«Ich habe überhaupt keine Ahnung von Autos»

CARVOLUTION Langzeitmiete statt Neuwagenkauf: Mit ihrem Start-up Car­volution will Léa Miggiano den Automarkt umkrempeln. Im Interview spricht sie über die Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells, darüber, wieso autonome Fahrzeuge ­flexible ­Arbeitszeiten bedingen und wie ihr fehlende Erfahrung zum Erfolg verhilft.

Die Gründungsstory von Carvolution liest sich wie die so ziemlich jedes anderen Start-ups auch. Vor zwei Jahren brauchte Léa Miggiano ein neues Auto, aber eines zu kaufen, war ihr zu teuer. Sie sei erschrocken, wie wahnsinnig viel ein Neuwagen koste, erzählt die Absolventin der Hochschule St. Gallen. Als Millenial mit Spotify und Netflix vertraut, portierte sie das Modell des Nutzens statt Besitzens auf die Autobranche und gründete eine neue Firma mit einem bisher noch wenig verbreiteten Geschäftsmodell: Autoabos. Damit sollen auch Junge, die noch nichts angespart haben, in den Genuss eines Neuwagens kommen. Im Gespräch mit ihr merkt man schnell: Sie ist überzeugt vom Potenzial und kann ohne auch nur einmal zu zögern, eine halbe Stunde von den Vor- und Nachteilen, Stärken und Schwächen ihres Start-ups Carvolu­tion erzählen. Es erstaunt nicht, dass sie schon diverse namhafte Investoren hinter sich gebracht hat, zuletzt die Mobiliar mit einem 50-Millionen-Deal.

Automobil Revue: Carvolution ist ein Port­manteau aus Car und Revolution. Ist das Autoabo die Revolution?

Léa Miggiano: Es ist ja nicht nur Revolution, sondern auch Evolution. Es ist immer eine Gratwanderung, wo es etwas ganz Neues braucht und wo eine Verbesserung genügt. Das Gute am Autoabo ist, dass sich das Verhalten der Menschen zur Nutzung nicht ändern muss. Aber ein Auto selber zu besitzen, ist immer mit Aufwand verbunden und auch mit Kosten, die viel höher sind, als man das erwartet. Da möchten wir sehr viel einfacher sein, weil wir klar kalkulierbare Kosten bieten.

Aber wenn ich ein Auto kaufe und das dann 15 Jahre fahre, ist das günstiger!

Aber das macht doch fast niemand mehr! Für Leute, die gerne einen Neuwagen wollen, bieten wir eine sehr gute, preiswerte und vor allem kalkulierbare Alternative. Die Gebrauchtwagenkunden sind aber natürlich eine andere Zielgruppe. Dennoch, im Schnitt kostet ein gekauftes Auto rund 700 CHF pro Monat und das während der ersten 8 Jahre. Unsere Abos starten bereits bei unter 400 CHF. Nur wer sein Auto also wirklich lange behalten möchte, ist mit einem gekauften Auto günstiger unterwegs.

Wie heben Sie sich von Konkurrenten wie Herstellern, Importeuren oder Autovermietern ab?

Es ist enorm, was in den vergangenen zwei Jahren gegangen ist. Die Tatsache, dass auch die Grossen mitspielen, zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Was uns abhebt, ist, dass wir ein reiner Aboanbieter sind. Unser gesamtes Geschäftsmodell ist darauf ausgerichtet. Es ist nicht einfach nur eine Ergänzung, es ist unser Kerngeschäft.

Trotzdem: Wieso sollten Sie einen besseren Service bieten können als ein Hersteller, der vom Verkauf über Unterhalt bis Ersatzwagen alles anbieten kann?

Wir haben einen ganz anderen Fokus. Unser Ziel ist nicht, möglichst viele Fahrzeuge auf die Strasse zu bringen, sondern die Kunden Monat für Monat wieder von uns zu überzeugen und für sie da zu sein. Ein Kunde kann uns nach der von ihm bestimmten Mindest Abodauer jederzeit verlassen, wenn er unzufrieden ist. Gerade deshalb ist es enorm wichtig, dass wir sehr attraktive Preise haben und das Kundenerlebnis insgesamt einzigartig ist. Da schätzt eben nicht nur meine Generation, sondern jede und jeder, der oder die im Alltag auf ein eigenes Auto angewiesen ist.

