Die Frage ist immer dieselbe, wenn man über den Taycan spricht. Man mag sie schon fast nicht mehr hören oder stellen, aber trotzdem ist sie der zentrale Punkt, das, worauf wir immer wieder angesprochen werden. Wir stellen sie deshalb noch ein letztes Mal und versuchen im Test eine Antwort zu finden: Darf ein echter Porsche elektrisch sein?
Vom Mission E zum Taycan
Seit Porsche im Jahr 2015 an der IAA das Konzept Mission E vorgestellt hatte, auf dem der Taycan basiert, hat wohl kaum ein anderes Modell der Zuffenhausener so viel zu reden gegeben – obwohl in der Zwischenzeit vom 911, vom Cayenne und vom Panamera neue Generationen erschienen sind, der Macan ein Facelift erhalten hat und Boxster und Cayman zum 718 geworden sind.
Dass dem so ist, liegt natürlich auf der Hand, denn: Elektro ist halt doch noch etwas ganz Neues. Während die SUV und Limousinen schon lange elektrifiziert unterwegs sind – die Hybridversionen lebten immer ein Schattendasein –, ist ein rein batterieelektrischer Porsche doch etwas ganz anderes. Die Nische der ultra-starken Limousinen besetzte Platzhirsch Tesla bisher allein mit dem Model S, das in den aktuellen Versionen – bei Tesla gibt es da ja keine Konstante – entweder 562 oder 795 PS liefert. Die Leistungsspanne des Taycan rangiert zwischen 530 PS beim 4S und 761 PS beim Turbo S. Aber die absoluten Leistungszahlen sind nicht allein ausschlaggebend dafür, ob ein Auto als sportlich gilt oder nicht.
Auf dem Papier ist unser Testwagen, der Porsche Taycan Turbo, ein reinrassiger Sportwagen: 500 kW (680 PS) Spitzenleistung, bis zu 850 Nm Drehmoment, 0 bis 100 km/h in 3.2 Sekunden. Die Beschleunigung ist kein reiner Papierwert, bei unseren Messungen erreichten wir diesen Wert ohne Probleme. Dadurch, dass das Drehmoment und somit die Beschleunigung elektrotypisch sofort zur Verfügung stehen, gleicht der abartige Antritt tatsächlich einem sprichwörtlichen Schlag in den Nacken.
Es klingt nach Star Trek
Ein Novum für Elektroautos ist das Zweigang-Getriebe, das an der Hinterachse zum Einsatz kommt. Sein Zweck ist es, dass zwei unterschiedliche Anwendungsbereiche abgedeckt werden können, ähnlich einem Getriebe eines Verbrenners. Im Normalmodus ist das Getriebe – das über Lammellenkupplungen geschaltet wird – im länger übersetzten zweiten Gang, sodass mit tiefer Motordrehzahl und wenig Leistungsaufnahme gefahren werden kann. Wenn die Leistungsanforderung zunimmt, also bei starker Beschleunigung, wechselt das Getriebe in Sekundenbruchteilen in den ersten Gang, um maximales Raddrehmoment zu erreichen. In den Fahrmodi Sport und Sport Plus ist das Getriebe standardmässig im ersten Gang, damit die Verzögerung entfällt. Bei höheren Geschwindigkeiten ab 160 km/h wird dann, kaum merklich, in den zweiten Gang gewechselt. Ein manuelles Schalten ist nicht möglich.
Untermalt wird die Beschleunigungsorgie von etwas, was im ersten Moment nach einem verfälschten Geräusch der Elektromotoren klingt. Der Theremin-Sound lässt sich aber ausschalten, im normalen Fahrmodus ist er ohnehin nicht eingeschaltet. Je nach Ausstattungsvariante ist der Sound im Star-Trek-Stil im Übrigen nicht serienmässig dabei, sondern kann für humane 610 Franken dazugekauft werden.
Effizienter Antrieb
Porsche brüstet sich gern damit, dass alle seine Sportwagen eben auch voll alltagstauglich seien und hat sich deshalb Mühe gegeben, auch den Antrieb des Taycan entsprechend zu gestalten. Bei einem Elektroauto heisst das: viel Reichweite, unkompliziertes Laden. Der Antriebsstrang des Taycan arbeitet erstaunlich effizient, sodass Reichweiten von jenseits der 400 Kilometer bei angepasster Fahrweise durchaus machbar sind. Die 93-kWh-Batterie kann dank 800 Volt Batteriespannung mit bis zu 270 kW Gleichstrom geladen werden. Clever: Die Routenplanung im Navi ist um diese Tatsache herum aufgebaut, sodass bei einer Routenplanung immer auch allfällige Nachladestopps unter Berücksichtigung der möglichen Ladeleistung der jeweiligen Stationen eingeplant werden.
