Mehr braucht es nicht

BEST OF Der Porsche 718 Cayman ist das ­Einsteigermodell von Porsche. Dabei macht er als GT4 genauso viel Spass – wenn nicht gar noch mehr – wie die Topmodelle der Marke.

Im Porsche-Universum werden der 718 Cayman und Boxster von den 911-Eignern gelegentlich verächtlich angesehen. Für sie fängt ein echter Porsche beim 911er an – und hört da auch auf. Aber die Hochmütigen haben sich schon oft die Finger verbrannt: Die 718 haben Stärken, die selbst der erhabene 911 nicht übertreffen kann. An erster Stelle steht da der am idealen Ort in der Wagenmitte eingebaute Motor auf. Im Gegensatz dazu muss sich der 911er wegen langjähriger Tradition mit dem Motor im hinteren Überhang abfinden. Dann ist der Sechszylinder nun doch nicht aus der 718er-Reihe verbannt worden, man findet ihn wieder im GTS und GT4. Und Freude aller Freuden: Es muss nicht immer die Zwangsbeatmung sein. Der Vierliter leistet seine 420 PS auf die noble, frei saugende Art.

Teile des 911 GT3
Die grosse Klasse geht beim Fahrwerk weiter, denn die Techniker aus Zuffenhausen wurden im Teilelager des 911 GT3 fündig. Der Top-718 wurde um 30 Millimeter abgesenkt, erhält gewichtsoptimierte Federbeine und umgekehrt verbaute Stossdämpfer. Besonders stolz sind die Entwickler aber auf ihre Arbeit an der Aerodynamik mit einem neuen Splitter vorn und einem verstellbaren Flügel hinten, der bei Höchsttempo (304 km/h) ­einen Anpressdruck von 122 Kilogramm erzeugt. Das Resultat kann sich sehen lassen: Mit ­einer Rundenzeit auf dem Nürburgring von 7:28 Minuten erwies sich der neue GT4 ganze zwölf Sekunden schneller als sein Vorgänger von 2015. Und er ist auch vier Sekunden schneller als der legendäre Carrera GT von 2004 – trotz dessen mächtigen V10 mit 612 PS. Das allein spricht Bände über die Qualität des Fahrwerks des Baby-Porsche.

Angesichts dessen konnten wir es kaum erwarten, dem GT4 auf den Zahn zu fühlen. Wir hatten das unglaubliche Gleichgewicht, die begeisternden Fahrleistungen und das Fahrerlebnis ohne Filter des ersten Cayman GT4 (AR 41/2015) in bester Erinnerung. Der Stuttgarter hatte damals die Herzen der Testteam-Redaktoren im Sturm erobert.

Die überarbeiteten Aerodynamikteile pressen den 718 Cayman GT4 bei Höchstgeschwindigkeit mit 122 Kilogramm auf den Boden.
Am Fahrgestell des Wagens wurde viel gearbeitet, auch die Aero­dynamik wurde unter anderem durch den verstellbaren Flügel optimiert.

Noch immer zum Verlieben
Auch diesmal war der erste Eindruck höchst positiv. Da ist schon einmal der martialische Auftritt des kleinen Porsche: Flügel hinten, Splitter am Bug, filigrane Felgen, riesige Lufteinlässe. Wer auf Understatement steht, ist hier fehl am Platz. Bei allen anderen weckt die Tempoansage des GT4 die Lust, sich hinter das Lenkrad zu klemmen. Das bringt aber die erste leichte Enttäuschung, denn der Innenraum macht einen angestaubten Eindruck. Die mit Schaltern überladene Mittelkonsole, die Auflösung des Infotainment-Bildschirms und das Ergonomiekonzept verraten das fortgeschrittene Alter des Coupés. Die perfekte Sitzposition aber ist zeitlos. Die Kohlefaser-Sitzschalen (6510 Fr.) liegen noch einen Hauch näher an der Fahrbahn, bieten hervorragenden Seitenhalt, lassen aber keine Einstellung des Lehnenwinkels zu.

Die Verarbeitung und Qualitätsanmutung sind auf der Höhe der Marke, einzig die Hebel an der Lenksäule enttäuschen mit billiger Plastikqualität. Viele Ablagen findet man nicht, aber das muss bei einem Sportwagen auch nicht sein. Das intime Cockpit unterstreicht den Charme des Cayman GT4: Der Fahrer fühlt sich behaglich umschlungen, alles ist auf den Fahrgenuss hin ausgerichtet.

