VW T-Roc R, Audi RS Q8, Mercedes-AMG GLA – der Trend zu mehr Sport im SUV-Segment ist offensichtlich. Oder aber umgekehrt: der Trend zu mehr SUV in allen Segmenten. Da macht VW beim Tiguan keine Ausnahme, und es scheint klar, dass mit der Präsentation des Facelifts diesen Sommer auch der Tiguan R mit mindestens 300 PS präsentiert wird. Bis es so weit ist, bleibt der leistungsstärkste Tiguan aber noch ein Diesel: der 2.0 TDI mit 240 PS und 500 Nm.
Wolfsburgs meistverkauftes SUV gibt es nicht nur in einer, sondern gleich in zwei Karrosserievarianten, sodass man bei Volkswagen jedes Segment abdecken kann, mit Ausnahme vielleicht der Coupé-SUV. Schade? Nicht wirklich. Und stattdessen gibt es ja immer noch ein SUV-Cabrio. Beginnend beim kleinen T-Cross für 21 900 Franken über den T-Roc, den Tiguan und Tiguan Allspace bis zum Touareg für weit über 120 000 Franken deckt Volkswagen eine schier endlose Bandbreite ab.
Den Tiguan Allspace gibt es theoretisch ab 44 350 Franken, dann mit dem 1.5 TSI Evo mit 150 PS. In dieselbe Leistungsklasse fällt der schwache 150-PS-Diesel, den wir bereits im Sommer 2018 getestet haben. Unser Testteam war damals voll des Lobes über das Auto– mit Ausnahme des Motors. Mit dem aktuellen Testwagen des Tiguan Allspace bewegen wir uns also am anderen Ende des Leistungsspektrums: VW hat dabei dem Universal-Diesel EA 288 einen zweiten Turbolader spendiert und auch sonst eine Fülle Extras in das Auto gepackt, etwa das R-Line-Paket, die Progressivlenkung, hübsche Ledersitze und, selbstverständlich, eine ganze Reihe Assistenzsysteme. Das wird dann – teuer. 67 647 Franken teuer, um genau zu sein. Für einen Mittelklasse-SUV ist das eine ordentliche Summe, die das Auto erst einmal rechtfertigen muss.
Viel Platz auf bis zu drei Reihen
Als R-Line sieht er schon einmal ganz hübsch aus und mit den schwarzen Applikationen und der dunkelgrauen Lackierung auch böse. Die mächtigen 20-Zöller füllen die Radhäuser passgenau. Der Längenzuwachs steht dem Tiguan gut an. Die Gesamtlänge wächst beim Allspace um 21 Zentimeter, davon gehen zehn Zentimeter in einen längeren Radstand, der Rest auf den hinteren Überhang. Die Proportionen passen, der Allspace wirkt dynamischer als der kompakte, kleinere Tiguan.
Der Platzgewinn kommt vor allem der zweiten Reihe zugute, die deutlich mehr Beinfreiheit bietet, sodass nicht nur Kinder problemlos und angenehm Platz finden. Zugelegt haben auch der Kofferraum, dessen Ladevolumen auf maximal 1775 Liter anwächst, und die Ladetiefe hinter der zweiten Reihe, die mit bis zu 126 Zentimetern (gegenüber 82 cm im normalen Tiguan) auch für Grosses Platz bietet, ohne dass man gleich die Rückbank abklappen muss. Optional kann eine dritte Sitzreihe mitbestellt werden, die aber erfahrungsgemäss bloss für Kinder geeignet ist, nicht nur, weil sie nicht sehr viel Platz bietet, sondern auch, weil der Einstieg über die zweite Reihe einiges an Beweglichkeit voraussetzt.
Ansonsten hält der Innenraum keine grösseren Überraschungen bereit – VW-typisches «Kennste einen, kennste alle»-Gefühl. Und das durchaus im positiven Sinn. Das Leder, die Wahl der Kunststoffe, die Verarbeitung sind nicht edel, aber solide – und die Bedienung intuitiv. Wer die wichtigen Funktionen gerne als physische Knöpfe hat und nicht über den Touchscreen des Infotainments bedienen will, kommt auf seine Kosten: Für die Klimabedienung kommt weiterhin das altbekannte Bauteil mit den drei Drehreglern zum Einsatz. Die Redaktion ist nach wie vor geteilter Meinung, ob das ein Vor- oder ein Nachteil ist.