Ein Punkt, den man immer wieder hört, wenn es um Carsharing und Autoabos geht, ist, dass es umweltfreundlicher und nachhaltiger sei, wenn man ein Auto teile. Wie sehen Sie das?

Autofahren ist per se nicht nachhaltig, das muss man einfach schon einmal vorwegnehmen. Aber bei unserem Modell hat man immerhin die Möglichkeit, das Auto entsprechend den eigenen Bedürfnissen zu wählen und flexibel zu wechseln. Wenn es mein eigenes, gekauftes Auto ist, liegt diese Hemmschwelle viel höher. Der zweite Punkt ist: Bei einem Abo wird man sich der Gesamtkosten eines Autos bewusst. Und ich denke, es gibt sicher den einen oder anderen, der ein paar Monate im Jahr auf ein Auto verzichtet, wenn er sieht, wie viel es kostet. Wir stellen zudem fest, dass insbesondere die verbrauchsarmen Autos und E-Fahrzeuge überdurchschnittlich bestellt werden. Für Kunden die an einem E-Fahrzeug interessiert sind sich aber noch unsicher sind, ermöglicht das Auto-Abo von Carvolution einen einfachen und risikofreien Zugang.

Ernsthaft? Sie als Autovermieter schützen die Umwelt, indem Sie die Menschen vom Autofahren abhalten?

Wir haben tatsächlich die undankbare Aufgabe, den Menschen aufzuzeigen, wie viel ein eigenes Auto eigentlich kostet. Natürlich sagen wir ihnen dann, dass es bei uns weniger kostet. Wir haben auch viele Kunden, die nur im Winter ein Auto brauchen und im Sommer das Velo nehmen. Darauf können wir eingehen. Statt sich ein Auto zu kaufen, das er nur ein paar Monate im Jahr benötigt, kann er für diese Zeit eines bei uns beziehen.

Das heisst, die Nachfrage ist im Winter viel grösser als im Sommer? Typisch wäre ja, dass man sich im Sommer ein Cabrio holt und im Winter ein SUV mit Allrad. Und im Winter stehen dann all die Cabrios bei Ihnen herum?

Das ist tatsächlich eines der Argumente, die man immer wieder hört. Aber: Wir haben gar keine Cabrios im Angebot. Wenn die im Winter nur herumstünden, wäre das eine schwierige Flottenauslastung, die wir übers Pricing auf den Kunden abwälzen müssten, was sehr unattraktive Preise ergäbe. Und wenn wir ehrlich sind: Ein Cabrio ist mal witzig für ein Wochenende, aber sonst ist es für viele unpraktisch. Wir hatten einige in der Flotte, aber es bestand kaum Nachfrage danach.

Es wird über Fahrverbote für Verbrenner diskutiert, Städte sollen autofrei werden, die Benzinabgaben werden erhöht. Keine einfache Zeit, um in die Autobranche einzusteigen.

Klar, wer das Tram vor der Nase und den Bahnhof um die Ecke hat, braucht vielleicht kein Auto. Aber in der Schweiz wird das Auto noch lange eine grosse Rolle spielen, es ist nun einmal das bevorzugte Fortbewegungsmittel. Gerade auch deshalb ist es wichtig, dass die Leute einen einfachen Zugang zu neuen Technologien haben, wie Elektro und Hybrid. Wir bauen unsere Flotte kontinuierlich in diese Richtung aus.

Früher war etwas dann persönlich, wenn es mir gehört. Ändert sich der Bezug zum Besitz?

Ich glaube, das Auto als Statussymbol ist bei vielen Leuten überholt. Das Statussymbol heute ist das Reisen oder der Besuch eines guten Restaurants. Das ändert aber nichts daran, dass die Anforderungen an ein Auto hoch sind. Wir wollen gute Assistenzsysteme, Sicherheit, Komfort. Und klar, wir bieten auch Mercedes und Audi an. Aber die Leute haben heute Freude am Auto, und nicht Freude daran, dass sie die Eigentümer sind.

Sie sind Gründerin von Carvolution, haben aber selber keinen Hintergrund in der Autobranche. Wie kam es dazu?

