Einfach losfahren, die eigenen Habseligkeiten auf das Notwendigste reduzieren, ein frugales Leben weitab von Alltag und Konventionen führen und die weite Welt selbstbestimmt erkunden. Gewappnet als autarke Haushalteinheit jederzeit alles hinter sich lassen können und dahin rollen, wohin man mag. Viele träumen davon. Die Nonkonformisten, die es wirklich tun, nennen sich Vanlifer. Auch sie sind am Suisse Caravan Salon in Bern (22.–26. Oktober) am Start und geben potenziellen Campern jeglichen Härtegrades gerne Auskunft, wie sich dieses intensive Leben am Busen der Natur anfühlt. Wenn das Wohnmobil zu den portablen vier Wänden wird, die heute in Frankreich stehen, nächsten Monat in Belgien und eine Woche später in Kitzbühel. Allein, es muss ja eben nicht gleich der totale Ausstieg sein. Unter Covid-19 erlebt diese Art Ferien zu machen gerade einen Höhenflug. Reisen mit dem Camper treffen den Nerv der Zeit.
Nach einem flotten Jahresbeginn gingen die Neuzulassungszahlen von Wohnmobilen und Caravans während des Lockdowns etwas zurück, um dann jedoch bereits vor der Öffnung der Campingplätze abzuheben. Schon Ende September war der letztjährige Rekordwert getoppt (s. Grafik). Getrieben von den Wohnmobilen wuchs die Zahl neuer Personentransportfahrzeuge in den ersten neun Monaten 2020 um 430 Stück oder 8.6 Prozent auf 5427 Fahrzeuge. Davon stellen allein die Camper 4902 Inverkehrssetzungen, ein Plus von 561 Fahrzeugen oder 12.9 Prozent. «Der Trend zum Camping als ansteckungssicherer Reiseform während der Pandemie setzt sich fort», sagt Auto-Schweiz-Mediensprecher Christoph Wolnik. «Wir gehen davon aus, dass sich dieses Wachstumssegment auch in den kommenden Monaten gegen den allgemeinen Markttrend behaupten können wird.»
Insgesamt sind in der Schweiz derzeit rund 100 000 Wohnwagen und Wohnmobile registriert. Viele Besitzer dieser Vehikel sind entweder zwischen 20 und 30 Jahren oder dann über 50 Jahre alt. «Wir möchten in Zukunft auch die jungen Familien, also die dazwischenliegende Altersgruppe ansprechen und abholen», sagt Roland Wyss. Just Corona und der Trend zu Inlandferien können dabei mithelfen. Der Schweizerische Camping- und Caravanning Verband (SCCV), der unter anderem eine Kooperation mit dem ACS pflegt, soll noch stärker als bisher Anlaufstation und Infoplattform für all jene werden, die Fragen zum Thema haben. Und davon gibt es angesichts des Booms gerade sehr viele. «Bisher war und ist vor allem der Salon in Bern die ideale Plattform dafür», hält Wyss fest. Deshalb ist der SCCV auch heuer mit einem Stand an der Berner Ausstellung vertreten. Künftig sollen aber auch soziale und traditionelle Medien sowie weitere Partnerschaften – mit dem VCS etwa ist man im Gespräch – helfen, dem rasant zunehmenden Informationsbedürfnis gerecht zu werden. Denn die Camper-Community wird in den kommenden Jahren ganz gewaltig wachsen – wetten? Dazu werden zweifellos auch erschwingliche, neue Vans beitragen, die viele Marken soeben auf den Markt bringen (Citroën, Peugeot, Toyota, Opel).
