Ein Genf ohne Autosalon

In diesen Tagen wäre in Genf der Autosalon eröffnet worden – bereits zum zweiten Mal in Folge findet er nicht statt. Was bedeutet das für die ­Region? Die AUTOMOBIL REVUE hat nachgefragt.

Der Autosalon von Genf spielt für die ganze Region eine wichtige Rolle bringt jedes Jahr rund 200 Millionen Franken ein. Ein dauerhafter Wegfall wäre ein schwerer Schlag.

Anfang März wimmelt es in Genf normalerweise von Menschen. Lastwagen drängen sich, schwarze Limousinen mit Chauffeur reihen sich vor den Luxushotels auf, spezielle Shuttlebusse sind überall in der Stadt zu sehen, und Umfahrungen leiten den Verkehr um das Epizentrum all dieser Aktivitäten, das Palexpo, herum. 14 Tage lang lebt die Calvinstadt im Takt der grössten Publikumsveranstaltung der Schweiz. Die Organisatoren schätzen die wirtschaftlichen Sekundäreffekte in der Region für Handel, Tourismus, Restaurants und Hotels auf 200 Millionen Franken. Ja, so war es einmal, bis 2020, als der Internationale Automobilsalon in Genf nur wenige Tage vor seiner Eröffnung abgesagt wurde und damit ein Erdbeben auslöste. «Die Absage des Autosalons war der erste Schock, mit dem der Abstieg in die Hölle begann», so Gilles Rangon, Präsident des Genfer Hotelierverbands (SHG). Die Branche hat in der Tat ein katastrophales Geschäftsjahr 2020 hinter sich mit einem Rückgang der Übernachtungen um 67 Prozent auf eine Million anstelle der in Genf üblichen 3.2 Millionen.

Die fetten Jahre sind vorbei

Ein Jahr später ist der unsichtbare Feind immer noch nicht besiegt, Genf muss ein zweites Jahr ohne Autosalon verkraften. Schmerzvoll auch für die Inhaber von Restaurants, von denen einige in den ersten beiden März-Wochen gewöhnlich ausgebucht oder fast ausgebucht waren. «Vor allem abends hat sich der Unterschied bemerkbar gemacht, wo wir normalerweise grosse Gruppen hatten, die von den Autohäusern und Werkstätten eingeladen wurden», erklärt Roberto Petulla, Inhaber des Arte Café in Meyrin GE, das wenige Kilometer vom Palexpo entfernt liegt. Sein Pendant im Café Leo in Genf, Daniel Carugati, bestätigt den Kundenandrang schon während der Standbauphase. Der Gastronom, dessen Betrieb im Stadtzentrum liegt, relativiert allerdings die Bedeutung der GIMS für seinen Umsatz: «Wir hatten bereits ­einen Rückgang der Kundenzahlen zu verzeichnen, als die Messe vom Plainpalais in den Palexpo (1982 – Red.) umzog. Die beste Zeit für uns waren die 1970er-Jahre.» Daniel Carugati «rechnet nicht mehr» mit der Messe, die seiner Meinung nach «­einer vergangenen Ära angehört».

Umzug verhindern

Andere wiederum können sich mit dem Gedanken an ein Genf ohne Autosalon nicht abfinden, auch wenn die Veranstaltung schon seit zwei Jahren im Kalender fehlt. Ivan Slatkine, Präsident der Fédération des Entreprises Romandes (FER), gibt nicht auf. «Es heisst manchmal, eine Veranstaltung könne, wenn sie zweimal ausfällt, auch dauerhaft entfallen. Wir hoffen nicht, dass diese zwei Jahre ohne Autosalon das Ende bedeuten. Wir sind zuversichtlich, dass diese Veranstaltung in Genf bleiben wird.» Der Verbandspräsident bezieht sich hier auf die Drohung der GIMS-Organisatoren, die Veranstaltung nach dem Streit mit Palexpo in eine andere Schweizer Stadt zu verlegen. Die Manager der Genfer Messehallen haben sich nämlich gegen den Willen des GIMS-Komitees dafür eingesetzt, dass die Messe im Jahr 2021 stattfinden soll. Für die Organisatoren des Automobilsalons war es bereits Mitte 2020 undenkbar, eine Ausgabe 2021 zu veranstalten, weil sie davon ausgingen, dass die Krise nicht so schnell überstanden sein würde. «Aus heutiger Sicht hatten die Organisatoren des Genfer Automobilsalons recht», gibt Ivan Slatkine zu. Es gehe jedoch nicht darum, wer in dieser Angelegenheit recht oder unrecht habe. Aber: «Ich hoffe sehr, dass Palexpo und die Organisatoren des Autosalons eine einvernehmliche Lösung finden und dass 2022 ein Salon stattfinden wird.»

