Hin- und hergerissen

UNTER BRÜDERN Mehr und mehr verdrängen SUV die klassischen Modelle in allen Segmenten. Warum? Wir vergleichen bei den Kleinwagen.

Es gibt kaum mehr einen Hersteller, der nicht in fast jedem Segment erfolgreich ein SUV anbietet. Die Versuchung der Käufer, auf ein hochbeiniges Modell umzusteigen, ist dank einer riesigen Auswahl an attraktiven Modellen gross. Dennoch wäre in vielen Situationen möglicherweise die Limousine gleicher Grösse die vernünftigere Wahl. Wir haben den Vergleich im Kleinwagensegment gemacht und die beiden Markenbrüder Nissan Micra und den neuen Nissan Juke gegeneinander antreten lassen.

Platzangebot
Auch wenn sie auf der gleichen Plattform aufgebaut sind (was in unserem Vergleich allerdings nicht zutrifft, da der Juke auf der neuen CMF-B-Plattorm basiert, der Micra aber noch auf der alten V-Plattform), bieten SUV im Normalfall ein besseres Raumangebot als die Limousine im gleichen Segment. Dies erklärt sich vor allem durch längere Überhänge und eine höhere Dachlinie. So entstehen mehr Kopffreiheit auf Vorder- und Rücksitzen und mehr Ladevolumen im Kofferraum. Während der Micra auf den Vordersitzen 92 bis 99 Zentimeter Kopffreiheit bietet und auf den Rücksitzen 88 Zentimeter, sind es beim Juke vorne 95 bis 104 und hinten 90 Zentimeter. Gleiches gilt für die Innenbreite, also die Ellbogenfreiheit:
140 Zentimeter vorne und 135 Zentimeter hinten sind es beim Micra, 141 respektive 139 Zentimeter beim Juke. Ein Punkt, der besonders für Familien mit Kleinkindern und somit mit Kinderwagen entscheidend ist, ist das Kofferraumvolumen. Mindestens 300 Liter (1004 l mit umgeklappter Rückbank) sind es beim Micra, 442 bis 1305 Liter beim Juke. Fast ein Drittel mehr also! Vorteil für den Juke.

Fahrkomfort und Fahrverhalten
SUV sind grösser und höher und somit zwangsläufig auch schwerer und weniger aerodynamisch. Dies hat natürlich direkte Auswirkungen auf den Fahrkomfort, der nicht unwesentlich von störenden Windgeräuschen beeinträchtigt wird. Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, greifen Hersteller im Allgemeinen zu mehr Dämmmaterial. Der Juke kommt so bei 50 km/h auf einen deutlich tieferen Wert bezüglich Lärm im Innenraum (61 dB) als der Micra (63 dB). Aber je höher die Geschwindigkeit, umso schlechter kann das Dämmmaterial den Lärm draussen halten: Bei Autobahntempo 120 km/h beträgt der gemessene Wert bei beiden 69 dB. Ein Unentschieden beim Lärm, das Fahrverhalten des Micra ist dank des tieferen Schwerpunktes aber besser. Vorteil für den Micra.

Beim Juke (l.) profitiert das Armaturenbrett von einer insgesamt besseren Verarbeitung und einer qualitativ höheren Materialwahl als im Micra, der aber auch schon einige Jahre auf dem Buckel hat.

Verbrauch
Ein höheres Gewicht und eine schlechtere Aerodynamik resultieren natürlich direkt in einem höheren Verbrauch. Während die Hersteller mehr und mehr auf eine Hybridisierung der Antriebsstränge setzen, um diesem Problem beizukommen, ist dies beim Juke, der ausschliesslich mit Dreizylinder-­Benzinmotor erhältlich ist, nicht der Fall. Auf der AR-Normrunde brauchte er mit 6.5 l/100 km dann auch deutlich mehr Treibstoff als der Micra mit 5.7 l/100 km. Vorteil für den Micra.

