Der neue Familien-Ford?

GROSS «Der beste Explorer, den Ford je gebaut hat», titelte das britische «Top Gear Magazine» über die aktuelle ­Generation. Auch wir sind der Meinung: Das grösste SUV von Ford bietet einige sehr überzeugende Argumente.

In den USA hat sich Ford inzwischen komplett verabschiedet von allem, was nicht mindestens SUV ist. Der letzte Fusion lief in der Hermosillo Plant in Mexiko in den Morgenstunden des 31. Juli vom Band und besiegelte die Ära der Sedans für Ford North America. Die Entscheidung, in Nordamerika keine Limousinen mehr zu verkaufen, war ja schon lange angekündigt worden und kam auch nicht überraschend, schon immer wurde der Löwenanteil des Geschäfts mit SUV und Pick-ups gemacht. Nicht so in Europa, wo Focus und Fies­ta die Verkaufsranglisten anführen und von denen etwa gleich viele verkauft werden wie von allen SUV zusammen. Bei uns ist der Explorer immer noch ein Nischenprodukt und steht verkaufszahlenmässig weit abgeschlagen hinter den kompakten Puma und Kuga. Zu gross ist er wohl, zu schwer, zu teuer, vielleicht auch zu elektrisch. Aber das ist alles relativ, denn der Explorer macht, wie er in unserem Test bewiesen hat, sehr vieles sehr gut. Und wenn dereinst die schon lange serbelnden Minivans ganz wegbrechen, kann vielleicht sogar der Explorer mit seinen sieben Sitzen in die Bresche springen.

Zu elektrisch?
Seit der Lancierung der sechsten Generation des Explorers Ende 2019 gibt es in Europa nur noch eine einzige Motorisierung: einen Dreiliter-V6 gepaart mit einer Elektromaschine. Der aufgeladene V6 liefert 267 kW (363 PS) bei 5750 U/min, dazu kommen noch einmal elektrische 75 kW (102 PS). Gesamthaft gibt Ford eine kombinierte Leistung von 457 PS an.

Die offizielle Reichweite mit einer vollgeladenen Batterie liegt bei 42 Kilometern, in unserem Test reichte eine Ladung für gut 35 Kilometer. Das reicht immer noch aus für die meisten Pendler, die so gar nie in den Genuss des Ecoboost-V6 kommen. Schade eigentlich, denn auch der Verbrenner arbeitet sehr laufruhig, die Übergänge zwischen elektrischem und thermischem Fahren sind kaum spürbar. Die Zehnstufen-Automatik gönnt sich naturgemäss wenig Pausen, denn mit zehn Gängen findet die Getriebesteuerung immer einen noch passenderen. Beim Beschleunigen kann sich so das Zusammenspiel von Verbrenner, Elektromotor und Getriebe bisweilen etwas hektisch anfühlen und anhören. Sobald aber freie Fahrt und der Tempomat auf 120 km/h gestellt ist, beruhigt sich alles ziemlich schnell. Bis Tempo 135 gehts übrigens problemlos rein elektrisch.

Der Vorwurf an Plug-in-Fahrer lautet ja: Die wollen bloss Steuern sparen und stecken ihn dann doch nie ein. Kann sein, macht aber auch nichts, denn auch mit einer leer gefahrenen Batterie ist ein PHEV immer noch ein Hybrid, das heisst alle technischen Spielereien wie Lastpunktverschiebung und Rekuperation funktionieren weiterhin. Der Explorer kommt so im Schnitt auf einen Verbrauch von 8.9 l/100 km, was zwar himmelweit von den offiziellen 3.2 Litern entfernt, angesichts des Leergewichts von 2460 Kilogramm aber in Ordnung ist.

Zu schwer?
Solange es bloss geradeaus gehen soll, ist der Explorer schnell. Genau sechs Sekunden gibt Ford an für den Standardsprint auf Tempo 100, 5.8 Sekunden waren es in der Praxis. Ein Phänomen übrigens, das wir bei Hybriden vermehrt beobachten: Wir messen Beschleunigungswerte, die unter den offiziellen Angaben liegen. Angesichts des bereits angesprochenen hohen Gewichts ist das beeindruckend. Die 825 Nm drücken über alle vier Räder ordentlich nach vorne, und da aus dem Stand ein Grossteil davon von der E-Maschine bereitgestellt wird, liegt das Drehmoment auch ohne Verzögerung an. Weniger sportlich erweist sich das SUV in den Bögen. Die Lenkung ist – vielleicht sogar überraschend – angenehm, direkt und präzise, das hat Ford auch bei den Grossen im Griff.

Das Fahrwerk kämpft dann aber eben doch gegen die Kilos. Die 13.6-kWh-Batterie ist unterhalb der zweiten Sitzreihe im Unterboden verbaut, also vor der Hinterachse. Der Schwerpunkt ist somit ausbalanciert und tief. Klingt sportlich, ist es aber natürlich nicht. Typisch Amerikaner will er nicht um die Bögen gejagt werden, sondern soll komfortabel und entspannt dahingleiten, vorzugsweise auf der Autobahn. Da schluckt das Fahrwerk Unebenheiten ohne Probleme weg.