Zu teure Hotels

Auch wenn sich Palexpo und die Organisatoren schliesslich auf 2022 einigen mussten, bleibt noch ein anderes Problem: Der Autosalon hat an Dynamik eingebüsst. Während er in guten Jahren regelmässig zwischen 650 000 und 700 000 Besucher begrüsste, verzeichnete die GIMS im Jahr 2019 gerade einmal 600 000 Besucher. Das Interesse der Aussteller, ihre neuen Produkte auf einem Autosalon vorzustellen, hat nachgelassen. Sie ziehen es vor, ihre eigenen Veranstaltungen zu organisieren. Ausserdem macht sich hinter den Kulissen Unmut über die Preise in Genf breit. Insbesondere werden bestimmte Hotels kritisiert, die ihre Preise während der Messezeit deutlich erhöhen. «Es ist sicher, dass es in den goldenen Jahren exzessive Praktiken gab», bedauert Ivan Slatkine. Der Präsident der FER mahnt: «Wenn der Automobilsalon in Genf bleiben soll, müssen sich alle an dieser Veranstaltung beteiligten Akteure die richtigen Fragen stellen. Es wäre wünschenswert, dass bestimmte Tarife nach unten korrigiert werden und das Geschäft weitergeht, statt gar keine Kunden zu haben. Es käme sehr schlecht an, wenn man zu den Preisen von 2019 zurückkehren würde. Die Hoteliers haben ein grosses Interesse daran, dass diese Messe 2022 stattfindet, sie sollten ebenfalls zu den Bemühungen beitragen.»

Das Überleben Genfs

Eine Kritik, auf die der Präsident des Genfer Hotelierverbandes, Gilles Rangon, ausweichend antwortet: «Ich kann mich nicht zu den einzelnen Hotels äussern, die die Situation ausgenutzt haben.» Er verweist zudem auf die Restaurants, die «auch teuer» seien. Der Manager des Hotels Eden nennt auch die Gründe für die hohen Preise: «In Genf haben wir den weltweit höchsten Mindestlohn (3864 Fr. pro Monat – Red.). Trotzdem sind die Zimmerpreise vergleichbar mit denen in Zürich und Basel. Es ist eine Dienstleistung, die Kosten verursacht, und die Margen sind recht gering.» Gilles Rangon gibt jedoch zu, dass man sich «neu positionieren» müsse und dass eine «gemeinsame Anstrengung» unternommen werden müsse, um die Veranstaltung in Genf zu halten. Ein Punkt, in dem sich alle einig sind, wie Roberto Petulla bestätigt, denn das Überleben eines Teils der Genfer Wirtschaft stehe auf dem Spiel: «Wenn es im Kanton keine internationalen Aktivitäten mehr gäbe, bedeutete das für viele Branchen den Tod. Der Salon war das Aushängeschild der Stadt Genf als aktiver und internationaler Standort.»

Während Daniel Carugati pessimistisch in die Zukunft blickt, weil «die Menschen sich nicht mehr so verhalten werden wie früher», halten andere eine Rückkehr zu einer Situation wie vor der Zeit von Covid-19 für möglich, wenn auch mit leichten Änderungen. «Wir arbeiten daran, eine neue Normalität zu schaffen», sagt Gilles Rangon. «Die Menschen leben seit einem Jahr zwischen Frustration, Psychose und Angst. Sie haben nur ­einen Wunsch, nämlich sich wieder frei bewegen zu können!» Und es ist sicher, dass ein Autosalon im Jahr 2022 eine heilvolle Perspektive für eine Branche wäre, die durch die Krise schwer gelitten hat. Wie die Sache ausgeht – positiv oder nicht – wird sich wohl schon bald zeigen!

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