Dass das ESC nicht mehr über einen Button ausgeschaltet wird, sondern verborgen in den Fahrzeugeinstellungen, daran haben wir uns langsam gewöhnt. Das ist wohl auch Absicht, schliesslich soll der Kunde aus Gründen der Fahrsicherheit möglichst wenig daran ändern. Aber: Nur ein deaktiviertes ESC aktiviert die Launch-Control.
Dynamik längs und quer
Launch-Control in einer Diesel-Familienkutsche? Ja, ganz falsch ist das nicht, denn auch wenn die 240 PS nicht gerade Sportwagen schreien (nicht bei einem Leergewicht von zwei Tonnen), so machen die 500 Nm doch ordentlich Dampf und sorgen für eine gute Längsdynamik. Und wenn der Vorderachse die Traktion ausgeht, kommt dank 4 Motion die Hinterachse hinzu. So ist Tempo 100 schnell erreicht: in 6.7 Sekunden sagt der Hersteller, in 7.7 Sekunden sagt unsere Stoppuhr. Das ist zwar schnell, aber sportlich ist trotzdem anders, denn Ausdrehen liegt dieseltypisch nicht drin, das maximale Drehmoment liegt bei 1750 bis 2500 U/min an, die Spitzenleistung bei 4000 U/min. Das nutzbare Drehzahlband ist somit eng und entsprechend schnellgetaktet sind die Gangwechsel.
Auch die Querdynamik ist für ein Zweitonnen-VW-SUV ganz gut dank adaptiver Dämpfer und Progressivlenkung. Die adaptiven Dämpfer (Dynamic Chassis Control, DCC) sind im Normal-Modus äusserst komfortabel, stecken Schläge ohne zu mucken weg, geraten bei schwacher Anregung ganz leicht ins Schwingen. Im Sport-Modus sind sie angenehm straff, sodass Body-Roll auf ein Minimum reduziert wird. Das bringt einerseits Fahrspass für Mama oder Papa am Lenkrad, andererseits wird den Kindern auf dem Rücksitz weniger schlecht. Die dynamischere Progressivlenkung ermöglicht ein präzises und – für VW-Verhältnisse – direktes Einlenken. Über den Fahrmodus-Drehsschalter können auch Abstimmungen für Offroad und Schnee vorgewählt werden.
Stark, aber trotzdem nicht durstig
Auch wenn der Preis, wie eingangs erwähnt, selbstbewusst daherkommt, so bietet der 240-PS-Tiguan doch einiges fürs Geld. Nicht zuletzt einen genügsamen Motor. Auf der AR-Normrunde erreichten wir einen Verbrauch von moderaten 6.1 l/100 km, was vorbildlich ist für ein Fahrzeug in dieser Gewichts- und Leistungsklasse. Wenn wir noch einmal den Test des 150-PS-Diesels zum Vergleich heranziehen, zeigt sich, dass der Verbrauch der beiden ziemlich genau gleich hoch ist. Dann lieber gleich mit 240 PS.
FAZIT
Der Kauf eines Tiguan, des zweitmeistverkauften Autos der Schweiz, ist für die meisten mit Sicherheit mehr ein Kopf- denn ein Bauchentscheid, was am Schluss immer aufs gleiche hinausläuft: Der Preis muss stimmen. Der Testwagenpreis des 240-PS–Tiguan von 67 647 Franken ist sicher nicht günstig, aber das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt dann eben doch wieder. Die Fülle an gut funktionierenden Sicherheits- und Assistenzsystemen, der kräftige, aber trotzdem nicht übermässig durstige Diesel-motor, das vielseitige Fahrwerk und das riesige Platzangebot sowie die Variabilität sprechen für einen Kopfentscheid. Wenn es dann noch ein R-Line–Optik-Paket und 20-Zoll-Felgen sein müssen, ist das der Bauchentscheid.
Die technischen Daten und die AR-Testdaten zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe der Automobil Revue.