«Man ist ja bei allen Studien überzeugt, dass nur diese Idee die Welt rettet»

IM GESPRÄCH Es ist eine Sensation: Porsche öffnet seine geheimste Garage und zeigt die wildesten Designentwürfe. Michael Mauer, Designchef von Porsche, erzählt, wie es zu diesen Studien kam.

Interview: Peter Ruch

Während andere Chefdesigner sich gerne als Superstars präsentieren, farbige Turnschuhe tragen, zu enge zu kurze Hosen oder dicke Uhren, ist Michael Mauer eher zurückhaltend. Der 58-Jährige, der in Pforzheim (D) Automobildesign studiert und bei Mercedes sowie Saab gearbeitet hatte, bevor er 2004 zu Porsche kam, ist zwar äusserst eloquent, doch er mag mehr die feinen Zwischentöne. Auch bei der Arbeit; es heisst, dass er ein unglaublich gutes Auge für Details habe. Mauer trägt einen schlichten, grauen Pullover, im Gespräch lacht er häufig – und er ist ein wahrer Petrolhead, kann wunderbar erzählen von Motorengeräuschen und manuellen Schaltungen und Bergstrassen. Selbstverständlich ist er ganz Porsche, aber er kennt sich auch bestens aus in der Geschichte des Automobils, sagt: «Wir Designer gehen mit offenen Augen durchs Leben.» Der Chefdesigner von Porsche (und zwischen Ende 2015 und April 2020 auch Leiter des Konzernbereichs Design der Volkswagen AG) sagt immer: wir. Er sieht sich als Teil eines hervorragenden Teams.

Automobil Revue: Wie darf man sich den Findungsprozess für solche Projekte, wie Sie sie uns jetzt zeigen, vorstellen? Kommen Sie am Montag ins Büro und sagen, jetzt bauen wir uns mal einen Nachfolger des 917?

Michael Mauer: Das könnte theoretisch auch der Startpunkt sein. Wir haben zwei kleine Teams, die sich mit diesen Zukunftsthemen beschäftigen, dazu den monatlichen Kreativ-Austausch des gesamten Designbereichs, bei dem sich jeder einbringen kann, um eine Idee zu pitchen. Bei der Studie des 904 begann es so, dass ein Kollege auf der Autobahn den VW XL1 gesehen hatte – und fragte: Könnten wir daraus vielleicht einen Porsche machen? Jeder ist quasi beauftragt, mit neuen Ideen um die Ecke zu kommen. So war es auch beim 917. Da sagte jemand, das ist eine so wichtige Ikone für Porsche, sollten wir vielleicht davon einmal eine moderne Interpretation machen?

Das Buch!
Der Münchner Stefan Bogner gehört definitiv zu den besten Autofotografen der Welt, sein Magazin «Curves» ist Legende. Jan Karl Baedeker ist Chefredakor von www.classicdriver.com, Autor noch so manch eines Buches zumeist über Automobildesign und sicher einer der kompetentesten Journalisten für alles auf vier Rädern. Gemeinsam haben sie für den Verlag Delius-Klasing das Werk «Porsche Unseen» erstellt, von dem wir noch gar nichts wissen können, weil es erst heute, am 12. November 2020, der Öffentlichkeit vorgestellt wird. Wir wollen aber für Bogner/Baedeker die Hand ins Feuer legen. Wenn sie miteinander ein Buch erstellen, dann wird dieses sowohl optisch wie auch in Sachen Text auf höchstem Niveau sein. Und ist deshalb in den nächsten Tagen sicher auch online oder bei Ihrem Buchhändler erhältlich.

Der Designchef von Porsche spricht gerne von den Projekten, man hört es, dass da eine emotionale Verbundenheit besteht: «Die Entwicklung von Automobilen ist ein derart komplexer Prozess, dass die Möglichkeitsräume bei Serienfahrzeugen begrenzter sind. Diese Designstudien ermöglichen hier weit kreativere Ansätze.  Eine der Kernaufgaben bei Serienfahrzeugen ist es, das formale Grundkonzept bis in die Serie hinüber zu bringen.» Doch noch lieber spricht Mauer von den Prozessen, davon, wie die Arbeit seines Teams abläuft: «Wenn man eine Marke frisch halten will, wenn man auch auf Fragen zur Zukunft Antworten haben will, dann soll man sehr weit in die Zukunft gehen, sich dort umschauen – und Konzepte entwickeln können ohne den Druck einer baldigen Serienproduktion, ohne alle technischen Anforderungen erfüllen zu müssen. Wenn man dann wieder vom Übermorgen ins Morgen zurückkommt, dann hat man auch mehr Sicherheit und Orientierung. Die Studien, die wir hier zeigen, hatten alle einen ganz unterschiedlichen Startpunkt. Aber nie jenen, dass wir über einen Nachfolger eines existierenden Serienfahrzeugs nachdenken mussten oder gar eine Portfolio-Erweiterung.» Also: Viel weiter vorausdenken, dann wieder in die Realität zurückkehren. Mauer illustriert das am Porsche Vision Turismo (s. Seite 15), bei dem der Gedanke war, ­einen viersitzigen Supersportwagen zu konstruieren. Man wusste aber damals (2016), dass dies mit der vorhandenen Technologie nicht möglich war. Doch als man dann über den Taycan sinnierte, da war dieses Projekt so etwas wie die Blaupause: «Es kann sein, dass wir nur Details übernehmen – und diese dann zukünftige Serienprodukte beeinflussen.» Und dann sagt er auch noch: «Sicher wird es irgendwann wieder einen Supersportwagen von Porsche geben. Die Betonung liegt auf: irgendwann. Das ist alles auch abhängig von der Technologie.»

