Parkplätze als Opfer der grünen Politik

ABBAU Mehr Grünflächen, Begegnungszonen, bessere Luft und sicherere Wege für Fuss- und Langsamverkehr: Dieses Ziel verfolgen sehr viele Städte. Opfer dieser Strategie sind die Parkplätze.

In Lausanne VD hat man jüngst 7.5 Kilometer neue Velowege in der Stadt auf den Beton gemalt. Mittels Corona-Notverfahren haben die Behörden dabei gleich noch 600 Parkplätze aufgehoben. Man habe die Gelegenheit genutzt, sagt Lausannes Verkehrsdirektorin Florence Germond (SP), ohne rot zu werden. Weniger Fahrspuren, weniger Parkplätze, mehr und sicherere Velowege – in der Summe erzeuge das einen «sanften» Druck, vom Auto aufs Velo umzusteigen. «Wir verbieten zwar die Autos nicht in der Innenstadt. Aber wir wollen den Menschen eine nachhaltigere Mobilität ermöglichen», so Germond. Insofern dürften diese neuen Guerilla-Velowege aus dem Corona-Krieg ziemlich nachhaltig sein.

Das Beispiel Lausanne zeigt, wohin die Reise punkto Parkplatzquantität in nahezu jeder mitteleuropäischen Stadt geht. Soeben hat der stellvertretende Bürgermeister von Paris, David Beillard, angekündigt, dass bis 2026 rund 70 000 Parkplätze aufgehoben würden. Das bedeutet, dass jeder zweite oberirdische Parkplatz verschwände. Aber auch anderswo werden Parkplätze grosszügig eliminiert und nicht (mehr) in jedem Fall durch einen im Parkhaus ersetzt, auch in Bern, Genf, Zürich, Basel oder Luzern. Mit 58.5 Prozent Ja-Stimmen befürwortete das Genfer Stimmvolk jüngst eine Lockerung des Kompensationsprinzips. Die Gegner der Vorlage warnten, dass in Genf so über kurz oder lang 4000 Parkplätze ersatzlos gestrichen würden. Genau das freilich war ja wohl auch das salamitaktische Ziel des Kantons. Auch in Zürich werden heuer gut 100 und in den nächsten Jahren viele weitere Parkplätze ausradiert. Und auch hier steht das seit 25 Jahren geltende Kompensationsprinzip am Ende. Der Stadtrat will den Ausgleich um maximal zehn Prozent (ca. 750 Parkplätze) verringern. Zudem kündigt die Stadt massive Gebührenerhöhung für die Parkplätze in der blauen Zone (von 300 auf 780 Fr.) an. Es müsse künftig möglich sein, einen Parkplatz abzubauen, ohne ihn an einer anderen Stelle zu kompensieren, sagt Richard Wolff, Vorsteher des Tiefbau- und Entsorgungsdepartements der Stadt Zürich. Das Ziel liegt auf der Hand: Die Automobilisten wie in Lausanne zu animieren, das Auto im Parkhaus abzustellen oder für Städtetrips ganz darauf zu verzichten. Es sei nicht mehr vertretbar, den knappen Platz vor allem für Autos zu nutzen, sagt Wolff.

Mit der Massenmotorisierung der 1950er Jahre haben sich viele mitteleuropäische Städte den Anforderungen des motorisierten Individualverkehrs (MIV) angepasst. Strassen wurden verbreitert und der Stadtraum zu Parkplätzen umfunk­tioniert. Fussgänger wurden so zu Statisten, die sich zwischen Autos durchzwängen. Der dänische Architekt und Star-Stadtplaner Jan Gehl, der 2016 für Bern eine Studie durchgeführt hat, sagt dazu: «Die Stadtplanung der letzten Jahrzehnte hat Zigtausende Menschenleben gekostet, weil sie einseitig auf motorisierten Verkehr ausgerichtet war und die Menschen in einem Zustand permanenter Bewegungslosigkeit hält.» Über Jahrhunderte seien Städte in einem langsamen, kontinuierlichen Prozess gewachsen: «Jeder war zu Fuss im Fünf-Kilometer-pro-Stunde-Tempo unterwegs. Die Wege waren übersichtlich und abwechslungsreich.» Mit dem Wirtschaftswunder habe sich das geändert. Autos eroberten die Strassen, das Durchschnittstempo beschleunigte sich von fünf auf 60 km/h. «Aus Stadt- wurde Verkehrsplanung, und keiner ging mehr zu Fuss», so Gehl. Schon seit den 1990er-Jahren heisst es jetzt: Rückwärts, Marsch!

Ein Studie, die die Stadt Bern beim Star-­Stadtplaner Jan Gehl in Auftrag gegegen hat, zeigt, wie die Entwicklung von Stadtfläche hin zu mehr Fuss- und Velowegen sowie ­Begegnungszonen auf Kosten von Parkplätzen geht.