Wie ein echter Porsche verleitet der Taycan aber durchaus auch zu wenig angepasster Fahrweise. Die Fahrdynamik bringt das Gefühl von alten Renngames zurück, bei denen noch keine realistische Fahrphysik implementiert war. Dank des niedrigen Schwerpunkts, des straffen – adaptiven – Fahrwerks und harter Kurvenstabilisatoren lässt sich der Taycan wie auf Schienen durch die Bögen dirigieren. Der lange Radstand von 2.9 Metern sorgt bei Geradeausfahrt für Stabilität und Spurtreue, auf kurvenreichen Strecken verliert der Elektro-Porsche dadurch an Wendigkeit, was die optionale Hinterachslenkung wieder gutmachen muss.
Das Feedback von Lenkung und Bremspedal ist erstaunlich direkt und der Übergang vom Rekuperieren zum mechanischen Bremsen kaum spürbar. Die ausbalancierte Gewichtsverteilung und die Priorisierung der Hinterachse für das Antriebsmoment erzeugen schon fast ein Gefühl wie in einem Cayman. Wenn da bloss nicht diese Masse wäre: Die 2.3 Tonnen Leergewicht lassen sich vielleicht in der Längsdynamik kaschieren, bei der Querbeschleunigung geht das aber trotz ausgeklügelten Allradantriebs mit Torque-Vectoring nicht. Die monströsen Reifen – 245er vorne, 285er hinten – bieten zwar viel Grip, aber irgendwann ist auch da Schluss.
Die Qualitätsfrage
Während der Antrieb und die Fahrdynamik das Prädikat Porsche verdienen, müssen wir auch noch einen Blick auf die übrigen Komponenten werfen, die eine Premiummarke typischerweise auszeichnen. Im Innenraum dominiert futuristische Optik. Das Infotainment, die Klimabedienung, das freistehende Kombiinstrument, die Klimabedienung für die Rücksitze – alles geschieht über Touchscreens. Optisch ist das zwar nett, ergonomisch ist es aber nicht. Die Philosophie «Ein Schalter – eine Funktion», auf die Porsche einst so stolz war, ist zwar bei den neuen Modellen an ihre Grenzen geraten, aber ein kompletter Verzicht auf Knöpfe ist, als käme man vom Regen in die Traufe. Auch die Fahrassistenten dürften für ein Auto, das die Speerspitze der Technologie darstellen soll, noch etwas besser funktionieren. Die automatische Anpassung des Tempomaten an die signalisierte Höchstgeschwindigkeit beherrscht der Taycan nicht, und auch der Spurassistent hinkt denjenigen der Marktführer klar hinterher.
Der Kritikpunkt, der «Das ist aber nicht Porsche»-Moment, gilt der Qualitätsanmutung und der Verarbeitung. Unpassende Spaltmasse, dürftiges, wenn auch ökologisches Mikrofaser-Material, schief genähte Ziernähte und diverse Plastikteile werden dem Premiumanspruch nicht gerecht. Und den darf man bei einem Preis jenseits von 200 000 Franken durchaus haben.
FAZIT
Das Fahrverhalten des Taycan, der vom Platzangebot zwischen 911 und Panamera figuriert, ist unglaublich dynamisch und beeindruckend. Aber eben, hmm, wenn auch nicht gerade langweilig, so doch vorhersehbar. Für diejenigen, die sich an den 964 Turbo erinnern, an die Spannung, während der Lader Druck aufbaut, den Kick, sobald er einsetzt: Der Taycan ist das Gegenteil davon. Und weil Porsche schon immer den Drang hatte, alles Imperfekte auszuglätten, kann man sagen: Der Taycan ist ein echter Porsche. Schade, dass die Verarbeitung stark abfällt. Hier hätte sich Porsche vom Tesla Model S abheben können, der mit ähnlichen Fahrleistungen aufwartet, der technologisch viel weiter ist und deutlich weniger kostet. So bleibt vor allem die ausgezeichnete Fahrdynamik, die klar für den Porsche spricht.
Die technischen Daten und die AUTOMOBIL-REVUE-Testdaten zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe der AUTOMOBIL REVUE.