Der Touring Club Schweiz unterstützt das neue CO2-Gesetz, das höhere Abgaben für die Automobilisten bringt. Im Interview stellt sich TCS-Zentralpräsident Peter Goetschi den kritischen Fragen der AUTOMOBIL REVUE.
AUTOMOBIL REVUE: Herr Goetschi, der TCS schreibt in seinem eigenen Magazin «Touring», das neue CO2-Gesetz bringe «teurere Flugtickets» und «mehr Abgaben auf Benzin und Heizöl». Die Mobilität wird also teils massiv verteuert. Trotzdem sind Sie für das neue Gesetz. Wie ist das möglich?
Peter Goetschi: Die Schweiz hat das Pariser Abkommen ratifiziert. Wir stehen damit in der Pflicht, den CO2-Ausstoss bis 2030 im Vergleich zu 1990 zu halbieren. Die Mobilität verursacht knapp 40 Prozent des CO2-Ausstosses unseres Landes. Es gibt somit keine Lösung ohne Auswirkungen auf die Mobilität. Das Parlament hat ein neues Gesetz nach drei Jahren Debatte verabschiedet. Es ist ein gut schweizerischer Kompromiss, durch den wir unsere Verantwortung wahrnehmen können. Ohne dieses Gesetz bliebe die Aufgabe ungelöst. Mit diesem Gesetz bleibt auch in Zukunft die freie Wahl der Verkehrsmittel – die individuelle Mobilität wird nicht eingeschränkt.
Die Autofahrer werden zusätzlich zur Kasse gebeten. Pro Liter Benzin müssen sie zehn und ab 2025 sogar zwölf Rappen mehr bezahlen. Bereits heute betragen die Abgaben an den Staat 85 Rappen pro Liter, also rund zwei Drittel des aktuellen Preises an der Zapfsäule. Mit dem CO2-Gesetz wird diese drückende Abgabenlast noch einmal in die Höhe geschraubt. Das kann doch nicht im Interesse von Automobilistinnen und Automobilisten sein, die den Grossteil Ihrer Mitglieder ausmachen?
Achtung: Zehn beziehungsweise zwölf Rappen sind der neue Maximalaufschlag. Angesichts des heute bereits existierenden Maximalaufschlags von fünf Rappen bedeutet dies eine Erhöhung von fünf beziehungsweise sieben Rappen. Alsdann ist es nicht ein fixer Aufschlag, sondern ein Maximum. Ob es so weit kommt, werden wir erst noch sehen. So ist der bisherige Maximalaufschlag von fünf Rappen nicht ausgeschöpft worden. Wenn wir schon beim Rechnen sind: Wir Schweizer fahren im Schnitt 13 500 Kilometer im Jahr. Mit einem Auto, das 7.3 Liter Benzin auf 100 Kilometer verbraucht, werden Zusatzkosten von maximal knapp 100 Franken im Jahr anfallen. Ich bin mir bewusst, dass dies nicht unbedeutende Kosten sind. Sie sind aber klar begrenzt, dafür haben wir uns stark gemacht, und mit diesen Mitteln werden konkret die CO2-Emissionen der Mobilität kompensiert. Es wird etwas fürs Klima gemacht! Vergessen wir zudem nicht, dass der durchschnittliche Verbrauch der Autos und damit auch die Auswirkungen der Zapfsäule aufs Portemonnaie sinken.
Offenbar gab es auch prominente Austritte aus dem TCS wegen Ihrer CO2-Strategie. So hat etwa Walter Wobmann, Präsident der Föderation der Motorradfahrer und SVP-Nationalrat, den TCS im Protest verlassen. Wie viele Mitglieder haben Sie deswegen verloren? Und wie gross schätzen Sie den dadurch entstandenen Imageschaden ein?
Wir kommunizieren nicht namentlich über Kündigungen. Zur Wahrung der individuellen Mobilität ist die ökologische Transformation ausschlaggebend. Auf dem Weg dorthin gibt es Abgänge, aber auch Zugänge von Mitgliedern. Abschliessend beurteilen können wir die Abgänge im Zusammenhang mit unserer Position zum CO2-Gesetz noch nicht, aber ich kann Ihnen sagen, dass diese Kündigungen auf meinem Schreibtisch landen und sich deren Zahl zurzeit im einstelligen Bereich bewegt.