Keine rosigen Aussichten
Der öffentliche Raum geht sukzessive wieder an den Homo urbanus, den Stadtmenschen, zurück. Wobei sich das Marschtempo gerade gewaltig verschärft, von leichtem Trab hin zum flotten Galopp. Warum? «Weil Fussgänger, Velofahrer und ÖV-User die Umwelt viel weniger belasten», sagt Mike Sgier von der Medienstelle des Zürcher Tiefbauamtes. Selbstverständlich geht es beim allgemeinen städtischen Parkplatzsterben immer auch explizit darum, die Umwelt und Wohnbevölkerung vor Verkehrslärm und Luftschadstoffen zu schützen und den Energieverbrauch zu reduzieren. Schliesslich gibt es Vorgaben à gogo wie die Lärmschutzverordnung des Bundes, die kantonalen Planungs- und Baugesetze, die städtische Parkplatzverordnung, Verkehrsrichtpläne, Stadtverkehr-Strategiepapiere und so weiter. Die Maxime in vielen mitteleuropäischen Städte lautet also: ÖV, Velo- und Fussverkehr werden priorisiert, ihr Anteil am Gesamtverkehr erhöht. Die Kapazität für den motorisierten Individualverkehr dagegen darf nicht erhöht werden, im Gegenteil. Optimierungsprozesse im Verkehrsmanagement werden konsequent zugunsten des ÖV, Fuss- und Veloverkehrs genutzt. Demzufolge will man auch in Bern in den nächsten zehn Jahren rund die Hälfte der öffentlichen, oberirdischen Parkplätze aufheben und davon mehr als zehn Prozent nicht mehr kompensieren. Wie Zürich schreibt Bern: «In den Parkhäusern stehen genug Parkplätze leer.» In Zürich sind es allein rund 20 000 in Tiefgaragen. Noch einmal Mike Sgier vom Zürcher Tiefbauamt: «Wir haben heute 7000 öffentliche Parkplätze mehr als noch vor 15 Jahren. Leider parkieren viele Personen aus Kostengründen lieber in der blauen Zone oder auf Besucherparkplätzen anstatt in den Tiefgaragen.» 

Nichtsdestotrotz sind das keine rosigen Aussichten für den Autofahrer. Allein, die Aktien des ÖV befinden sich unter Corona gerade im Sturzflug. Diejenigen des MIV dagegen, elektrisch oder thermisch getrieben, im Hoch. Ein Indiz hierzu sind die wie Pilze aus dem Boden schiessenden Autoabo-Angebote. Wie nachhaltig aber ist dieser Gamechanger? Mike Sgier: «Schwer zu sagen. Während der ersten Corona-Welle ging die Verkehrsbelastung im MIV in Zürich um ein Drittel, die im ÖV um drei Viertel zurück. Die Velofrequenzen nahmen um ein Drittel zu. Der Fussverkehr liegt im Bereich des Veloverkehrs.» An der allgemeinen städtischen Parkplatz-Abbauastrategie ändert das indes nichts. Zumal Verkehrsvermeidung durch Homeoffice dank Corona gerade sehr salonfähig wird.

Weniger Lärm, saubere Luft, mehr Bewegung: Da immer mehr Menschen in Städten leben, hat die Verbesserung der Lebensqualität bei vielen Stadtregierungen höchste Prioriät.

Werden Sie Schreiner oder Maler!
Die öffentlichen Strassenparkplätze machen in Bern eine Fläche von rund 21 Fussballfeldern aus. In Zürich sind es 70 oder 30 Sechseläutenplätze (rund 9000 weisse und 33 000 blaue Parkplätze), Tendenz, wie geschildert, stark abnehmend. Urban Gardening, Flächen für Trendsportarten, Spielplätze, Verweilgelegenheiten, Rad- und Fusswege sind statt Parkplätzen angesagt. Strassen längs der Seine, Rhône, Aare oder der Limmat sollen zu Flanier- und Begegnungszonen werden – zumindest, wenn nicht gerade Corona regiert. Zur Förderung des Fuss- und Veloverkehrs tut man in Bern, Zürich, Genf, Lausanne, Paris oder London viel. Denn: «Wenn dieser attraktiv ist, gehen die Menschen gern oft zu Fuss», so der Zürcher Tiefbauchef Wolff. Schliesslich geht die UNO davon aus, dass bis 2050 rund 70 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben, immer mehr notabene ohne eigenes Auto. 60 Prozent der Haushalte in Bern besitzen kein Auto. Vor zehn Jahren waren es rund 50 Prozent. In Zürich sind es 54 Prozent. Doch obwohl viele mitteleuropäische Stadtregierungen dem MIV das Leben zusehends zur Hölle machen werden, will man vermeiden, dass der Berufsverkehr in die Bredouille kommt. Der Tenor hier lautet: Das Autofahren soll nicht ganz verdrängt werden, aber es sollen klar jene bevorzugt werden, die das Auto wirklich brauchen: Logistik, Gewerbe, Personen mit eingeschränkter Mobilität. Wenn der Schreiner oder Sanitärinstallateur Aufträge nicht mehr annehmen kann, weil er in der Stadt seinen Kleinlaster mit dem Material nicht mehr parkieren kann, ist der Wirtschaft nicht gedient. Das Stadtentwicklungskonzept Berns hält fest, dass der Wirtschaftsverkehr «optimal organisiert» werden und «ungehindert zirkulieren» können soll. Referenzwert ist die Basler Lösung. Die Berner Tiefbaudirektorin Ursula Wyss konkretisiert: «Mit speziellen Parkkarten dürfen Handwerker, Spitex, Ärzte und andere auch ausserhalb der Parkfelder parkieren, sofern sie den Verkehr nicht behindern.» Zürich sagt dazu: «Die durch die aufgehobenen Parkplätze frei werdenden Flächen sollen auch für den Güter- und Gewerbeverkehr genutzt werden.»

Also: Wenn Sie in Zukunft sicher einen Parkplatz in der Stadt finden wollen, werden sie Schreiner oder Gipser! Und kaufen Sie sich einen mit entsprechendem Material beladenen Kleinlaster.

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