Der Tiguan ist Volkswagens erfolgreichstes Modell, das meistverkaufte SUV Europas. Über sechs Millionen Stück wurden seit der Einführung 2007 abgesetzt. Nur folgerichtig also, dass es die Modellpflege der zweiten Generation nun (endlich) auch als echte R-Variante gibt. Nicht weniger als ein Meilenstein sei der Tiguan R, sagt Rennfahrer und VW-Markenbotschafter Benjamin Leuchter. Allein das neu entwickelte Hinterachsgetriebe, das dank zwei Lamellenkupplungen die radselektive Kraftverteilung auf beide Hinterräder erlaubt (s. Box), sorge für einen immensen Zuwachs bei der Fahrdynamik: «Die vielen Testfahrten auf der Nürburgring-Nordschleife haben gezeigt, dass allein dieser neue Allradantrieb eine Verbesserung von acht Sekunden pro Runde herbeiführt.»
Im Alltag merkt man von diesem System praktisch nichts. Und das sei auch gut so, erklärt Jan Schiedek-Jacht, Entwicklungsleiter bei Volkswagen R: «Die grosse Herausforderung bei der Abstimmung war, dass die Hinterachse den Fahrer unauffällig unterstützt, ohne ihn zu überfordern.» Auf einer Autobahnauffahrt zeigt sich das beispielsweise so, dass ein viel kleinerer Lenkwinkel nötig ist, als man ihn eigentlich erwarten würde. Durch das erhöhte Moment am kurvenäusseren Hinterrad dreht sich der Tiguan quasi in die Kurve hinein. Wobei die Zuschaltung der Hinterachse auch immer davon abhängt, in welchem Fahrmodus man sich gerade befindet.
Das grosse Staunen
Der Tiguan wurde mit der Modellpflege umfassend überarbeitet. Die Zweiliter-Dieselvarianten (122, 150 und 200 PS) kommen nun alle mit der Twindosing-Technologie. Die bestehenden, 1.5 Liter grossen Turbobenziner (130 und 150 PS) schalten, wann immer möglich, zwei der vier Zylinder temporär ab. Und die 13-kWh-Batterie des neuen Tiguan E-Hybrid (245 PS) ermöglicht eine elektrische Reichweite von bis zu 60 Kilometern. Im Tiguan R wiederum sorgt der bekannte Zweiliter-Turbobenziner (EA888) der neusten Evolutionsstufe Evo 4 mit 320 PS und einem Drehmoment von 420 Nm für heftigen Vortrieb. Die Schaltarbeit übernimmt serienmässig ein butterweich schaltendes Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe, das für besonders grosse Drehmomente ausgelegt wurde. Bereits ab dem ersten Gang kann das volle Drehmoment ohne einen Begrenzer übertragen werden.
Allen Modellen gemein ist nebst dem aufgeräumten Innenraum mit einer bis zu 9.2 Zoll grossen Infotainmenteinheit und zuverlässig agierenden Assistenten wie dem beinahe konkurrenzlosen Travel-Assist das von VW neu entwickelte Multifunktionslenkrad. Es setzt auf eine intuitive Mischung aus herkömmlichen Knöpfen und Wischgesten. Dem R exklusiv ist die Taste, die den Racing-Modus direkt aktiviert. Unter anderem wird dabei die Klangkulisse geschärft. Während in der Komfortstellung innen wie aussen kaum ein Motorgeräusch wahrgenommen wird, bollert die optionale Akrapovic-Anlage mit geöffneten Klappen sportlich-frech vor sich hin, knallt auch mal herrlich laut, bewegt sich dabei gemäss VW aber immer im legalen (Grenz-)Bereich.
So viel sportlichen Reiz würde man dem Tiguan R auf den ersten Blick nicht zugestehen, doch nicht nur deshalb sorgt er für eine Überraschung. Auch während der Fahrt gibt sich der Tiguan wohlwollend zurückhaltend, was am Zusammenspiel zwischen Allradantrieb, Progressivlenkung und adaptivem Fahrwerk liegt. Natürlich glänzt der R gegenüber dem gutbürgerlichen Tiguan nicht gerade mit überschwänglichem Federungskomfort, dafür aber mit der Unterdrückung von beinahe jeglichem Wanken, und er lässt sich im Alltag selbst im scharfen R-Modus durchaus angenehm bewegen. Dort kommt man als Fahrer denn auch kaum mehr aus dem Staunen heraus, so flink und eigenständig hat die R-Abteilung von VW die Familienkutsche gemacht.
Einzigartig in diesem Segment
Erstmals gibt es den Tiguan als sportliche R-Variante. Und diese sorgt sogleich für Furore. VW, eigentlich für sein Haldex-System bekannt, verbaut erstmals ein Hinterachsgetriebe mit zwei Kupplungen, dass das Drehmoment variabel und im Extremfall mit bis zu 100 Prozent auf nur ein Rad verteilt. «Bisher wurde die Kraft je nach Schlupf über ein Diffenzial auf die Hinterachse geleitet», erklärt Jan Schiedek-Jacht, Entwicklungsleiter bei VW R. Zwar können auch beim Haldex-Prinzip die einzelnen Räder individuell angesteuert werden, allerdings regelt die Elektronik dort die Kraftverteilung über gezielte Bremseingriffe – beide Räder werden immer mit dem gleichen Drehmoment angetrieben, selbst wenn sie sich in Kurven via Differenzial ungleich schnell drehen. Das neue Getriebe im Tiguan R kann die Kraft nun mechanisch verteilen. «Wenn man sportlich in eine Kurve fährt, schliesst sich die kurvenäussere Kupplung, um mehr Drehmoment zum kurvenäusseren Rad zu leiten. Das hilft dem Auto, sich einzudrehen», erklärt Schiedek-Jacht. Dabei ist die Intensität der Hinterachszuschaltung abhängig vom Fahrmodus, aber auch von Variablen wie dem Lenkwinkel, der Gaspedalstellung oder der Geschwindigkeit. Rein hinterradgetrieben wird der Tiguan R damit allerdings nicht, weil nach wie vor maximal 50 Prozent der Kraft nach hinten geschickt werden.
Die technischen Daten zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe der AUTOMOBIL REVUE.