Verarbeitung und Infotainment
In vielen Fällen bieten SUV einen höherwertigen Innenraum mit einer qualitativ besseren Materialwahl und einer sorgfältigeren Verarbeitung als ihre niedrigeren Pendants. Dieses Phänomen lässt sich auch im Juke beobachten, wo das gesamte Interieur deutlich attraktiver wirkt als im Micra. Dem Micra muss aber zugutegehalten werden, dass der Vergleich nicht wirklich fair ist. Während der Juke ganz neu auf dem Markt ist, ist der Micra der aktuellen fünften Generation bereits seit 2017 erhältlich. So ist es nicht erstaunlich, dass sich der technologische Fortschritt auch im modernen Infotainment und Kombiinstrument des Jukes niederschlägt. Vorteil für den Juke.

Zugänglichkeit
Ein Kriterium, das nicht oft Erwähnung findet, das aber für manche Menschen von grösster Bedeutung ist: die Zugänglichkeit. Mit ihrer hohen Sitzposition garantieren SUV ein einfaches Ein- und Aussteigen. Darüber hinaus verhindert die hohe Ladekante des Kofferraums, dass sich SUV-Besitzer beim Be- und Entladen des Kofferraums bücken müssen. Die Sitzhöhe des Micra variiert von 51 bis 55 Zentimetern, während der Juke 53 bis 66 Zentimeter bietet – ein Unterschied von mehr als zehn Zentimetern also! Auch bei der Höhe der Ladekante geht der Punkt an den Juke (80 cm, Micra 72 cm). Vorteil für den Juke.

Der Kofferraum des Juke ist vielseitig nutzbar und bietet ein Volumen von 422 bis 1305 Litern.

Sitzposition
Ein Argument, das häufig auftaucht, wenn SUV-Kunden die Gründe für ihre Wahl erklären: die erhöhte Sitzposition. Sie erlaubt eine bessere Weitsicht über die Strasse und einen Überblick über das Verkehrsgeschehen. Eine bessere Sicht vermittelt auch ein grösseres Sicherheitsgefühl während der Fahrt. Die Begründung ist aber nicht über alle Zweifel erhaben, denn wegen der höheren Schulterlinie verschlechtert sich die Sicht im direkten Umfeld des SUV und insbesondere nach hinten klar. Aber auch Steilhecklimousinen, wie sie in diesem Segment die überwiegende Mehrheit darstellen, bieten aus designtechnischen Gründen immer kleinere Fenster nach hinten. Unter diesem Problem leidet auch unser Micra, weshalb es diesbezüglich zwischen den beiden Kandidaten unentschieden steht. Die höhere Sitzposition spricht aber für den Juke. Vorteil für den Juke.

Der Kofferraum des Micra fasst bei hoch­geklappten Rücksitzen nicht mehr als 300 Liter.

Belastbarkeit
Klar, SUV sehen dank mehr Bodenfreiheit, robust ausgestalteter Stossfänger mit angedeutetem Unterfahrschutz und ausgeprägter Radkästen optisch widerstandsfähiger aus. Darüber hinaus wären sie aufgrund der längeren Federwege theoretisch geländetauglicher. Theoretisch – dass es in der Praxis kaum genutzt wird, wissen wir alle. Vorteil für den Juke.

Platzbedarf
Mehr Platzangebot im Auto resultiert fast immer in mehr Platzbedarf für das Auto. Auf der Suche nach einer Parklücke in der Innenstadt oder beim Einparkieren in einer engen Tiefgarage kann das schnell einmal mühsam werden. Dazu kommen die grösseren Überhänge vorne und hinten, die das Rangieren schwieriger machen. Auch auf unsere Nissan-Brüder trifft das zu: Der Juke ist mit 4210 Millimetern mehr als 20 Zentimeter länger als der Micra mit 3999 Millimetern, auch die Überhänge sind deutlich grösser. Vorteil für den Micra.

Wenig überraschend, dass Passagiere im Fond des Juke (o.) von mehr Kopf- und Beinfreiheit profitieren als im Micra.

Preis
Auch wenn die Produktionskosten für ein SUV nur minimal höher sein dürften, sind die Verkaufspreise oftmals markant höher als bei ihren Limousinen-Pendants. Auch der Juke ist ein hervorragendes Beispiel für diese Preispolitik, ist er doch rund ein Drittel teurer als der Micra. Vorteil für den Micra.

Die technischen Daten und die AR-Testdaten zu diesem Vergleich finden Sie in der gedruckten Ausgabe der Automobil Revue.

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