Eine breite Allianz von bürgerlichen Kräften und des Gewerbes, darunter auch die Verbände der Automobilbranche, ergreifen das Referendum gegen das CO2-Gesetz. Dass der TCS das Referendum nicht unterstützt, verstehen viele nicht. Haben Sie denn Angst vor dem Volk?
Der TCS hat in seiner bald 125-jährigen Geschichte viele Vorlagen vors Volk gebracht. Wir haben zur Genüge bewiesen, dass wir das Volk nicht scheuen. Bei den allermeisten Abstimmungen standen wir in einer Reihe mit den erwähnten Partnern. Auch haben wir dem CO2-Gesetz gemeinsam einige Zähne gezogen. Und es ist nicht so, dass das CO2-Gesetz geschlossen von den Bürgerlichen und dem Gewerbe bekämpft wird, sonst hätte es nie eine Mehrheit im Parlament gefunden. Was uns unterscheidet, ist also die Einschätzung über das Ergebnis der Parlamentsberatungen. Neben dem Trennenden ist weiterhin viel Gemeinsames vorhanden.
Wie man hört, wird das Referendum in Rekordzeit zustande kommen. Spätestens im Abstimmungskampf wird dann also doch das Trennende dominieren. Befürchten Sie nicht, dass dieser Bruderkampf der Sache des motorisierten Individualverkehrs schaden wird?
Nein. Wir werden die Abstimmung nicht als Kampf gegen die eigene Familie betrachten und uns auch nicht so aufstellen. Wir sehen unsere Rolle in dieser Kampagne darin, konkrete Vorschläge, um die Transition zu einer sauberen Mobilität zu fördern, in die Debatte einzubringen. Die ambitiösen Ziele, welche die Schweiz unterzeichnet hat, werden nicht durch ein Gesetz erreicht werden können, sondern durch eine allmähliche Veränderung unseres Fuhrparks. Um dies umzusetzen, braucht die Bevölkerung eine konkrete Unterstützung und eine leistungsfähige Infrastruktur.
Der TCS hat im Jahr 2013 mitgeholfen, durch das Referendum die Erhöhung des Preises der Autobahnvignette auf 100 Franken zu bodigen. Heute stimmt er noch höheren Zuschlägen auf Kosten des motorisierten Verkehrs zu. Fahren Sie einen politischen Zickzackkurs?
Nein. Unsere politische Linie ist transparent und konsistent. Unser Engagement gilt der Beibehaltung der freien Wahl des Verkehrsmittels sowie einer sicheren und nachhaltigen Mobilität. Dies hat uns bei der Entscheidung über das CO2-Gesetz geleitet. Die Ausgangslage bei der Vignette war eine völlig andere. Wir haben gegen alle Widerstände gegen die ungerechtfertigte Erhöhung ohne Gegenwert gekämpft. Die Zeit hat unserer Einschätzung Recht gegeben: Der Bund hat die Übernahme der 400 Kilometer Kantonsstrassen auch ohne Erhöhung des Vignettenpreises verkraftet.
Das CO2-Gesetz ist ein äusserst kompliziertes und gefrässiges Bürokratiemonster, das Milliarden verschlingt. Gäbe es nicht vernünftigere Mittel und Wege, die Klimaziele zu erreichen?
Mit Erfolg haben wir uns dagegen gewehrt, dass die Kompensation von durch den Verkehr verursachten CO2-Emissionen durch den Staat verwaltet wird. Stattdessen kann der bislang erfolgreiche Weg mit der Stiftung Klimaschutz und CO2‑Kompensation weitergeführt werden, die aus der Branche entstanden ist. Diese hat es also selber in der Hand, kein Bürokratiemonster zu schaffen!
Um den neuen Klimafonds zu äufnen, werden Gelder aus dem Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds NAF umgeleitet. Das ist eine klare Zweckentfremdung. Heissen Sie diese gut?
Der NAF finanziert sich aus Mineralölsteuer und -zuschlag, Vignette und Motorfahrzeugimportsteuer, insgesamt fast drei Milliarden Franken pro Jahr. Hier ändert nichts. Die angesprochene Umleitung betrifft Mittel aus Sanktionen, die in den letzten Jahren wenig gebracht haben, mit Ausnahme von 2019, als sie sich auf 78 Millionen Franken beliefen. Auch wenn die Einnahmen aus diesen Sanktionen voraussichtlich in den kommenden Jahren steigen werden, kann kaum seriös behauptet werden, die Zahlung der Hälfte davon an den Klimafonds stelle die Finanzierung der Infrastruktur in Frage. Die Zweckentfremdung hätte bisher etwa ein Prozent des NAF betroffen. Zwischenzeitlich wollte sich das Parlament mehr im NAF bedienen. Das haben wir gemeinsam verhindert.