Politisch noch untergewichtet
Ein Punkt, der weit oben auf der Traktandenliste des Verbandspräsidenten steht, ist die politische Vernetzung. «Während Hotels, Jugendherbergen oder SAC-Hütten im Lockdown auf dem Radar der Regierung waren, gingen wir mehr oder weniger vergessen», so Roland Wyss. Es war effektiv ein Witz, dass just die Campingplätze, wo Distancing und Eingangskontrollen problemlos umsetzbar sind, geschlossen bleiben mussten und erst Anfang Juni wieder öffnen durften, während Hotellerie und Parahotellerie unter Auflagen offen haben durften. So etwas soll sich nicht wiederholen. Insofern ist Wyss bestrebt, das «Campingland Schweiz», wie er es nennt und zu dem er nebst seinem eigenen Verband mit 35 Partnercampingplätzen etwa auch den TCS oder Swisscamps zählt, näher zusammenzubringen und so der Branche mehr Präsenz und Gewicht zu verleihen. Das dürfte leichter sein als auch schon, weil Camping zurzeit deutlich an Sexyness gewinnt. Das Image von Billigferien für die einfachere, hemdsärmligere und weniger betuchte Mitbürgerschaft löst sich gerade auf. Camping gewinnt mächtig an Up-to-date- und State-of-the-art-Nimbus. «Rund 30 Prozent derer, die heuer einen Camper oder ein Wohnmobil gemietet haben, taten das zum ersten Mal. Und da sind alle gesellschaftlichen Schichten enthalten. Wenn uns zehn Prozent dieser Menschen in Zukunft, wenn Corona kein Thema mehr sein wird, erhalten bleiben, ist das sehr gut», sagt SCCV-Präsident Wyss. Es dünkt einen, dass man diese zehn Prozent gut toppen könnte. Die eingangs geschilderte Freiheit zu erleben und zu erfahren, birgt nämlich durchaus Suchtpotenzial und ist genau das Gegenteil von Ausgangssperren. Und wo macht es Kindern letztlich mehr Spass, Ferien zu verbringen, als auf dem Campingplatz? «Hier gehen die Kids am Morgen hinaus und sind den ganzen Tag beschäftigt. Da findet Social Media noch in Echt statt und nicht nur auf dem Handy», sagt Wyss. Davon hätten letztlich auch die Eltern etwas.
Die Kehrseite der Euphorie
Jeder Boom birgt freilich auch Schattenseiten. Seit Jahren bemüht sich der SCCV um mehr Standplätze in der Schweiz – mit wenig Erfolg. Jetzt plötzlich rennt man offene Türen ein. 90 offizielle Stellplätze waren es vor Corona, nun sind 105 dazugekommen. Darunter auch temporäre auf Parkplätzen, zum Beispiel von Bergbahnen, die den Betrieb wegen der Corona-Pandemie einstellen mussten. Die Camper hoffen freilich, dass den Verantwortlichen in Gemeinden und Kantonen die Augen aufgegangen sind und sie das Bedürfnis spätestens jetzt erkannt haben. «Ich gehe davon aus, dass wir in dieser Hinsicht auf offenere Ohren stossen werden als vor Corona», so Wyss. Heisst: Die Anzahl offizieller Stellplätze dürfte steigen. Es würde gewiss niemanden stören, wenn die Behörden etwas kulanter würden, was etwa Zonennutzungen angeht. Letzteres hilft auch, wildes Campen zu verhindern und den vielen Freiheitsjunkies, die mit ihren 150 oder 200 benzinsaufenden Pferden durch die Botanik tuckern, ausreichend Weideland zu bieten. Der CO2-Abdruck ihrer Fahrzeuge ist dem gemeinen Wohnmobilisten noch ziemlich egal – schliesslich lebt er ja sonst sehr natur- und umweltbewusst.
Gut möglich auf jeden Fall, dass die Topplätze auf den schönsten Campingplätzen künftig zu einem heiss begehrten Gut werden. Aus Angst, für die Sommerferien keinen Platz mehr zu erhalten, buchten viele Camper heuer auf mehreren Plätzen. Nachträglich suchten sie sich dann den attraktivsten aus. So entstanden unerwartete Leerstände. Auch solches gilt es künftig natürlich zu vermeiden.
Der Suisse Caravan Salon 2020 auf einen Blick
The place to be für alle Freiheitsliebenden
Für alle, die im Sommer 2021 mit dem Wunsch-Wohnmobil in die Ferne – oder in die Nähe – schweifen möchten, ist der Suisse Caravan Salon von 22. bis 26. Oktober in Bern ein Muss. Die Caravan-Messe gehört zu den ersten Grossveranstaltungen, die trotz Covid-19 wieder stattfinden dürfen, natürlich mit Schutzkonzept. Am Caravan Salon erhalten der Profi und der Neueinstiger auf 40 000 Quadratmetern alles geboten, was das Herz begehrt. Alle Varianten von Fahrzeugen sind bestellbar und können individualisiert werden, von verschiedenen Motoren über die Infrastruktur bis hin zum Blumenväseli und anderem Dekor. «Im Trend liegen aber erfreulicherweise etwa auch wieder die Klappzelt-Anhänger», sagt Roland Wyss, Präsident des Schweizerischen Camping und Caravanning Verbands.