Zu gross?
Das ist aber auch wenig überraschend, denn mit einer Gesamtlänge von 5049 und einem Radstand von 3025 Millimetern gehört der Explorer nicht gerade zu den kleineren Gesellen im Strassenbild. Dafür bietet er viel Platz, und zwar auf allen drei der Sitzreihen. Dank der wenig abfallenden Dachlinie (Kopffreiheit 80 cm) und der längs verschiebbaren zweiten Reihe (Beinfreiheit dritte Reihe 20–33 cm) fühlen sich Erwachsene auch in der dritten Reihe nicht wie in der dritten Klasse. Auf den vorderen Sitzen ist die Komfortfrage kein Thema, das Gestühl wurde mit Priorität auf Sitzkomfort ausgelegt und bietet entsprechend wenig Seitenhalt. Das stört aber insofern nicht, weil der Explorer ohnehin nicht für die Kurvenjagd ausgelegt ist.

Dank mehr als genügend Laderaum (mindestens 240 l hinter der dritten Reihe, 1137 l hinter der zweiten, bis zu 2274 l bei vollständig heruntergeklappten Rücksitzen) hat so ziemlich alles Platz. Die Sicht nach hinten ist nicht grossartig, dank der 360-Grad-Kamera und Park­assistent geht das Einparkieren aber auch in knappen Parklücken flott von der Hand.

Während aussen wie innen alles gross und majestätisch ist, wirkt das Acht-Zoll-Infotainment irgendwie verloren im Armaturenbrett. Das bewährte Sync 3 sieht zwar schon etwas angestaubt aus, lässt sich aber äusserst simpel bedienen. Optional ist auch ein 10.1-Zoll-Infotainment im Porträtformat erhältlich – an der Bedienung ändert sich dadurch freilich nichts, es wurden keine Knöpfe geopfert, sondern lediglich ein Ablagefach. Das volldigitale Kombi­instrument lässt sich einigermassen frei konfigurieren, hier stören einzig einige unschöne Worttrennungen. Ja, uns als hauptberuflichen Textverarbeitern fällt so etwas halt auf.

Mächtig: Der Ford Explorer ist gross, schwer, stark. Dafür bietet er auch sieben Insassen mehr als genügend Platz – und es lässt sich äusserst komfortabel in ihm reisen.

Zu teuer?
Solange diese kleinen unschönen Details alles sind, was es zu kritisieren gibt, ist alles in Ordnung. Und viel mehr gibt es tatsächlich nicht zu bemängeln im Innenraum. An Armaturenbrett, Mittelkonsole und Türverkleidung dominiert in der Ausstattungslinie ST-Line zwar Hartplastik, die Detaillösungen und die Verarbeitung hätten noch Potenzial nach oben. Wer das ausnutzen will, kann das mit der Ausstattungslinie Platinum, bei der einige der Plastikteile durch Holz ersetzt werden, sowie mit Sitzen mit dunkelbraunem Leder, was noch besser zum Pre­mium­fahrgefühl passt als die auf sportlich getrimmten, roten Ziernähte.

Der Basispreis für den Explorer PHEV beträgt 88 100 Franken für den ST-Line beziehungsweise 88 900 Franken für den Platinum. Das ist erst einmal nicht ganz günstig, ein Van wäre günstiger zu haben. Ein Blick auf die Optionenliste relativiert das ganze aber wieder, denn da gibt es: nichts. Ein paar Sonderlackierungen lässt sich Ford extra bezahlen, ansonsten ist all inclusive. Von der ganzen Armada an Assistenzsystemen, die im Übrigen einwandfrei funktionieren, über das Panoramadach, beheizte und belüftete Massagesitze bis hin zu den 20-Zöllern ist alles dabei. Wer das von der deutschen Konkurrenz haben will, inklusive PHEV oder auch ohne, wird in dieser Preis- und auch Grössenklasse erfolglos suchen. 

FAZIT
19 Jahre hat es gedauert, bis Ford den Explorer zurück nach Europa gebracht hat, jetzt ist er wieder da. Mit endlos Platz, sieben Sitzen, viel Komfort und bis zu 457 PS hat Fords Mutterschiff einige sehr gute Argumente auf seiner Seite. Damit der Flottenverbrauch nicht unnötig in die Höhe getrieben wird, hat sich Ford dafür entschieden, den Explorer in Europa ausschliesslich als Plug-in-Hybrid anzubieten. Rund 30 Kilometer schafft er bei anständigem Fahrstil rein elektrisch – auch auf der Autobahn bis 135 km/h. Für längere Strecken wird der Dreiliter-V6 zugeschaltet, und der Verbrauch klettert auf über zehn Liter pro 100 Kilometer. Während man sich im Normalfall primär wegen des Elektroantrieb für ein PHEV entscheidet und den damit verbundenen Aufpreis gegenüber einem Verbrenner in Kauf nimmt, kann den Explorer auch kaufen, wer von Anfang an schon weiss, dass er ihn nie auch nur in die Nähe einer Steckdose bringen wird. Die rund 88 000 Franken, die er voll ausgestattet kostet, sind ein durchaus konkurrenzfähiger Preis für ein E-Segment-SUV mit über 450 PS.

Die technischen Daten und die AR-Testdaten zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe der Automobil Revue.

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