Ja, ich habe überhaupt keine Ahnung von Autos (lacht)! Inzwischen geht es zwar, jetzt kann ich schon die einzelnen Modelle auseinanderhalten. Ich denke, das ist aber ein grosser Vorteil: Viele im Team haben keine Erfahrung in der Autobranche, deshalb sind wir unvoreingenommen. Wir sehen die Probleme aus Konsumentensicht und überlegen uns die ideale Lösung dazu. Aber klar, für die Autobeschaffung haben wir mittlerweile Profis, die die Abläufe kennen und wissen, was gefragt ist. Für die ersten Modelle haben wir einfach die Verkaufsstatistik angeschaut und diese Autos bestellt, heute ist alles zu 100% datengetrieben.

Was ist Ihr persönlicher Liebling in der Flotte?

Ich habe absolut kein Lieblingsauto. Man kann mir irgendein Auto geben und nach ein paar Fahrten ist es für mich auch wieder mein Auto, in dem ich mich wohl fühle. Im Moment fahre ich einen Ford Focus, mit dem bin ich zufrieden. Nicht zu gross, nicht zu klein, hat alle Assistenten, Sitzheizung und so weiter. Wir versuchen übrigens auch zu verstehen, wie die Leute die Assistenzsysteme nutzen. Bei Kleinwagen, die in der Stadt bewegt werden, ist es vielleicht nicht nötig, dass sie mit allen Assistenten ausgestattet sind. Ich glaube, viele Leute nutzen all diese Assistenzsysteme gar nicht, obwohl sie sie haben.

Ist das ein Generationenproblem?

Ja, ich glaube die jüngeren sind da schon affiner dafür. Wenn meine Mutter neben mir sitzt, schaut sie immer ganz schockiert, wenn ich mal das Lenkrad loslasse. Ich muss sie dann beruhigen, dass das Auto einen Abstandstempomaten und ein Spur­assistenten hat und die Systeme sicherer fahren, als ich das jemals könnte. Jeder Assistent hat eine einzige Aufgabe, die er machen muss. Natürlich kann er das besser als der Mensch. Grossartig wird es, wenn die Autos dann alle komplett autonom sind. Dann darf aber niemand mehr den Anspruch haben, selber ein Auto besitzen zu wollen!

Wieso das?

Weil man dann einerseits zwar den persönlichen Effizienzgewinn hat, den aber wieder völlig limitiert dadurch, dass man ihn anderen nicht zur Verfügung stellt.

Das dauert ja noch lange, bis wir so weit sind.

Aber die Idee ist nicht ganz abwegig, dass ein Auto irgendwann halt ähnlich ist wie ein Zug, den man nicht besitzt, sondern bloss nutzt. Natürlich wird das nicht für alle gelten, es wird immer Liebhaber geben, die ihre Autos besitzen wollen. Aber für die breite Masse, die nur die Mobilität will, wird das schon irgendwann kommen, dass man mit einem Klick ein Auto bestellt, das einen von A nach B bringt. Aber das ist noch weit weg. Alleine schon, bis die Menschen mental bereit sein werden, sich in ein Auto zu setzen, das weder Lenkrad noch Pedale hat, wird es noch lange dauern. 

Gegründet 2018, zählt der Autoabo-Anbieter heute bereits über 30 Mitarbeiter. Der Hauptstandort ist in Bannwil BE, wo die Fahrzeuge vor der Auslieferung aufbereitet werden. Im Bild das Gründerteam: Chrisitan Räber (CTO), Adrian Boss (Head of Fleet Management), Bernhard Dürer (CFO), Luis Wittwer (COO), Léa Miggiano (CMO) und Olivier Kofler (CEO; v. l.).

Hinweis: In einer früheren Version des Artikels wurde eine von der Interviewten nicht freigegebene Version des Interviews verwendet.

2 Kommentare

  1. Ich finde die Idee, die hinter Carvolution steht, sehr interessant. Dass das Konzept eine Zukunft hat, zeigt sich auch im Engagement der Mobiliar Versicherung, welche die Weiterentwicklung der Firma mit CHF 50 Mio unterstützt.

  2. Auto-Langzeitmiete und Auto-Sharing haben Zukunft! Die TCO Kostenrechnung würde mich brennend interessieren. Ich finde die meisten unterschätzen die Kosten des Autos; zudem wirkt es jeweils befremdlich, wenn ein Mitreisender von Bern nach Zürich findet 5.- Benzinkostenanteil sei ja ausreichend….

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