In Europa ist es um General Motors in den vergangenen Jahren zunehmend still geworden. Dabei ist bei den Amerikanern gerade richtig viel los. «Tausende von Wissenschaftlern, Ingenieuren und Designern bei GM arbeiten an der Realisierung einer historischen Neuerfindung des Unternehmens», erklärt GM-Präsident Mark Reuss. Kürzlich präsentierte das Unternehmen seine neue Elektroplattform der dritten Generation. BEV3 ist ein modularer E-Antriebsbaukasten, ähnlich wie ihn Volkswagen (MEB) bereits im Programm hat. Doch: «Niemand, den wir kennen, hat diese Kombination aus Flexibilität, Geschwindigkeit und Skalierbarkeit», sagt Reuss.
GM will für seine E-Fahrzeuge eine Mehrmarken- und Multisegment-Strategie mit Skaleneffekten aufbauen. «Das bedeutet, dass wir nicht unnötig Geld dafür ausgeben, mehr Designs als nötig zu validieren. Wir tauschen nur die Konfigurationen aus», sagt Reuss. So könne man schnell zu verschiedenen Varianten wechseln und flexibel auf die Marktnachfrage reagieren. Dass das erste Modell auf der neuen Plattform, der E-SUV Cadillac Lyriq, bereits profitabel sein soll, liegt aber vor allem am Herzstück der neuen Plattform.
Die firmeneigene Ultimum-Batterie beinhaltet gross dimensionierte Pouch-Zellen, die sich horizontal (PW) oder vertikal (Trucks) im Akkupaket stapeln lassen und sich von den zylindrischen Batteriepaketen anderer Hersteller unterscheiden. «Diese Bauart gewährleistet die Optimierung des Energiespeichers und des Layouts für jedes Fahrzeugdesign», so Reuss. Für viel Aufsehen sorgt die Ansage, dass dadurch und durch die Kooperation mit LG Chem die Kosten pro Kilowattstunde Kapazität unter 100 Dollar gedrückt werden konnten. In der Autobranche gilt dies als Schwelle, um Stromer zu vergleichbaren Preisen und Margen wie fossile Modelle verkaufen zu können.
Weniger Komplexität
Die Ultimum-Batterie, die einen geringen Kobaltgehalt hat, dafür aber zusätzliches Aluminium nutzt, bietet Kapazitäten von 50 bis 200 kWh. GM sagt, dass damit Reichweiten von bis zu 640 Kilometern und mehr bei Beschleunigungswerten von unter drei Sekunden möglich seien. So zum Beispiel beim GMC Hummer EV, der voraussichtlich im Mai präsentiert wird. GM gibt sich zwar noch bedeckt, doch werden eigenentwickelte E-Motoren, die für sämtliche Antriebsvarianten ausgelegt sind, zum Einsatz kommen. Der Frontmotor soll maximal 180 kW leisten, der Heckmotor 250 kW, womit sich auch für Volumenmodelle mit einem Motor ansprechende Fahrleistungen ergeben. Im Hummer EV werden angeblich ein Motor auf der Vorderachse und zwei im Heck eingesetzt. Als Batterie werden wohl zwei 100-kWh-Packs aus jeweils zwölf Modulen aufeinandergestapelt. «Grundsätzlich kann man sechs Module, aber auch zehn, zwölf oder sogar 24 Module übereinander anbringen», sagt Reuss. Aber: Während es bei einem Verbrennungsmodell heute über 550 Kombinationsmöglichkeiten gibt, begrenzt sich die Komplexität mit der neuen Plattform auf 19 Batterie- und Antriebskonfigurationen. Alle sind sie für Level-2- und Gleichstrom-Schnellladevorgänge ausgelegt. Autos kommen überwiegend mit einem 400-Volt-Akkupaket und 200-kW-Schnellladefähigkeit.
Jede Zelle innerhalb der BEV3-Architektur erhält ihr eigenes Batterie-Managementsystem. So können beschädigte und fehlerhafte Module abgeschaltet werden, ohne dass die Gesamtbatterie getauscht werden muss. Ebenso ist ein Austausch einzelner, defekter Zellen möglich. Und so, wie das System integriert ist, entfallen im Vergleich zum Chevrolet Bolt EV (beziehungsweise Opel Ampera E) 80 Prozent der Batterieverkabelung.
Gleichzeitig ist das neue Bordsystem bis zu fünfmal schneller als das der bisherigen G2SC-Plattform. So sind Datenflüsse von bis zu 4.5 Terrabyte pro Stunde möglich, weshalb GM nicht nur die Voraussetzungen für das elektrische, sondern auch das autonome Fahren schafft. Im Chevrolet Bolt EUV, der im Sommer 2021 lanciert werden soll, wird das teilautonome System Super Cruise (Level 3) verbaut sein – im ersten Modell ausserhalb der Marke Cadillac.
Kooperation mit Honda
Von diesem Konzept angetan ist auch Honda, das die Plattform für zwei völlig neue und voraussichtlich 2023 präsentierte Elektroautos nutzen will. Das Exterieur- und Interieurdesign übernehmen die Japaner selbst, der Rest stammt von GM. Dafür wird die Fabrik in Detroit-Hamtramck (USA) mit Investitionen von 2.2 Milliarden Dollar in ein reines Elektroauto-Werk umgebaut. Zusammen mit LG Chem will GM zudem für 2.3 Milliarden Dollar eine eigenen Batteriezellfabrik errichten. Bis Mitte des Jahrzehnts wollen die Amerikaner mehr als eine Million batterieelektrische Autos pro Jahr verkaufen. Vermutlich wird sich das Hauptgeschäft nach wie vor um die USA und China drehen, weshalb wir in Europa nicht viel davon mitbekommen werden. «Über den zukünftigen Produktvertrieb können wir uns nicht äussern», so die Antwort auf die entsprechende Anfrage.Und trotzdem: Es ist viel los bei GM.