Der Reigen in Genf geht in eine neue Runde. Nachdem sich die GIMS-Stiftung und Palexpo offenbar nicht nähergekommen sind (rappelons que …), ist Palexpo jetzt offenbar vorgeprescht. Wie vergangene Woche bekannt wurde, hat die Genfer Messe ein eigenes Konzept ausgearbeitet, wie die Automesse in Genf in Zukunft aussehen soll. Demnach soll der Anlass im Jahr 2021 deutlich kompakter ausfallen als üblich. Dies wohl auch mit der Absicht, dass für 2022 wieder ein Grossanlass ins Auge gefasst werden kann.
Medien- und Networking-Event
Jahr für Jahr zog der Autosalon Genf während 14 Tagen rund 10 000 Medienvertreter und bis zu 600 000 Besucher an den Genfersee. Die Hersteller nutzten die erste grosse Messe im Jahr immer gerne, um ihre Neuheiten zu enthüllen. Das sollen sie 2021 in einem kleinen Rahmen tun können: Das Konzept von Palexpo sieht vor, dass der gesamte Anlass auf drei Tage gekürzt wird, während derer die Hersteller den versammelten Medienvertretern ihre Neuheiten präsentieren können. Publikumstage für die rund 600 000 Besucher sind nicht vorgesehen. Dies wäre eine Abkehr von der bisherigen Volksveranstaltung hin zu einer exklusiven Show für die Journalisten – und ist wohl in mehrfacher Hinsicht ein Zugeständnis an die unsichere Situation mit den Corona-Massnahmen. Einerseits lassen sich Sicherheitsmassnahmen wie Abstandhalten, Personennachverfolgung und Hygienemassnahmen einfacher umsetzen, je weniger Personen vor Ort sind. Und andererseits wird das finanzielle Risiko kleiner für den Fall, dass der Anlass in letzter Minute doch wieder abgesagt werden muss.
Aus dem bereits sehr detailliert ausgearbeiteten Konzept geht hervor, wie der Ersatz-Salon 2021 aussehen soll. Als erstes fällt auf, dass sich die Messe thematisch öffnen will. Somit sind nicht mehr nur Autohersteller, sondern auch Mobilitätsdienstleister eingeladen. Explizit heisst das, das auch «mobiliy-related objects», also mobilitätsbezogene Geräte, ausgestellt werden können – zu erwarten sind wohl vor allem Vertreter der Micromobility, also Elektrotrottinetts oder E-Bikes, sowie Anbieter von Carsharing-Diensten.
Gemäss Projektierung wird den Ausstellern die Wahl gelassen zwischen drei möglichen Standgrössen, je nach Anzahl Fahrzeuge, die sie präsentieren möchten. Die gesamte Infrastruktur wird vom Organisator gegen einen Fixpreis zur Verfügung gestellt. Das ist für die Aussteller ein bezeichnender Unterschied gegenüber den bisher üblichen, bisweilen ausufernden Monsterkonstruktionen, die die Hersteller für einen immer noch pompöseren Auftritt aufbauen liessen. Ausserdem wird es eine einzige Bühne geben, auf welcher die Marken ihre Pressekonferenzen in 15- bis 30-minütigen Slots abhalten können.
Ärger bei der Stiftung
Dass der Anlass in Zukunft wieder als gemeinsames Projekt von Palexpo und GIMS-Stiftung stattfinden wird, scheint immer unwahrscheinlicher, da zwischen den beiden Parteien offenbar weiterhin Funkstille herrscht. Noch Anfang September hatte Stiftungsratspräsident Maurice Turrettini der AR erklärt, dass er Annäherungsversuche begrüssen würde. Wie die «Automobil Revue» aus internen Quellen weiss, wurde der Vorschlag, dass ein Mediator die Gespräche wieder in Gang bringen könnte, zwar diskutiert, aber bisher nicht weiterverfolgt.
