So heldenhaft die Vergangenheit bis in die Gegenwart von Verbrennungsmotoren geprägt ist – unter anderem war man mit Juan Manuel Fangio 1957 Formel-1-Weltmeister –, so gewiss wird die Zukunft von Maserati von elektrifizierten Antrieben dominiert werden. Der Dreizack soll die elektrische Speerspitze im FCA-Konzern werden (s. Box). Mit dem Ghibli-Hybrid betritt man zurzeit die Welt, in der Strom regiert. Die Herausforderung für Maserati, in diesem elektrifizierten Kosmos zu bestehen, liegt darin, seine DNA zu wahren. Schliesslich wurde Maserati 1914 als reiner Sportwagenbauer geboren. Das erste Strassenfahrzeug war der A6, der im März 1946 am Salon in Genf präsentiert wurde. «Gerade weil es uns extrem wichtig ist, unsere Herkunft zu bewahren, haben wir beim Ghibli intensiv nach der bestmöglichen Hybridlösung für die Marke Maserati gesucht», sagt der Leiter Elektrifzierung, Corrado Nizzola. Der Italiener hat Anfang der 1990er-Jahre an der ETH Zürich Maschinenbau mit den Schwerpunkten Verbrennungsmotoren, Energiesysteme, Mess- und Regelungstechnik studiert: «Letztlich haben wir auf ein Plug-in-System verzichtet, weil die Batterie für
50 Kilometer rein elektrische Reichweite zu schwer gewesen wäre. Eine solche Batterie hätte die Fahrdynamik, die man von einem Maserati erwartet, zu arg tangiert.» 50 Kilometer elektrisch sind gemäss Nizzola «das Minimum, um einen Mehrwehrt zu generieren». Mit der Lösung Mildhybrid ist der Akku im Kofferraum des Ghibli jetzt wesentlich leichter und sorgt da für eine ideale Gewichtsverteilung (50:50). Handling und Fahrspass werden so gegenüber den Benzinern sogar optimiert. Getrieben wird der Ghibli Hybrid von einem 330 PS starken Zweiliter-Vierzylinder, der ihn in 5.7 Sekunden von 0 auf 100 km/h wirbelt und bis 255 km/h marschieren lässt. Das maximale Drehmoment von 450 Nm liegt bei 4000 U/min an. Das Triebwerk basiert auf dem Alfa Romeo Multiair, der im Maserati Innovation Lab in Modena (I) überarbeitet wurde. «Wir haben beim Motor fast alles ausgetauscht», so Nizzola. Unter anderem haben die Maserati-Techniker einen grösseren Turbolader installiert und die Motorsteuerung angepasst: «Vor allem die Synchronisation zwischen dem elektrischen Verdichter und dem Riemenstartergenerator war schwierig.» Vom Originalmotor blieben vor allem die Abmessung und der Zylinderkopf. Zum Vierzylinder gibt es im Ghibli Hybrid den erwähnten Riemenstartergenerator (RSG) und elektrischen Verdichter, einen DC/DC-Wandler und eine 48-Volt-Batterie. Der RSG macht die Rückspeisung der Energie in der Brems- und Verzögerungsphase möglich und lädt so die 48-Volt-Batterie, die mit dem Gleichstromwandler im doppelten Boden des Kofferraums platziert ist.
Handling fantastico
«Sie werden kein Turboloch spüren», verspricht Corrado Nizzola. Und in der Tat: Dank Elektroboost und 350 Nm Drehmoment schon ab 1500 Umdrehungen herrscht überzeugender Durchzug. «Der Kunde bekommt mit dem Hybrid die gleiche Leistung wie im V6-Benziner, die gleiche Beschleunigung und eine CO2-Reduzierung um 20 bis
24 Prozent», so Nizzola. Im flotten Galopp geht es so durch das Umland Modenas. Der Maserati Premieren-Hybrid liefert einen intensiven Response. Man fühlt, was unter dem Auto abgeht, die Maschine liegt satt auf der Strasse, bleibt stabil, hängt stramm am Gas und reagiert äusserst präzis auf feinste Lenkbefehle. Die Traktion reisst nie ab. Der gänzlich aus Aluminium bestehende Doppelquerlenker an der Vorderachse unterstützt das agil-akkurate Handling. Das Achtgang-Automatikgetriebe von ZF (wie im Levante und Quattroporte) flippert ohne Zugunterbrechung durch die Gänge. Wer selbst nachbessern und die Emotionsreserven des Italieners ausreizen will, kann optional die Schaltwippen ordern oder den Schaltknüppel auf manuell stellen. Dank überarbeiteter Strömungsdynamik des Abgastrakts muss man auf den klassischen Maserati-Sound nicht verzichten. Die Benzineinsparung soll gegenüber dem Sechszylinder-Benziner rund 25 Prozent betragen. Zwischen neun und zehn Liter sind im Alltag realistisch. Freilich hängt das, wie fast immer, auch hier sehr vom Fahrer respektive Gewicht von dessen rechtem Fuss ab. Einmal in Fahrt helfen die Verbundguss-Bremsscheiben (Stahl/Aluminium), sich punkto Bremspunkt einen kleinen Tick mehr Zeit zu lassen. Finalmente, ein Spassspender, dieser Ghibli Hybrid. Stabilität, Lenkpräzision und Bremsbalance sind überzeugend. Preislich geht das Ding bei 80 350 Franken los.