Freuden des frei saugenden Motors
Aber genug all der Überlegungen, überlassen wir die Bühne dem Sechszylinder-Boxer. Der Vierliter – er basiert auf dem Dreiliter des 911 – erwacht mit einem lauten Räuspern zum Leben und lässt einiges erwarten. Und die hohen Erwartungen werden augenblicklich befriedigt. Mit einer angegebenen Beschleunigung von 0 auf100 km/h in 4.4 Sekunden steht der GT4 in jeder Gesellschaft gut da. Aber der Wert allein sagt noch nichts über die Art und Weise aus, wie der GT4 ans Werk geht, allem voran mit den blitzschnellen Reaktionen des frei saugenden Triebwerks. Von einem solch direkten Ansprechverhalten kann ein Turbo nur träumen – die Verbindung zwischen Mensch und Maschine ist umso intimer. Und wir meinen das nicht nur im übertragenen Sinn, denn der nur wenige Zentimeter hinter den Fahrerohren verbaute Motor lässt die Insassen jede Kurbelwellenumdrehung hören. Der Boxer gibt sich im unteren Drehzahlbereich geschmeidig und legt gegen 4000 U/min deutlich an Dringlichkeit zu. Zwischen 5000 und 6800
U/min heult er höllisch auf und scheint dank seiner 420 Nm förmlich zu explodieren. Während man bei einem Turbo längst in den höheren Gang geschaltet hätte, jubelt der Flat Six des GT4 freudig und kaum verhalten bis 8000 U/min. Wo gibt es das sonst noch? Wären wir kleinlich, würden wir klagen, dass das Klangbild im Vergleich zum GT4 von 2015 verhaltener ausfällt. Schuld daran sind die Partikelfilter, die zum Einhalten der Emissionsnormen unumgänglich sind. Schade zudem, dass die Fahrleistungen trotz 35 Mehr-PS kaum besser ausfallen. Punkto Verbrauch haben wir angesichts des fulminanten Temperaments, der PS-Herde und des Hubraums keine Beanstandungen.

Die grösste Kritik betrifft die Abstufung des Sechsgang-Getriebes. Die Gänge zwei und drei sind unendlich lange übersetzt (man kommt im 2. Gang auf 137 km/h), was das Temperament in engen Kurven stark einschränkt. Kein Wunder also, dass der GT4 mit Doppelkupplungsgetriebe dank einer siebten Stufe noch temperamentvoller beschleunigt (0 –100 km/h in 3.9 s). Das ist ein Frust, denn allein die unglückliche Getriebeabstufung steht dem vollen Genuss des Schmuckstücks mit Schaltgetriebe im Weg.

Es gibt einige Aspekte, die das Alter des Cayman verraten, wie die etwas angestaubte Ergonomie mit den vielen Tasten und dem Infotainment-Bildschirm mit seiner leicht überholten Grafik. Abgesehen von ein paar Details ist die Anmutung allerdings bemerkenswert. Anstelle von Griffen hat der GT4 farbige Laschen zum Öffnen der Türen.

Wunderbares Gleichgewicht
Zum Glück sind solche Klagen schnell vergessen, wenn man den 718 Cayman GT4 durch die Kurven hetzt. Ein so perfekt sortiertes Fahrgestell findet man äusserst selten. Das gilt schon für die ungemein präzise Lenkung mit bester Rückmeldung, betrifft aber auch die kräftigen, standfesten und hervorragend dosierbaren Bremsen. Die Elemente der Vorder- und Hinterachse sind ideal aufeinander abgestimmt, der Wagen fährt durch die Kurven wie auf Schienen, die Stabilität ist ein Gedicht. Das Gleichgewicht des GT4 ist kaum zu übertreffen, das Auto scheint sich auch am Limit von selbst auf der Ideallinie zu bewegen und verleiht dem Fahrer höchstes Selbstvertrauen. Trotz seiner doch 1420 Kilogramm eilt der GT4 unheimlich leichtfüssig durch die Kurven. Die Handlichkeit und Fahrfreude, die der kleine Porsche vermittelt, stehen nicht hinter einem 911 in der gleichen Preisklasse zurück. Der grosse Bruder hat vielleicht ­einen kleinen Vorteil bei der Alltagstauglichkeit, er ist aber bei Weitem nicht so aufregend. Für das Testteam ist die Wahl klar, mögen die Jünger des 911 noch so verdutzt schauen.

Wir danken TCS Training und Events für die Möglichkeit, die Strecke in Lignières NE für unsere Fotosession nutzen zu dürfen.

FAZIT
Nur wenige Autos verdienen sich das einhellige Lob aller Redaktoren, wie der Porsche 718 Cayman GT4 das schafft. Wir sind eingenommen von seinem vorbildlichen Gleichgewicht, seinem ungefilterten Fahrerlebnis, seiner begeisternden Handlichkeit und der Spontaneität seines frei saugenden Motors. Mit einem Preis ab 121 700 Franken (unser Testwagen war gar mit 157 050 Franken angeschrieben) liegt er auf Augenhöhe mit einem 911-Carrera-Grundmodell. Soll man sich bei gleichem Preis für den extremen Baby-Porsche entscheiden oder doch lieber einen Basis-911er kaufen? Klar, der 911 ist vielseitiger und richtet sich an eine reifere Kundschaft. Aber in Sachen Fahrgenuss ist der 718 Cayman GT4 einer der gelungensten Porsche im Katalog. Und damit eines der wirklich erstrebenswerten Traumautos auf dem Markt.

Die technischen Daten und unsere Testdaten zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe der AUTOMOBIL REVUE.

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