Auch die Aussteller sind der Meinung, dass sich alle Parteien an einen Tisch setzen müssten, vor allem auch, um die Altlasten zu beseitigen. «Wir haben Kenntnis vom Konzept der Palexpo für 2021, aber solange die Situation mit dem abgesagten Salon 2020 nicht geklärt ist, können wir nicht über 2021 nachdenken», so ein Schweizer Importeur, der nicht genannt werden möchte. «Aus unserer Sicht bringt dieser Alleingang von Palexpo nicht viel, es wäre sinnvoller, wenn alle am gleichen Strick ziehen würden.» Von verschiedenen anderen Seiten gab es verhaltene Zustimmung für das Projekt, ein ebenfalls nicht genannt sein wollender deutscher Hersteller wird noch diese Woche eine interne Sitzung mit allen eventuell involvierten Stellen abhalten. Aber offizielle Zusagen gibt es keine. Vereinzelt zeigte man aber Erstaunen über das Vorgehen von Palexpo, die die Unterlagen offenbar kommentarlos und ohne persönliche Kontaktaufnahme versendet hatte.
Palexpo-Direktor Claude Membrez wollte sich auf Anfrage der «Automobil Revue» nicht weiter zu den Plänen oder den bereits verschickten Einladungen an die Hersteller äussern: «Falls sich das Projekt konkretisiert, werden wir das gegen Jahresende kommunizieren.»
Kein Interesse der Importeure?
Auffällig ist, dass vor allem die Schweizer Importeure wenig Interesse an einer Fortführung von Genf zeigen. Über die Importeurvereinigung Auto-Schweiz sind sie immerhin zur Hälfte an der GIMS-Stiftung beteiligt, hätten es also in den Händen, mit vergleichsweise geringen Investitionen die renommierteste Automesse des Landes am Leben zu erhalten.
Klar, die Mehrheit der Medienvertreter und die Hälfte der Besucher reisen aus dem Ausland an. Das bedeutet aber immer noch, dass über 300 000 Schweizerinnen und Schweizer nach Genf zum Autosalon fahren – also rund vier Prozent der Bevölkerung. Dazu kommt die mediale, ausnahmsweise positive Berichterstattung in den Medien über das Auto, die in den Wochen vor dem und während des Autosalons ungleich höher ist. Die Kosten, um sich eine solche mediale Präsenz mit Inseraten und Kampagnen zu erkaufen, lägen wohl ein Vielfaches höher. Und auch deutlich über einer Investition in einen Salon.
Die Entscheidung über die Teilnahme an internationalen Anlässen wie eben dem Autosalon liegt oftmals nicht in der Gewalt der Schweizer Importeure, sondern kommt direkt vom Mutterhaus. Dass für diese die – relativ riskante – Teilnahme an einer Messe in Europa nicht mehr im Fokus steht, erklärt sich vor allem vor dem Hintergrund der Geschäftsverschiebung nach China, wo der Markt und vor allem das Marketing anders funktionieren als bei uns in der alten Welt.
Der Erfolg dort läuft über Livestreams und Onlinebestellungen, der direkte Kundenkontakt, das Sehen und Anfassen eines Autos vor dem Kauf sind zweitrangig. Wenig erstaunlich also, dass die Hersteller die Gelegenheit nutzen, um ihre Strategien ganz auf den weiter aufstrebenden Riesenmarkt auszurichten (und dabei auch noch viel Geld zu sparen). Umso erstaunlicher ist hingegen, dass die Schweizer Autobranche sich nicht mehr für die Erhaltung ihres wichtigsten Anlasses einsetzt, sondern einfach hinnimmt, schon bald mit abgesägten Hosen dazustehen. Zumal die vergangenen Monate ja deutlich aufgezeigt haben, dass die neuen Wege gerade den Schweizer Importeuren bei Weitem nicht die Publicity gebracht haben, die sie sich für ihre Neuheiten gewohnt waren und die sie auch dringend gebraucht hätten.