Blau ist die Zukunft
Optisch unterscheidet sich der erste Maserati Hybrid von seinen thermischen Geschwistern augenscheinlich durch die Farbe Blau. Die drei Lufteinlässe an der vorderen Radführung ziert ein blaues Profil. Blau strahlen auch die Brembo-Bremssättel und der Pfeil im Saetta-Logo an der C-Säule. Der Ghibli Hybrid ist in den Ausstattungsvarianten Gran Lusso und Gran Sport erhältlich. So oder so äusserst hochwertig und fein anzusehen und zu betatschen. Schliesslich fährt der Gentleman Maserati und der Playboy Ferrari. Das gewachsene Infotainmentsystem mit dem 10.1-Zoll-Bildschirm liefert absolut einen Mehrwert. Die Einbindung des Smartphones funktioniert prima, und Fahrerassistenzsysteme wie Autobahnassistent, Totwinkelassistent, Spurhalteassistent, Verkehrszeichenerkennung, adaptiver Tempomat oder Notbremsassistent erhöhen die Sicherheit.
Wie soll man den Einstieg von Maserati in die Stromerwelt bewerten? Das Ergebnis ist mit dem Ghibli Hybrid prima: mehr Leistung und weniger Verbrauch als der Sechszylinder. Dazu bleiben Ansprechverhalten, Sound und Fahrleistungen auf hohem Niveau, eines Weltklasse-GT-Sportwagenbauers mit Schwerpunkt Fahrdynamik und Nebenfach Design absolut würdig. Corrado Nizzola sagt: «Dieses Auto bietet alle Vorteile des Benzinmotors bezüglich Klang, Leistung und Beschleunigung. Dazu kommt die Wirtschaftlichkeit eines Dieselmotors. Die spezifische Leistung dieses Hybrids ist so gut wie nirgendwo sonst.» Na dann.
Bis 2025 nur noch elektrifizierendes Elektrifiziertes im Angebot
Nebst Kostensenkung und Portfoliobereinigung steht die Elektrifizierung ganz oben auf der Taskliste von Maserati-CEO Davide Grasso. Der Ghibli Hybrid macht diesbezüglich den Anfang. «Wir werden in den nächsten Monaten und Jahren viele weitere elektrifizierte Modelle auf den Markt bringen», bestätigt Corrado Nizzola, Leiter Elektrifizierung bei Maserati. Die ersten rein elektrischen Autos sollen 2021 auf Basis des Verbrenner-Coupés GranTurismo und dessen Derivats Gran Cabrio kommen. Das Ganze könnte sich infolge Corona indes leicht verzögern. Vom kürzlich vorgestellten Supersportwagen MC20 (AR 38/2020) soll es ebenfalls eine E-Version geben, vermutlich wird sie in Jahren 2023/24 folgen. Grössere Stückzahlen möchte man ab Ende 2021 auch vom neuen Crossover Grecale absetzen. Auch für dieses kleinere SUV war ab 2023 einmal eine rein elektrische Version geplant. Ob der Levante 2024 ebenfalls als Vollstromer kommt und ob, wie einst geplant, auch die 2014 vorgestellte Studie Alfieri elektrisch realisiert wird, ist offen. Sicher ist, dass FCA-Chef Mike Manley bis 2025 die gesamte Maserati-Modellpalette teil- und vollelektrifiziert anbieten will, die aus rund 70 Prozent SUV, 25 Prozent Limousinen und fünf Prozent Sportwagen bestehen soll.
Alle E-Maserati werden drei Elektromotoren mit jeweils 150 kW haben, zwei an der Hinterachse, einen an der Vorderachse. Die Batteriekapazität soll bei 100 kWh liegen. Bei reinen Elektroautos setzt Maserati wie Porsche auf 800 Volt Systemspannung. Ladestationen mit bis zu 300 kW lassen sich in einer halben Stunde Strom für mehrere hundert Kilometer Reichweite laden.
Laut Plan will FCA bis 2021 über 20 Milliarden Euro in die Elektrifizierung seiner italienischen Werke stecken. «Wir versprechen Ihnen, die Kunden unserer E-Fahrzeuge müssen aber nicht auf den typischen Maserati-Sound verzichten», sagt Corrado Nizzola. Ja? «Lassen Sie sich überraschen!»