Wenn Sie einen Nachfolger eines 917 oder 904 entwerfen, ziehen Sie sich aber schon auch grosse Schuhe an. Wie ist das mit dem Respekt vor solchen Ikonen?

Natürlich können wir als Designer hier bei Porsche extrem dankbar sein, dass es bei uns solch starke Fahrzeuge gibt, solche Ikonen. Es ist klar, dass es dann ganz natürlich ist, dass wir an diese Ikonen denken, wenn wir über einen neuen Supersportwagen sprechen. Ein 917 oder ein 904 waren so wichtige Fahrzeuge, die Frage ist, ob sie einen Versuch wert sind. Auf der einen Seite will man ja schon ­einen klaren Bezug zu diesen Fahrzeugen herstellen, auf der anderen Seite aber auch nicht einfach eine Replika bauen. Es braucht da schon auch ­eine gewisse Respektlosigkeit, dass wir auch nicht davor zurückschrecken, uns dieser Themen anzunehmen.

Wäre es denkbar, dass Sie auch einmal alle Versuche und Projekte rund um den 911 zeigen?

Alles zeigen wir auch nicht. An die nächste Generation des 911 denken wir nicht mehr, wir sind längst an der übernächsten. Also eigentlich an der überübernächsten, damit wir dann wieder zurückkehren können.

Wie sehr hängt Ihr Herz an einem puristischen, kleinen Sportwagen?

Sehr! Man ist ja bei allen Studien zutiefst davon überzeugt, dass nur diese Idee die Welt rettet. Manchmal ist es schwer damit umzugehen, dass ein Projekt aus vielerlei Gründen nicht sinnvoll  oder realisierbar ist – ich bin mir bewusst, dass ein Grossteil meines Gehaltes sozusagen eine Art Schmerzensgeld ist. Doch ich gehöre zu einer Generation, die gerne Autos fährt. Ich fahre gern ohne elektrische Helferlein, möchte als Fahrer die entscheidende Rolle spielen. Und deshalb habe ich sicher eine Verbundenheit zu diesen Back-to-the-roots-Projekten wie dem 904 Living Legend (s. Seite 8/9). Der übrigens nicht als 904 gestartet ist, aber in seinen Dimensionen so nah an diesem Modell ist, ein kleines Auto, dass wir irgendwann die Verwandtschaft gesehen haben.

Gerne plaudert Mauer auch über die Vision Renndienst: «Manchmal ist nicht mehr nachvollziehbar, woher die Inspiration kam. Aber wir können aus fast allem einen Porsche machen. Die Frage ist aber, ob sich daraus auch ein Business case realisieren lässt. Aber nun gehen wir den Schritt und zeigen Studien, die bisher nur für interne Diskussionen bestimmt waren. All diese Fahrzeuge waren übrigens auch nie in den sogenannten Car clinics – es ist aber schon möglich, dass wir den einen oder anderen Versuch ­einigen guten Kunden gezeigt haben.» Mauer lacht wieder – und es ist ziemlich klar, dass er dabei an den «puristischen Sportwagen» denkt.

Die vergangenen fast fünf Jahre war Mauer auch als Gesamtverantwortlicher für das Design der Volkswagen-Gruppe verantwortlich. Am 1. April hat diese Funktion Klaus Bischoff übernommen. Ein Abstieg? Mauer: «Porsche ist eine der erfolgreichsten Automarken der Welt und hat sich für die Zukunft sehr viel vorgenommen. Und das Design wird dabei eine sehr entscheidende Rolle spielen. Ab jetzt kann ich mich der Aufgabe Porsche wieder zu 100 Prozent widmen.»

Ferry Porsche, der legendäre Porsche-Chef von einst, sagte einmal: «Das letzte Automobil wird ein Sportwagen sein.» Mauer sieht das sogar noch ein bisschen differenzierter: «Das letzte Automobil, das noch mit einem Lenkrad gefahren werden wird, wird ein Porsche sein.» Es erstaunt nicht, dass bei «Porsche Unseen» keine autonom fahrenden Projekte zu sehen sind, sondern in schönste Form gebrachter Fahrspass. Dazu passt auch die Anekdote, die Mauer schon auch gerne erzählt: «Im Winter bin ich von St. Moritz nach Stuttgart gefahren, morgens um fünf, minus 20 Grad, Schnee. Ich habe alle Regelsysteme ausgeschaltet, bin über den Julier gefahren, war drüben, unten in Bivio, und habe gedacht: Wie oft im Leben hast du das schon? Schneebedeckte Berge, sternenklarer Himmel, kein Verkehr. Da bin ich wieder zurück. Und noch mal rüber.»

Herr Mauer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. Wird man all diese bislang unveröffentlichten Studien auch bald einmal in der Öffentlichkeit sehen?

Es ist für Mitte 2021 eine Ausstelllung im Porsche-Museum in Stuttgart zum Thema Weissach geplant. Aber ob das möglich sein wird, das wissen wir jetzt natürlich noch nicht.

Michael Mauer, Chefdesigner Porsche

Das Licht der Welt erblickte Michael Mauer am 28. Juli 1962 in Rotenberg (D) an der Fulda. Von 1982 bis 1985 studierte er an der Fachhochschule Pforzheim Automobildesign. Ab 1995 war er bei Mercedes-Benz für das Design des SLK, des SL und der A-Klasse zuständig, ging 1998 für die Stuttgarter nach Japan, wurde 1999 zum Chefdesigner von Smart ernannt. Und wechselte schon 2000 zu Saab. Seit 2004 ist Mauer Leiter der Designabteilung der Porsche AG, zeichnete unter anderem verantwortlich für den Panamera und den 918. Sein Privatleben hält der Petrolhead – «es ist ein Privileg, dass ich jederzeit jeden Porsche fahren kann» – streng geheim, es sei dies hier auch respektiert.

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