Ob Luca de Meo in seinem neuen Büro bei Renault auch keinen Schreibtisch hat, das wissen wir nicht. Als er Chef war bei Seat, da gab es keinen, da sah er sein Büro als Begegnungszentrum, die Tür stand meist offen. Bei Renault, wo der 53-jährige Italiener nach den fünf Monaten Berufsverbot, die ihm sein ehemaliger Arbeitgeber Volkswagen noch aufgebrummt hatte, müssen die Türen wahrscheinlich weit offen stehen – es besteht sehr grosser Diskussionsbedarf. 7.4 Milliarden Euro Verlust im ersten Halbjahr musste de Meo als eine seiner ersten Amtshandlungen verkünden. Er suchte auch gar nicht erst nach Ausreden, sagte: «Renault hatte schon Fieber vor Covid», und kam dann schnell zum Punkt: «In diesem Haus wird sich in den nächsten sechs Monaten vieles ändern.» Das darf man durchaus als Drohung verstehen. Die Frage aber ist: Ist Luca de Meo der richtige Mann dafür, Renault wieder auf die Spur zu bringen?
Ein Blick zurück: Am 4. Juli 2007, exakt 50 Jahre nach der Vorstellung des Fiat Nuova 500, wurde in Turin (I) der neue Fiat 500 vorgestellt. Ein grosser Moment für Fiat, man hatte drei Jahre darauf hingearbeitet, nicht nur in der technischen Entwicklung, sondern in einem ähnlichen Umfang auch im Marketing. Es gab eigene Websiten, die potenziellen Kunden wurden in die Gestaltung des Fahrzeugs einbezogen, konnten Wünsche äussern – die dann auch tatsächlich in das von Roberto Giolito verantwortete Design einflossen. Es war ein für die Automobilindustrie komplett neuer Prozess, das Fahrzeug war schon vor dem Serienanlauf so bekannt wie andere Produkte erst nach dem Auslaufen der Produktion. Schon bevor die ersten Exemplare im polnischen Tychy gebaut wurden, mussten die Kapazitäten erhöht werden. Irgendwo in einer Ecke stand ein jugendlich wirkender, nicht ganz schlanker Mann, der den grossen Auftritt nicht suchte, aber wissend lächelte, denn eigentlich war das seine Show: Luca de Meo.
Das Essen von Mamma
Der Mailänder, geboren am 13. Juni 1967, hatte Betriebswirtschaft studiert und eine Doktorarbeit in Wirtschaftsethik geschrieben. Sein erster Arbeitgeber war ab 1992 Renault in Italien, sechs Jahre später holte ihn Toyota in die Europazentrale – und dann ging es 2004 nach Hause, zu Fiat. De Meo ist ein Familienmensch, er plaudert gern über die Kochkünste seiner Mutter, er hat das Haus seiner Eltern in Süditalien gekauft und renoviert, er ist seit mehr als 30 Jahren mit Silvia zusammen, die er einst an der Universität in Mailand kennengelernt hatte. Das Paar hat Zwillinge, Giulio und Matteo. Als de Meo 2004 zu Fiat kam, übernahm gerade Sergio Marchionne das Ruder beim finanziell wieder einmal angeschlagenen Konzern. Der Mann, der nie eine Krawatte trug, erkannte schnell die Fähigkeiten de Meos, der nur massgeschneiderte Anzüge trägt, teure Uhren sammelt, sich stark für Architektur interessiert – und eigentlich Autodesigner werden wollte. Es existiert noch eine Zeichnung aus seiner Kindheit, die so etwas Ähnliches wie einen Fiat 500 zeigt. In Sitzungen zeichnet de Meo: Autos, Autos, Autos.
Mehrere grosse Baustellen
De Meos Erfolgsrezept ist relativ einfach: Er positioniert die Autos höher. Der Cinquecento hätte eigentlich nur ein paar Hundert Euro teurer sein sollen als ein Panda, doch de Meo machte ihn zum Lifestyleprodukt – und es blieb bei jedem verkauften Fahrzeug deutlich mehr Marge liegen als bei jedem anderen Kleinwagen (Ausnahme: Mini, der für den Italiener eine wichtige Inspiration war). Auch sein nächster Coup funktioniert nach dem gleichen Prinzip: Er belebt die Marke Abarth neu. Und kann so den Fiat 500 noch teurer machen, bis zu 80 000 Franken werden verlangt – und bezahlt. Marchionne macht sein Wunderkind zum Markenchef von Lancia, Fiat, Abarth. Und schliesslich auch noch von Alfa Romeo. Doch er verlangt von de Meo das Unmögliche, eine Verdopplung der Verkaufszahlen auf 300 000 Exemplare pro Jahr – und das ohne nennenswerte Investitionen. De Meo zerbricht an dieser Aufgabe. Und flieht 2009 vor Marchionne zu Volkswagen. Doch dort kommt seine Karriere ins Stocken, die Vorschusslorbeeren sind vielleicht zu gross, er muss ins zweite Glied treten, ist verantwortlich für das Marketing bei VW, danach bei Audi, doch sein Einfluss ist wenig sichtbar, auch wenn er in fünf Sprachen Interviews geben kann, mit markigen Sprüchen für Aufmerksamkeit sorgt. Es heisst, dass er schon auch Druck ausgeübt habe auf die obersten Etagen in Wolfsburg (D), mehr Verantwortung verlangte, einen Job als Markenchef – und ihn mitten im Dieselskandal 2015 auch erhielt, als Chef von Seat. Ob er da wirklich einen guten Job gemacht hat, muss sich dann noch weisen, der neue Leon ist der erste Seat, für den de Meo wirklich verantwortlich zeichnet. Und natürlich die neue Marke Cupra, mit der er das gleiche Spiel, das schon beim 500er und bei Abarth bestens funktioniert hatte, wieder spielt.
