Manchmal fragt man sich dann halt doch, welchen Sinn das noch macht. Der Porsche 911 Turbo S ist brutal. Sehr sogar. Aber er kann auch anders: ruhig, sanft, gutmütig. Und das mit einer Erhabenheit, die ihresgleichen sucht. Porschetypisch sitzt jede noch so kleine Naht, die Materialauswahl stimmt sowieso. Nun gut, für einen Basispreis von 271 600 Franken für das Coupé und nochmals 17 000 Franken mehr für das Cabrio sollte man das auch erwarten dürfen. Und doch: Ein 718 Cayman GT4 kostet in der Basis mindestens 144 000 Franken weniger und spielt spasstechnisch genauso in der obersten Liga mit. Zumindest auf öffentlichen Strassen. Auf der Rennstrecke freilich ist gegen den Über-Elfer kaum ein Kraut gewachsen.
2.7 Sekunden vergehen im Sprint von 0 auf 100 km/h, 8.9 von 0 auf 200 km/h. Maximal sind 330 km/h drin. In der freien Wildnis sind diese Werte kaum jemals von grosser Bedeutung, ganz anders als die 1.6 Sekunden für den Zwischensprint von 80 bis 120 km/h. Selbst wenn der 911 Turbo S bei Tempo 80 knapp über Leerlaufdrehzahl im Tiefschlaf verweilt, braucht es für die volle Bereitschaft nur ein kurzes Zucken oder das Drehen des Fahrmodusschalters am Lenkrad. Es ist erstaunlich, wie das Achtgang-PDK mit der dargebotenen Leistung umgeht. Oder aber: Wie es der Leistung von 650 PS und vor allem dem Drehmoment von 800 Nm Folge leistet. So butterweich es bei gemächlichem Tempo schaltet, so verzögerungsfrei agiert es unter Volllast.
Und dann dieser Motor: ein Gedicht und Sinnbild der Porsche-DNA. Der 3.8-Liter-Boxer schafft einen Spagat, von dem viele andere nur träumen. Verbräuche von unter zehn Litern sind wohl durchaus realistisch – dass schnell das Doppelte und mehr auf der Uhr stehen kann, versteht sich von selbst, wieso sollte man sonst einen Elfer fahren?
Die zwei Turbolader mit variabler Turbinengeometrie ziehen bei 3000 Umdrehungen so richtig an und sorgen bis ans Drehzahllimit bei 7200 Umdrehungen für atemberaubenden Schub. Der Klang des Sechszylinders übt sich dabei trotz optionaler Klappenauspuffanlage in durchaus angenehmer Zurückhaltung, kommt aber nicht an die Klarheit des nahe verwandten Saugmotors heran. Und wenn wir schon beim Vergleich sind: Eine Turboverzögerung lässt sich zwar erahnen, ist aber ähnlich schnell verflogen wie die anfänglichen Bedenken, mit den breiten Backen einen Randstein zu küssen.
Nicht ganz perfekt
Die schlanke Taille des Turbo S betont die hinteren Kotflügel mit den integrierten Lufteinlässen. Das sieht nicht nur breit aus, sondern ist es auch: Der 911 ist deutlich gewachsen. Über der Vorderachse steht der Turbo S 45 Millimeter breiter auf der Strasse, die Gesamtbreite erreicht hinten 1900 Millimeter. Vorne hat die Spur um 42 Millimeter zugelegt, an der Hinterachse um zehn Millimeter. Das sorgt für (erneut mehr) immense Wankstabilität, satten Fahrbahnkontakt sowie ein messerscharfes Einlenkverhalten.
Bis zu einem gewissen Punkt jedenfalls. Denn so neutral und unbeeindruckt der 911 Turbo S lange bleibt, so schnell kann er bockig werden. Doch selbst im schärfsten Modus Sport Plus, wo die Elektronik viel gewähren lässt, bleibt der 911 berechenbar. Die Helferlein können per Knopfdruck aber auch gänzlich deaktiviert werden. Trotz Allradantriebs lässt sich der Heckmotor nicht ganz kaschieren. Wie sagte Walter Röhrl einst so schön: Beim 911 handelt es sich eigentlich um eine Fehlkonstruktion. Natürlich, die Gewichtsverteilung wäre mit einem Mittelmotor vorteilhafter, das Handling noch besser. Aber eben, der 911 wurde in erster Linie nicht für die Rennstrecke konzipiert. Dort, wo der Motor im Idealfall sässe, können sich auf den Notsitzen seit jeher zwei weitere Passagiere hineinzwängen. Und dass sich das Heck ab und an leicht bemerkbar macht, ist nicht unsympathisch. Einerseits schmeichelt es dem eigenen Ego, wenn man ein solches Ungetüm etwas aus der Reserve locken kann – was der Turbo S aber nur mit einem Schulterzucken quittiert, solange man nicht zu ungestüm agiert. Andererseits hat der 911 damit Anspruch auf weitere Entwicklungsarbeit.
Ungeliebtes Konzernregal
Verarbeitung und Ausstattung des Innenraums bewegen sich auf höchstem Niveau. Bestechend sind der analoge Drehzahlmesser, der inmitten der Tachoeinheit thront und an die ruhmreiche 911-Vergangenheit erinnert, und der 10.9 Zoll grosse Touchscreen mit überzeugender Menüführung und gestochen scharfer Auflösung. Weniger gut zugänglich sind die zwei digitalen Sieben-Zoll-Bildschirme, deren äussere Bereiche vom Lenkrad verdeckt werden. Alles, was nicht so prickelnd ist, kommt aus den Konzernregalen: der Stummel von einem Gangwahlschalter oder die Plastikhebel für Blinker, Scheibenwischer und Tempomat.
Per Tastendruck auf der aufgeräumten und aufs Wesentliche reduzierten Mittelkonsole öffnet und schliesst das vollautomatische Verdeck des Cabrios bis Tempo 50 in zwölf Sekunden. Dumm nur, dass das Windschott über (!) den beiden Notsitzen ausfährt – und ohne Schott ziehts gar arg. Aber eben: Man soll nicht immer alles hinterfragen, manchmal soll man einfach nur geniessen.
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Na. Des mit dem Windschott geht ja gar nich ????