«Als erstes müssen wir das Vertrauen der Marken zurückgewinnen»

GIMS Mit der verheerenden Absage im März 2020 erlebte der Salon den schwersten Moment seiner Geschichte. Sandro Mesquita, der neue Direktor der GIMS, stellt sich der Herausforderung.

Kamikaze? Sicher nicht. Mutig? Das schon. Sandro Mesquita, bisher Generaldirektor von Publicis Communica­tions, hat die schwierige Aufgabe angenommen, den Autosalon in seinen schwersten Zeiten zu übernehmen. Auch wenn der 45-jährige Waadtländer seine Entscheidung bereits vor der Absage der GIMS 2020 getroffen hat, versichert er uns, dass sich seine Überzeugung in keinster Weise geändert hat. Der Experte in Kommunikation (Universität Lugano) und Leadership (IMD Lausanne) sagt, er sei komplizierte Herausforderungen gewohnt, da er für Swisscom und Alpiq in einer Zeit gearbeitet habe, in der die jeweiligen Märkte geöffnet worden seien.

Automobil Revue: Was verbindet Sie mit dem Auto?
Sandro Mesquita: Ich hatte schon immer eine starke emotionale Bindung zum Auto, vor allem in Bezug auf das Design. Andererseits fasziniert mich auch die Rolle, die das Automobil in der Entwicklung unserer Gesellschaft und insbesondere bei der Entwicklung der Mobilität der Zukunft spielt.

Wie sind Sie zum Autosalon Genf gekommen?
Eine Headhunter-Firma hat mich gefunden. Zuerst war ich überrascht von diesem Vorschlag. Im Laufe der Interviews und Diskussionen mit dem Stiftungsrat verwandelte sich die Neugierde in Aufregung, und ich empfand die Herausforderung als äusserst spannend. Nach diversen Interviews fiel die Wahl dann auf mich.

Welcher Aspekt hat Sie besonders gereizt?
Ich finde es besonders spannend, an einer Ikone wie dem Genfer Autosalon zu arbeiten, der eine der wichtigsten Veranstaltungen der Schweiz und international ist. Und es ist aussergewöhnlich motivierend, an seiner Transformation mitzuwirken. Ich denke, dass die Tage der reinen Ausstellung von Autos vorbei sind. Die diesjährige Ausgabe hätte diese Entwicklung gezeigt. Die GIMS 2020 sollte eine viel interaktivere Show werden.

Planen Sie, einige der neuen Konzepte wie beispielsweise die Indoor-Teststrecke für 2021 wiederzuverwenden?
Wenn wir die Möglichkeit haben, werden wir das sicher machen. Ich will Ihnen jedoch nicht verhehlen, dass wir aufgrund der aktuellen Situation nicht wissen, wie die Ausgabe 2021 aussehen wird.

Der Salon befindet sich im schwierigsten Moment seiner Geschichte. Ein bisschen Kamikaze gehört dazu, um sich auf dieses Abenteuer einzulassen, nicht?
(lacht) Ja, vielleicht! Sie können sich vorstellen, dass die Corona-Krise bei uns noch kein Thema war, als ich diesen Job angenommen hatte – aber das ändert nichts an meiner Motivation. Ich bin jemand, der Herausforderungen liebt, ich habe immer in Unternehmen gearbeitet, die mitten in einer Veränderung waren. Ich war bei Swisscom, als der Telekommunikationsmarkt liberalisiert wurde, ich war bei Alpiq, als der Strommarkt in Europa geöffnet wurde. Als ich das Metadesign-Büro in Genf lancierte, hatten wir keine Kunden – das war auch Kamikaze! Ich habe da keine Angst. Sie müssen auch sehen, dass das Überleben des Salons nicht nur von uns abhängt. Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um sicherzustellen, dass es 2021 eine Neuauflage geben und diese dem Anspruch, den man an den Autosalon stellt, gerecht werden wird.

Haben Sie in Betracht gezogen, Ihre Zusage für den Job nach der Absage der GIMS und aller nachfolgenden Veranstaltungen zurückzuziehen?
Nein. Ich hätte das tun können, es gab einige Diskussionen darüber, aber: nein. Corona ändert nichts an meiner Motivation. Sie erhöht das Risiko, klar, aber ich bin bereit, das anzunehmen. Es gibt für mich keinen Grund zu zögern.

Der Präsident der Stiftung, Maurice Turrettini, spricht über einen verkleinerten Salon für das kommende Jahr. Wie sehen Sie diese Möglichkeit?
Das müssen wir in Betracht ziehen, weil es finanzielle Auswirkungen hat. Vielleicht werden einige Marken nicht mehr mitspielen – aus welchen Gründen auch immer. Wir brauchen einen Anlass, der im Rahmen dessen liegt, was wir uns leisten können, ohne dass die Qualität darunter leidet. Wir wollen den Marken eine attraktive Plattform bieten. Wichtig ist nicht, wie viel Ausstellungsfläche wir haben, sondern was wir daraus machen. Wir wollen den Herstellern die Möglichkeit bieten, gesehen zu werden.

Haben Sie bereits eine Vorstellung, wie der Salon 2021 aussehen wird?
Ich denke, dass viele der für 2020 vorgesehenen Ideen richtig waren, wie zum Beispiel die Talks oder die Teststrecke. Im Moment sind wir noch nicht so weit, dass ich viel Neues kommunizieren könnte, ich muss mich erst einmal an die Arbeit machen mit den verschiedenen Teams. Ich muss fühlen, was alles gewünscht wird und möglich ist. Aber ich knüpfe sicher an das an, was für 2020 geplant war.