Bei Seat hatte de Meo das Glück, dass er sich aus den Regalen von Volkswagen bedienen konnte, das wirkte sich unbedingt positiv auf die Erfolgsrechnung aus. Doch bei Renault sind die Probleme und vor allem die Herausforderungen ungleich grösser. Zuerst einmal muss er sich im ehemaligen Staatsbetrieb gegen all die bestens etablierten Beamten durchsetzen, die schon Carlos Ghosn das Leben schwer machten. Und dann muss er dessen Kurs komplett über den Haufen werfen, was de Meo aber bereits erkannt hat: «Wir werden das ganze System von Volumen auf Wert umstellen», sagte er schon bei seinem ersten Auftritt. Derzeit entfallen bei den Franzosen 70 Prozent des Umsatzes auf margenschwache Kleinwagen. Damit lässt sich aber kaum Geld verdienen, «wir müssen zurück ins Herz des Marktes», in die Mittelklasse und auch noch höher. Das dürfte aber nicht einfach werden, da fehlen den Franzosen die Erfahrung und das Know-how. Aber de Meo ist ja bestens vernetzt, er kennt aus seiner Fiat-Zeit zum Beispiel Alfredo Altavilla, der als einer der besten Ingenieure und Sanierer der Branche gilt. Und vielleicht jener harte Hund ist, den der eher joviale, manchmal etwas gar kommunikative de Meo an seiner Seite gebrauchen könnte. Ingenieur ist de Meo ja nicht, und die komplexeren Zusammenhänge der Technik langweilen ihn. Dafür freut er sich sicher, dass das gesellschaftliche Leben in Paris ihm und seiner Frau ganz neue Möglichkeiten eröffnen wird. Und vielleicht prangt schon bald das Logo von Renault von der Brust der Fussballer von Paris Saint-Germain – bei Juventus und dem FC Barcelona sass er in der Sponsorenloge.
Schlagzeilen schreibt de Meo auch sonst: Von Seat hat er seinen ehemaligen Chefdesigner abgeworben, Alejandro Mesonero-Romanos. Noch mehr Aufsehen erregt aber der Wechsel von Gilles Vidal zu Renault – dass der Chefdesigner von Peugeot zum Erzfeind wechselt, ist doch eher überraschend. Zumal Vidal auch nicht ganz oben stehen wird, sondern an Laurens van den Acker berichten muss. Aber allein diese hochkarätigen Transfers des Fussballfans zeigen auf, dass er Gas geben wird. Muss. Eine persönliche Videobotschaft an alle Renault-Mitarbeiter und der anschliessende, sehr offen geführte Chat kamen bei der Belegschaft sehr gut an. Nicht adressiert wurde dabei aber der Ferne Osten, wo de Meo mit Nissan und auch Mitsubishi noch zwei Baustellen hat.
Konsumentenschutz blitzt gegen Amag ab
Dieselskandal Die Stiftung für Konsumentenschutz ist mit ihrer Klage gegen Amag vor Bundesgericht gescheitert.
Die Ansprüche von rund 6000 Fahrzeughaltern, die vom Dieselbetrug von VW betroffen seien, versuchte die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) geltend zu machen – zuerst vor dem Handelsgericht Zürich, jetzt vor Bundesgericht. Bei beiden Instanzen ist die SKS mit ihrer Klage gegen Amag abgeblitzt. Nach dem Handelsgericht verneinte auch das Bundesgericht die Prozessfähigkeit der SKS und hielt fest, dass der Beschwerdeführerin keine Handlungsfähigkeit zukomme. Die Schadenersatzklage in Sachen VW-Abgasskandal ist somit schon in formeller Hinsicht gescheitert. Nach Auffassung der Richter in Lausanne deckt der konkrete Stiftungszweck das Vorgehen der SKS nicht, und die Einreichung einer Klage zur gerichtlichen Durchsetzung von Tausenden von Schadenersatzforderungen sei somit nicht möglich. Die Frage, ob eine Entschädigungspflicht von VW und der Importeurin Amag gegenüber den Kunden bestehe, brauchte das Bundesgericht demnach gar nicht erst zu prüfen.
Enttäuscht über den Entscheid
Dass die SKS vom Urteil enttäuscht ist, versteht sich von selbst. In ihrer Medienmitteilung hält sie fest, dass über 170 000 Autobesitzer in der Schweiz betroffen seien. Die Tatsache, dass die Konsumentenorganisationen aus formellen Gründen rechtlich keine Unterstützung bieten könnten, unterstreiche die dringende Notwendigkeit einer Stärkung des kollektiven Rechtsschutzes.
Im Einzelverfahren
Die Folge des bundesgerichtlichen Urteils besteht darin, dass die betroffenen Fahrzeughalter allfällige Ansprüche nur im Einzelverfahren geltend machen können. Das bedeutet Gerichts- und Anwaltskostenvorschuss sowie ein wohl nicht ganz unerhebliches Prozessrisiko. RS