Die Trofeo am thermischen Pol
Bei allen Rotoren, Statoren und Magnetfeldern, welche die Elektrifizierung von Maserati in Zukunft prägen werden, wird es immer einen Gegenpol zum alternativ Getriebenen geben. Ob der dann noch aus dem Hause Maserati kommt oder von einer anderen Marke aus dem FCA-Konzern, sei vorerst dahingestellt. Die Speerspitze aus der Abteilung «Komplett unvernünftig, aber unverschämt glückselig machend» bilden derzeit die drei Trofeo Maserati. Das SUV Levante war der erste mit dem 3.8-Liter-Twinturbo-V8 mit 580 PS bei 6750 U/min und einem Drehmoment von 730 Nm. Ein Hochleistungsmotor, nach den Vorgaben von Maserati von Ferrari produziert. Solch teuer zugekaufte Projektile wird es künftig nicht mehr geben. Das passt nicht mehr zur Dreizack-Strategie. Bevor der Verbrenner in Modena aber gänzlich das Zeitliche segnet und dem E-Motor Platz macht, bestücken die Maseratianer noch schnell zwei weitere Modelle, den Ghibli und den Quattroporte, mit dem V8. Diese Dauerpotenzpille sorgt für ein sattes Quantum Dopamin. Wer will und kann und sich traut, wählt den Fahrmodus Corsa, der noch schnellere Gangwechsel als im Sport-Modus und eine Tieferlegung des luftgefederten Fahrwerks zur Folge hat. Bei Aktivierung greifen die Traktionskontrollsysteme und das ESP nur begrenzt ein. Die Bärenkraft wird via Achtgang-Automatik von ZF mit spezifischer Kalibrierung an die Hinterräder spediert. Im Fall des Levante herrscht Allradantrieb.
Kraft dieses heissblütigen Triebwerks sind der Ghibli und der Quattroporte Trofeo die schnellsten Maserati-Sportlimousinen aller Zeiten. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei beiden bei 326 km/h (Levante 302 km/h). Der Ghibli Trofeo beschleunigt in 4.3 Sekunden von 0 auf 100 km/h, der Quattroporte braucht 4.5 Sekunden. Die supersportlichen Geschwisterchen kosten 150 350 Franken (Ghibili), 182 950 Franken (Quattroporte) und 181 150 Franken (Levante).
Warum der Levante Trofeo als der dynamischste und sportlichste seiner Klasse mit tiefstem Schwerpunkt gilt, fühlt man rasch, wenn man mit ihm auf der Rennstrecke in Modena ein paar schnelle Runden dreht. Wäre der eigenen Gesundheit zuliebe nicht das Gewicht von 2.2 Tonnen hinsichtlich Bremspunkt zu beachten, man wähnte sich niemals in einem SUV. Von hochbeinig,wankend, fehlender Traktion, unpräziser Lenkung keine Spur. Das Ding geht so geschmeidig und performant durch die engen Kehren wie ein puristischer Vollblutsportler. Der Levante steht in diesem Sinn auch für einen Teil der Maserati-Philosophie. Für die Italiener war nie nur die pure, brachiale Leistung das ultimative Mass der Dinge. Wegen der ruhmreichen Rennsportvergangenheit – Maserati begann 1914 als reiner Rennwagenbauer – legte man immer viel Wert auf ein ausgefeiltes Set-up. Ganz nach dem Motto: Was nützt mir Leistung ohne Ende, wenn ich die PS nicht auf den Boden bringe oder sie nicht verarbeiten kann? Je besser die Abstimmung, desto getreuer reagiert das Automobil und desto eher kann man mit ihm eins werden. Das ist wie in einer Beziehung – wenn Sie sich ständig über den Partner ärgern, wird das nie etwas mit der Harmonie und kostet nur Nerven.
«Ein Rennen zwischen Ghibil, Levante und Quattroporte Trofeo würde der Levante gewinnen», lacht der Testfahrer auf dem Sitz nebenan. Wieso? Schliesslich liegt dessen Bremspunkt doch ziemlich weit vor jenem der rund 200 Kilogramm leichteren Ghibli und Quattroporte. «Mit dem Levante kannst du ohne Traktionsverlust die Abkürzung über den Rasen nehmen», sagt Maurizio. Kleiner Scherz, doch wo er recht hat, hat er recht. Es ist beeindruckend, was diese Maserati mit dem V8-Motor noch einmal kontradiktatorisch zum allgemeinen Downsizing-Trend auf den Beton brennen. Geboren aus dem Motorsport und geprägt von der Leidenschaft des möglichst vollendeten, schnellen Fahrens. Herrlich!
Die technischen Daten und unsere Testdaten finden Sie in der gedruckten Ausgabe der AUTOMOBIL REVUE.