Datum 22.– 26. Oktober 2020
Öffnungszeiten Donnerstag 9.30–18 Uhr, Freitag 9.30–20 Uhr, Samstag bis Montag 9.30–18 Uhr
Ort Bernexpo, Bern
Website www.suissecaravansalon.ch
Facebook www.facebook.com/suissecaravansalon
Instagram www.instagram.com/suissecaravansalon
Eintrittspreise Dieses Jahr können Tickets nur online erworben werden, es findet kein Ticketverkauf vor Ort statt. Erwachsene, Donnerstag bis Sonntag, 15 Franken, Montag, 10 Franken; Kinder bis 16 Jahre in Begleitung Erwachsener kostenlos, aber registrierungspflichtig. Beschränkung auf maximal 7000 Zuschauer pro Tag
Aussteller 250
Highlights Wohnmobil-Fahrtraining; Allrad-Fahrparcours; Vanlife-Camp im Freigelände, wo man sich mit erfahrenen Van-Lebenden austauschen kann; Travel-Bistro-Stand (u. a. Vorträge) etc.
«Viel öfter und kürzer als in den letzten Jahren»
Der Boom bringt es mit sich, dass die Preise von neuen und gebrauchten Wohnmobilen im Hoch sind. Schnäppchen sind zurzeit schwierig zu finden. Auch Vermieter erfahren Hochkonjunktur. Stellvertretend sagt Michael Steiner von Steiners Wohnmobile in Konolfingen BE, wie man in seinem Familienbetrieb das Nachfragehoch erlebt.
AUTOMOBIL REVUE: Wie gross ist Ihre Flotte an Campern und Wohnmobilen?
Michael Steiner: 37 Mietfahrzeuge.
Wie lief das Mietgeschäft bei Ihnen in diesem Jahr – vor dem Lockdown, während und jetzt seit dessen Aufhebung?
Vor dem Lockdown sehr gut, während des Lockdown hatten wir praktisch keine Vermietungen, seit der Aufhebung des Lockdowns eine überdurchschnittlich hohe Auslastung.
Was fragen die Kunden primär nach?
Viele, vor allem neue Kunden, interessieren sich in erster Linie für die Campervans wie den VW California. Nach einem ausgiebigen Beratungsgespräch entscheiden sich dann aber viele auch für die nächstgrössere Kategorie mit WC und Dusche.
Wie lang ist die durchschnittliche Mietdauer?
Deutlich kürzer als in den vorherigen Jahren, in der Regel ein bis zwei Wochen. Früher waren es zwei bis vier Wochen. Aufgrund der schnellen Wechsel sind wir zum Teil am Anschlag mit Waschen und Aufbereiten der Fahrzeuge. Ein Fahrzeugwechsel dauert bei uns etwa drei Stunden.
Welche Reiseziele sind denn Trumpf?
Früher war Skandinavien die Topdestination. Auch weil es da einfach ist, einen Stellplatz zu finden. Jetzt ist es in erster Linie die Schweiz; aber auch Deutschland und Österreich sind beliebt. Auch weil Camperferien für viele halt neu sind.
Wie gross ist denn der Anteil derer, die noch nie mit einem Camper unterwegs waren?
In diesem Jahr deutlich grösser als in den Jahren zuvor. Er liegt bei etwa 25 Prozent.
Haben Sie die Preise der Nachfrage angepasst?
Nein, unsere Preise blieben identisch und werden auch nächstes Jahr nicht nach oben korrigiert.
Die Campervans im Stil des VW California oder Mercedes Marco Polo sind der Renner?
Auf jeden Fall. Obwohl gerade viele Marken versuchen, sich ein Stück dieses Kuchens abzuschneiden. VW und Mercedes sind aber die Etablierten. Für diese Sicherheit zahlen viele gern etwas mehr.
Was sind die häufigsten Feedbacks, wenn die Kunden ihre Wohnmobile zurückbringen?
Wir haben in der Regel sehr zufriedene Kunden. Viele kommen mehrmals für eine Campermiete vorbei. Unser Konzept sieht wie gesagt vor, dass wir jedes Jahr eine topmoderne Mietflotte im Angebot haben. Immer wieder dürfen wir nach erfolgreicher Vermietung die Kunden auch in Sachen Camperkauf beraten.
Wie nachhaltig ist dieser Trend? Werden Sie Ihre Flotte anpassen respektive ausbauen?
Aufgrund unserer Grösse als Familienbetrieb ist ein weiterer Ausbau unserer Mietflotte nicht möglich. Punkto Service sind wir aber laufend damit beschäftigt, uns noch weiter zu verbessern. λ