augenhöhe sein mit Mercedes und BMW, was die Verkaufszahlen angeht, was wir dank einer überzeugenden Elektrostrategie schaffen werden. Man muss klar sehen, dass heute jeder ohne schlechtes Gewissen einen Verbrenner kaufen kann – aber die Zukunft gehört den Elektroautos. Das ist eine Gesamttransformation, bei der sich alles mitentwickeln muss. Man darf nicht ideologisch an den Antriebsstrang herangehen. Ausserdem erwarten wir eine Normalisierung auf dem Occasionsmarkt.

Und der weite Ausblick auf 100 Monate – also rund bis ins Jahr 2030?

Unser Ziel ist es, dass es der Amag-Gruppe und der Handelsorganisation mindestens so gut geht wie heute, nach dem Motto Morgen ist besser als heute. Wir haben fünf Schwerpunkte definiert: das Geschäft, die Digitalisierung, die Nachhaltigkeit, den Kulturwandel und die Kundenorientierung. In zehn Jahren ist hoffentlich vieles umgesetzt.

Können Sie das etwas ausführen?

Was unser Geschäft angeht, wollen wir dieses hegen und pflegen, denn schliesslich macht Autofahren Spass, und die Mobilität ist die Voraussetzung für Wohlstand. In der Digitalisierung steckt nebst einem Kundennutzen auch ein grosses Potenzial durch Prozessverbesserungen. Die Nachhaltigkeit gehört für uns als Familienbetrieb quasi dazu, nicht nur ökologisch, sondern auch sozial. Wir nehmen uns ausserdem vor, unseren CO2-Abdruck massiv zu senken. Was den Kulturwandel angeht, da müssen wir uns Mühe geben, auch in zehn Jahren noch ein attraktiver Arbeitgeber zu sein. Die Kundenorientierung versteht sich wohl von selbst. Wir bewegen und begeistern Menschen, und wir müssen customer obsessed sein. Wenn jemand unzufrieden ist, muss man sich um ihn kümmern.

Nach Corona baut die Amag jetzt wieder aus. Ist das ein Zeichen, dass es aufwärts geht?

Es wird aufwärts gehen, auch wenn wir noch nicht ganz heraus sind aus dem Tal. Aber das Glas ist bereits wieder halb voll – und wir haben gelernt, mit den Unsicherheiten umzugehen.

Das Schweizer Stimmvolk hat das CO2-Gesetz abgelehnt. Wie deuten Sie dieses Zeichen?

Ich schätze es sehr, dass in der Schweiz über solche Themen abgestimmt werden kann. Ich denke, das Volk hat mit diesem Nein den Weg verworfen und nicht das Ziel. Und wir bei der Amag-Gruppe haben unser eigenes Ziel und unseren eigenen Weg. Wir bringen allein 2021 acht neue Elektroautos und sieben neue Plug-­in-Hybride. Das grosse Problem ist noch immer die Ladeinfrastruktur, da wird der freie Markt nicht schnell genug funktionieren. Die Hersteller haben ihren Teil geliefert, jetzt ist die Politik gefragt für den Ausbau der Infrastruktur. Aber das braucht Anreize, keine Verbote.

Der Bundesrat hat im Februar Pilotprojekte für Mobility-Pricing bewilligt, wodurch Autofahren noch teurer wird …

Es ist eine Tatsache, dass der Verkehr zunimmt, und es ist nicht realistisch, dass die Infrastruktur im gleichen Masse mitwächst. Deshalb braucht es intelligente Lösungen, wie man den Verkehr steuern kann. Und Mobility-Pricing kann sicher dazu beitragen. Aber es muss eben für alle Verkehrsträger gelten, nicht nur für die Strasse.

Es gibt Stimmen, die prophezeien das Ende des klassischen Autohandels. Die Zukunft liege in Onlinekäufen. Wie schätzen Sie dies ein?

In der Schweiz wird das noch sehr sehr lange nicht geschehen. Schauen Sie bloss, wie viele Autohändler es hier gibt. Jedes Dorf hat mehrere Autogaragen, und die Kunden schätzen den persönlichen Kontakt mit ihrem Garagisten. Die Verschmelzung von Onlinehandel und physischem Kontakt versuchen wir mit Omnichannel zu lösen: Die Leute sollen ihr Auto online zusammenstellen können und dann zu ­einem Händler gehen, der die Konfiguration vor sich hat. In der Abwicklung wird sich aber sicher einiges ändern, und die Fahrzeuglager werden zunehmend zentralisiert.

Bedeutet diese Verschiebung ins Internet einen Arbeitsplatzabbau?

Ich denke nicht. Das kommt nicht überraschend, und wir haben Zeit, uns anzupassen. So werden neue Geschäfte und neue Arbeitsplätze möglich.

Stichwort Digitalisierung: Die Amag hat mit dem Innovation & Venture Lab eine eigene Abteilung dafür. Sind die Tage der Amag als klassischer Garagist vorbei?

Die Amag-Gruppe ist kein Grosskonzern. Wir wollen die Kultur einer Garage: kundenorientiert, kurze Entscheidungswege und lösungsorientiert. Mit dem Lab sind wir am Puls der Zeit und arbeiten an verschiedenen Themen, eben auch an Omni­channel oder Abomodellen für die Kunden.

Ist das Autoabo die Zukunft?

Worum geht es? Um Convenience, Kostentransparenz und hohe Flexibilität. Und jetzt gibt es reine Aboanbieter oder klassische Anbieter, die sich dorthin entwickeln, wie eben die Amag Leasing. Im Kern ist ein Abo – wenn auch juristisch anders – ein Fullservice Leasing mit variablerer Kündigungsfrist. Wie gross dieser Markt für die Flexibilität schlussendlich ist, wird sich weisen. Der Kunde abonniert Netflix nicht, weil es Netflix ist, sondern weil die Filme gut sind. Bei uns heisst das, der Kunde will ein Auto. Wir haben gute Autos, die kann man kaufen, leasen oder abonnieren. Ob das 405 werden, wie Experten prophezeien, mach ich ein Fragezeichen.

VW geht kategorisch in Richtung E-Mobilität, andere sehen auch Wasserstoff oder E-Fuels als Lösungen. Was ist ihre Einschätzung hierzu?

Beim PW ist für mich klar, dass die nächsten zwei Modellzyklen elektrisch sein werden. Meine persönliche Einschätzung ist, dass sich bei den schweren Nutzfahrzeugen der Wasserstoff wird durchsetzen können. Die E-Fuels haben auch ihre Berechtigung für den Betrieb der bestehenden Flotte, denn auch diese Autos werden noch eine Weile im Einsatz sein, so auch die Klassiker wie der Porsche 911.

Und was fahren Sie privat? Ein Elektroauto?

Ich fahre seit zwei Jahren elektrisch, aktuell einen Audi E-Tron Sportback. Das funktioniert sehr gut! Und dann steht bei mir schon lange auch noch ­eine Ducati in der Garage. Ich sage mir immer: Wenn meine Kinder gross sind, dann nehme ich die wieder hervor. Die fährt dann wohl mit E-Fuels …

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