Viele Marken sind verärgert über die Absage in diesem Jahr. Wie wollen Sie diese davon überzeugen, im kommenden Jahr wieder zu kommen?
Ich verstehe, dass sie mit der Situation nicht glücklich sind. Was passiert ist, liegt aber ausserhalb unserer Macht. Ich denke, die meisten werden das verstehen. Wir wollen, dass die Marken sehen, dass wir ihr Partner sind. Wir müssen das Vertrauen pflegen und finanzielle Lösungen finden, um die wirtschaftlichen Auswirkungen abzufedern. Es hatte negative Auswirkungen für das Palexpo, für uns und für die Hersteller. Meine erste Aufgabe wird es sein, das Vertrauen der Marken in uns zurückzugewinnen.

Das Beispiel der Basel World zeigt, dass unzufriedene Marken die Macht haben, einen Anlass verschwinden zu lassen.
Das stimmt. Ein Autosalon ohne die grossen Marken ist nicht mehr derselbe Autosalon. Wir brauchen die Marken, aber die Marken brauchen auch uns. Diese Absage hat den eigentlichen Stellenwert der Messe in Frage gestellt, da einige Hersteller glauben, dass digitale Plattformen ausreichen würden. Ich bin überzeugt, dass die GIMS nach wie vor relevant ist, sei es durch die Anzahl Besucher, durch die Inhalte, die wir bieten, und durch die Journalisten, die kommen. Die digitale Welt ist eine Ergänzung, sie wird niemals das Gefühl ersetzen  können, ein Auto im echten Leben zu betrachten und zu berühren.

Welche Lehren können Sie aus dem Ende der Basel World ziehen?
Ich weiss nicht, was im Detail geschah, aber ich hatte das Gefühl, dass das Verhältnis zwischen Veranstalter und Ausstellern schon seit mehreren Jahren schwierig war. Der Dialog fehlte. Für eine gute Show müssen Aussteller und Organisator gut miteinander auskommen.

Sie sehen also eine Zukunft des Genfer Autosalons, auch nach der Corona-Krise?
Klar, sonst hätte ich diese Herausforderung nicht angenommen. Die Basel World wurde kompromittiert, wird aber durch eine weitere Messe in Genf ersetzt. Solche Anlässe haben immer noch ihren Platz, bloss in einer anderen Form als in der Vergangenheit. Man muss mit neuen Ideen kommen, um seine Daseinsberechtigung zu bewahren. 

Kontinuität

Für Maurice Turrettini, Präsident des Stiftungsrats des Genfer Autosalons, passt Sandro Mesquita in dasselbe Raster wie Olivier Rihs. «Wir wollten jemanden, der jung ist, sich mit neuen Technologien auskennt und an Marketing und Werbung gewöhnt ist», sagt der Genfer Anwalt. «Die Aufgabe als Direktor der GIMS ist ein Vollzeitjob, das kann nicht ein Markenverantwortlicher nebenbei machen. Dieses Konzept hat früher gut funktioniert, aber jetzt müssen wir einen neuen Weg einschlagen, einen, der stärker digital ausgerichtet ist.» Wie Maurice Turrettini weiss, gibt es viele Unbekannte, die schwer auf der GIMS 2021 lasten, zum Beispiel die Absagen der Marken: «Klar, einige Marken werden im nächsten Jahr nicht mehr dabei sein, sei es aus finanziellen Gründen, oder weil sie keine Weltpremieren zu zeigen haben. Dafür werden neue Hersteller hinzukommen, die wir bisher nicht hatten. Das ist ein Phänomen, das wir alle zwei bis drei Jahre beobachten können.» Tatsächlich bemühen sich die Autofirmen derzeit, das für die in letzter Minute abgesagte Ausgabe 2020 investierte Geld zurückzuerhalten, um den Schaden zu begrenzen. «Die Marken haben durch die Absage einen grossen finanziellen Schaden erlitten, sie würden gerne einen Teil zurückerstattet bekommen von dem, was sie bezahlt haben. Zusammen mit dem Palexpo müssen wir jetzt einen Weg finden, wie wir uns mit den Herstellern einigen können, sodass sie uns weiterhin die Treue halten. Aber alle Seiten werden Opfer bringen müssen.»

Wenig Handlungsspielraum
Der Präsident der GIMS weiss, dass der Handlungsspielraum eng begrenzt ist, und dass ein grosses Risiko besteht, die Hersteller endgültig zu verärgern. «Es kommt nicht in Frage, dass wir gegen die Marken Krieg führen werden.» Allerdings könnten die Absagen anderer, ähnlicher Veranstaltungen die Zähler zurücksetzen und dem Genfer Autosalon wieder eine Chance geben: «Viele Messen in diesem Jahr wurden bereits abgesagt. Wir könnten die erste grosse Ausstellung sein, die im März 2021 wieder stattfinden wird. Sollte es jedoch im Herbst zu einer zweiten Welle von Corona–Infektionen kommen, ist nicht garantiert, dass der Salon im März 2021 überhaupt stattfinden kann.» LQ

Lebenslauf
Verheiratet, Vater von zwei Kindern. Geboren 1975 in Orbe VD. Lebt heute in Lausanne.
1995–2000 Swisscom Mesquita bekleidete verschiedene Positionen bei der führenden Telekommunikationsanbieterin der Schweiz.
2001–2007 Romande Energie Beim Strom-anbieter war er für das Marketing und die Geschäftsentwicklung zuständig.
2007 Master in Kommunikationsmanagement an der Universität Lugano
2007–2012 Alpiq Leiter Marketing für den Schweizer Markt und Brand Manager für die Alpiq-Gruppe
2013–2018 Er eröffnet das Genfer Büro von Metadesign (Publicis-Gruppe).
2018–April 2020 Publicis Communication Generaldirektor, Lausanne 

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