«Ich habe durchaus Gehör für die Autobranche»
Auto-Schweiz hatte Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga in zwei Briefen um ein Treffen geben – ohne Erfolg. Die Verbandsspitze der Importeure hätte der Magistratin gerne dargelegt, wieso eine Aussetzung der strengeren CO2-Richtlinien im Corona-Jahr 2020 gerechtfertigt gewesen wäre. Zuletzt flatterte den Importeuren eine 78.1-Millionen-Franken-Busse für die Überschreitung des CO2-Zielwerts von 130 g/km per 2019 ins Haus. 2020 gelten 95 g/km. Geht man davon aus, dass der CO2-Ausstoss jedes neu zugelassenen PW 2020 gegenüber 2019 (138.1 g) oder 2018 (137.8 g) nicht wesentlich sinkt, dürften die Sanktionszahlungen in den nächsten zwei Jahren rund 600 Millionen Franken betragen. Das hat dann mit einer Lenkungsabgabe gar nichts mehr, aber viel mit einer grün maskierten Steuer zu tun.
«Ich höre die Anliegen aus der Branche durchaus», sagt Sommaruga. Vorab über ihre Amtsdirektoren. Allein, es ist klar: Der Import wird mit seinem Anliegen kein Gehör finden. Da weht ein (zu) steifer grüner Wind in Bern. Immerhin: Hört man der populären Konsumentenschützerin von früher gut zu, hat man das Gefühl, dass tief drin ein wenig Verständnis für die Importeure schlummert. Die Sanktions-Millionen werden schliesslich am Ende die Konsumenten berappen, was weder der Attraktivität von E-Autos noch der Verbreitung der E-Mobilität dient. Kommt hinzu, dass die Konsumenten immer weniger bereit sind, monatelang auf ein bestelltes Auto zu warten – was sie hierzulande aber müssen, wenn es um Steckerfahrzeuge geht. Die Werke standen wochenlang still.
In der Schweiz spürt man da doch eine nuancierte Doppelmoral: Elektrisch ja, unbedingt und sowieso! Aber richten sollen es bitte primär die Privaten. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Bund in den nächsten zehn Jahren 100 Rastplätze auf dem Nationalstrassennetz mit Schnellladestation ausrüstet. Staatliche Kaufprämien wie in Deutschland sind hier utopisch, Hauseigentümer bei Neubauten zum Einbau (oder Nachrüsten) von Ladestationen zu verpflichten – sicher nicht. Nicht einmal die steuerliche Schlechterstellung (!) von E-Dienstfahrzeugen zu korrigieren, liegt drin. Und so beissen die Importeure auch hier auf Granit, wenn sie versuchen, Rahmenbedingungen zu schaffen, die, weitsichtig durchdacht, der E-Mobilität eigentlich dienen würden.
Ein Tuttifrutti von Verwendungszwecken
«Der Bundesrat kann sich nicht einfach so über den Volksentscheid von 2017 hinwegsetzen oder diesen aushebeln», sagt Sommaruga. Freilich hat das Volk damals auch gesagt, dass die CO2-Bussgelder in den Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds fliessen sollen. Jetzt sollen sie aber hälftig auch den neuen Klimafonds speisen, einen Fonds für ein Tuttifrutti an Verwendungszwecken. Die Autobranche könne «von den gleichen Corona-Massnahmen profitieren wie alle anderen», sagt Sommaruga. Stichwort Kurzarbeit oder Kredite. «Zudem können Zahlungen gestundet werden.» Aber auf Geld verzichten? Nein!
«Abgesehen davon wurde ich schon dafür kritisiert, dass ich das Phasing-in nicht aus der Verordnung des CO2-Gesetzes nahm», so die Bundespräsidentin. Dass also 2020 die CO2-intensivsten 15 Prozent der Neuwagen nicht angerechnet werden (2021 10%, 2022 5%). In der EU muss das 95-Gramm-Ziel schon heuer mit 95 Prozent der Flotte erreicht werden. «Damit nimmt der Bundesrat beim Übergang zu den verschärften Zielwerten Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse in der Schweiz», so Sommaruga. Dazu gehören auch die Supercredits. Ob diese Goodies indes die Differenzbereinigung des CO2-Gesetzes überleben?