Der Einfluss der CO2-Emissionen aus der Schweiz auf das Weltklima ist praktisch vernachlässigbar. Ist der enorme Aufwand, den das CO2-Gesetz mit sich bringt, angesichts der bescheidenen Wirkung überhaupt gerechtfertigt?
Noch einmal: Mit der Ratifizierung des Pariser Abkommens ist die Schweiz eine Verpflichtung eingegangen. Diese gilt es zu honorieren. Unser Land ist wie kein zweites mit der Welt vernetzt. Wir profitieren stark davon. Im Gegenzug ist es nichts als richtig, auch zu der Bewältigung der Herausforderungen beizutragen. Übrigens: Alle Staaten leisten proportional gleich viel.
In einem Interview im TCS-Magazin «Touring» haben Sie sich für «Subventionen, Anschubfinanzierungen und andere Unterstützung» für die Elektromobilität ausgesprochen. Ist es wirklich Sache des Staates, also letztlich des Steuerzahlers, eine bestimmte Antriebstechnologie zu fördern und zu finanzieren?
Nehmen wir einmal die Sicht des Autofahrers ein. Ihm sagt die Politik, er solle einen Beitrag zum Abbau des CO2-Ausstosses leisten. Wir antworten: Dann muss das sauberere Auto auch erschwinglich sein. Welche Antriebstechnologie sich langfristig durchsetzt, wird sich noch weisen. Wenn wir aber den heutigen Markt und die Strategien der Automobilhersteller betrachten, so wird die Elektromobilität sicher ein wichtige Zwischenrolle übernehmen. Und damit wird die Ladeinfrastruktur zentral. Es braucht Hundertausende Ladestationen für Laternenparkierer, Einfamilienhausbesitzer oder Mieter, unterwegs und auch am Arbeitsplatz. Hinzu kommen Schnelllader. Diese Grundausrüstung kostet. Warum soll hierzu nicht Steuergeld eingesetzt werden, wo doch die Mobilität viele Steuern zahlt?
Abgesehen von der CO2-Problematik: Wo sehen Sie gegenwärtig die grössten Baustellen der Verkehrspolitik?
Da gibt es einige. Wenn ich an gewisse Städte denke, gilt es, die Mobilität zu bewahren. Mit Blick auf Engpassbeseitigungen und Ausbauvorhaben sind die durchs Parlament beschlossenen Vorhaben auch vor Ort umzusetzen. Wenn wir weiter in die Zukunft schauen, so wird die Mobilität, unterstützt durch die Digitalisierung, immer multimodaler. Diese Entwicklung darf nicht von Ideologien getrieben werden, sondern muss im Endeffekt für den Nutzer stimmen. Schliesslich hat der individuelle Verkehr die ökologische Transition mit der und nicht gegen die Bevölkerung zu meistern. Sie sehen, es gibt für alle Akteure der Branche viel zu tun. Darum tauschen wir uns auch ständig aus.
Bald ist Weihnachten, die Zeit der Versöhnung und des Wünschens. Wenn Sie drei Wünsche freihätten, wie die Mobilität in der Schweiz im Jahr 2030 aussieht, wie lauteten diese?
Die Möglichkeiten der Technik haben sich weiterentwickelt: Die Mobilität ist erstens weiterhin für alle zugänglich, zweitens sauberer und drittens sicherer. Dadurch sind die Klagen gegen die Mobilität verstummt und wir können uns alle ihrer weiteren Entwicklung widmen.
Zur Person
Peter Goetschi ist seit 2012 Zentralpräsident des Touring Club Schweiz, des grössten Mobilitätsklubs des Landes mit rund 1.5 Millionen Mitgliedern. Er studierte an der Universität Freiburg Rechtswissenschaften und arbeitete während mehrerer Jahre als Anwalt. Von 2002 bis 2011 war er für die Wirtschaftsprüfungs- sowie Steuer- und Unternehmensberatungsgesellschaft KPMG tätig. Als Zentralpräsident des Touring Clubs präsidiert Goetschi derzeit auch die Assista Rechtsschutz AG, die TCS Versicherungs AG, die Mobilitäts-Akademie AG sowie die TCS Training und Freizeit AG. Auf internationaler Ebene vertritt er den TCS in verschiedenen Gremien der Fédération Internationale de l’Automobile (FIA).