Ein erster Versuch

SPANISCHER EROBERER Der Mii Electric kündigt die Elektrooffensive von Seat an. Der kleine Stromer bietet alles, was das Herz begehrt – und ist bereits ausverkauft.

Die Zeiten sind vorüber, in denen die Elektromobilität einer kleinen Gruppe elitärer Städter vorbehalten war. Anfangs der 2020er-Jahre, fast zwölf Jahre nachdem die ersten Modelle von Tesla den Markt revolutioniert haben, kann sich heute jeder ein Elektroauto leisten – für bereits weniger als 25 000 Franken. Diese preisliche Meisterleistung möglich macht die Volkswagen-Gruppe, die stets darum bemüht ist, sich ein grünes Gewissen zu erkaufen, die von Europa vorgegebene Obergrenze für CO2-Emissionen von 96 g/km zu unterschreiten und drohende Strafzahlungen zu vermeiden. Ziel des deutschen Giganten ist es, die Preise seiner Elektroautos zu drücken und sie gleichzeitig technisch attraktiv auszustatten, sodass eine möglichst grosse Zielgruppe zum Umstieg vom Verbrenner auf ein E-Fahrzeug motiviert werden kann. Während sich das Kompaktsegment noch eine Weile gedulden muss, bis der Volkswagen ID 3 und alle seine Klone (sein spanisches Gegenstück wird Seat El-Born heissen) auf den Markt kommen, gibt es bei den Kleinstwagen bereits ein überzeugendes Angebot auf dem Markt: das Trio aus Škoda Citigo E IV, VW E-Up und unserem Testwagen Seat Mii Electric.

Lebendig, wohnlich und klein: Der Seat Mii hat alle Attribute, um die städtische Bevölkerung zu überzeugen.

Batterie-Optimierung
Der ab 19 850 Franken (Rabatte inbegriffen) erhältliche Seat Mii hat kein speziell auf den Elektroantrieb ausgelegtes Chassis. Im Vergleich zum klassischen Mii mit Verbrennungsmotor sind die Änderungen jedoch signifikant: Unter der Motorhaube verbaut Seat anstelle des herkömmlichen Antriebsstrangs mit Benzinmotor und Getriebe eine Elektromaschine und ein fest übersetztes Reduktionsgetriebe. Technisch gesehen handelt es sich natürlich um die gleiche Architektur wie beim 2013 eingeführten E-Up, jedoch mit einigen markanten Änderungen: Die im Unterboden anstelle des Treibstofftanks und des Abgassystems platzierte Batterie profitiert von den Weiterentwicklungen, die der E-Up 2.0 mit sich gebracht hat, namentlich einer neuen Lithium-Ionen-Batterie mit einer Kapazität von 36.8 kWh (davon nutzbar 32.3 kWh). Eine beeindruckende Zahl angesichts der Batteriekapazität der ersten Generation des E-Up mit ­einer nutzbaren Kapazität von 18.7 kWh. Dieser vergrösserte Tank ermöglicht es dem Mii, im (einigermassen realitätsnahen) WLTP-Zyklus auf 260 Kilometer Reichweite zu kommen. Für die Mehrheit der Kunden sollte das ausreichend sein, vor allem, wenn sie es sich gewohnt sind, in der Stadt und der Agglomeration unterwegs zu sein, wie uns Santi Castellá, Verantwortlicher für Elektromobilität bei Seat, erklärt: «Im Gegensatz zu herkömmlichen Verbrennungsmotoren verbraucht der Elektromotor in der Stadt verhältnismässig wenig Energie und kann beim Bremsen auch wieder welche zurückgewinnen. Dadurch sind im rein städtischen Betrieb bis zu 360 Kilometer möglich.» Auch wenn wir nicht einmal annähernd einen solchen Wert erreichten – auch nicht die theoretisch möglichen 260 Kilometer –, ist trotzdem klar, dass der Mii das Potenzial hat, einen Grossteil der Kundenbedürfnisse zu befriedigen. Gemäss offiziellen Angaben legt jeder Schweizer im Durchschnitt eine Strecke von 37 Kilometer pro Tag zurück – was im Mii mit einer Batterieladung kein Problem ist.

Der Innenraum des Mii ist schlicht und einfach, aber angesichts der geringen Fahrzeuggrösse praktisch sehr gut nutzbar.

Von 0 auf 50 km/h in 3.9 Sekunden
Die permanenterregte Synchronmaschine liefert ­eine Leistung von 61 kW (83 PS) und ein Drehmoment von 212 Nm an die Vorderachse. Dadurch schafft der kleine Fünftürer den Innerortssprint auf Tempo 50 km/h in 3.9 Sekunden. Mit diesem Beschleunigungswert lässt es sich zügig, entspannt und ruckfrei – der Mii hat ein fest übersetztes Eingang-Getriebe – durch den Stadtverkehr schwimmen. Trotz seines Mehrgewichts von rund 300 Kilogramm gegenüber seinem Vorgänger mit Verbrennungsmotor lässt sich der Mii dank gut abgestimmter Dämpfer sehr komfortabel fahren. Auch die leichtgängige Lenkung ist für den Stadtverkehr ideal abgestimmt, sodass sich der Mii ohne viel Aufwand durch die Strassenschluchten bewegen lässt. Die bei Elektrofahrzeugen ansonsten vermehrt wahrzunehmende Nickneigung hält sich beim kleinen Spanier in Grenzen, und auch laterale Rollbewegungen sind nicht ausgeprägt wahrzunehmen. Dies macht den Mii zu einem der besten Kleinstwagen auf dem Markt. Solange man in der Stadt bleibt, wohlgemerkt. Sobald es hinausgeht, sieht die Sache anders aus. Die Vorderachse stösst durch das doch grosse Drehmoment sehr schnell an ihre Grenzen, die Reifen verlieren an Kontakt. Eine kleine Passstrasse bergauf mit nassem Asphalt hat so durchaus das Potenzial, den Puls von Lenker und Insassen in die Höhe zu treiben. Erschwerend kommt hinzu, dass die Lenkung für kurvenreiche Strassen klar zu indirekt und zu wenig präzise arbeitet. Trotz dieses für Stadtautos typischen Mankos kann der Seat Mii aber durchaus auch Spass machen. Und was ihm an Leistung fehlt, macht er mit Drehmoment wieder wett. ­Eine weitere positive Eigenschaft zeigt sich bei der Bergabfahrt: Dank einer hohen Verzögerungsleistung der Elektromaschine lässt sich ein guter Teil der verbrauchten Energie zurück in die Batterie speisen, was Bremsbeläge und Klima schont.

Nüchterner Innenraum
Für ein Auto, das gerade einmal 3.56 Meter lang ist, bietet der Seat Mii erstaunlich viel Platz im Innenraum. Und dank der Konfiguration als Fünftürer gestaltet sich auch das Einsteigen auf der Rückbank als nicht unangenehm. Zugegeben, die Innenbreite von 136 Zentimetern schränkt die Ellbogenfreiheit doch merklich ein, aber im Gegenzug ist die Kopffreiheit mit 91 bis 101 Zentimetern mehr als ausreichend. Was das Kofferraumvolumen angeht, so bietet der Mii mit 250 bis 923 Litern einen in diesem Segment respektablen Stauraum. Im Gegensatz zu Škoda stattet Seat seinen Kleinstwagen mit einem zweiten Kofferraumboden aus, unter dem das Ladekabel verstaut wird.

Während die Mehrheit der Elektroautos auf Konnektivität und elektronische Spielereien setzt, verzichtet der Mii auf derartigen Schnickschnack. Auf demArmaturenbrett thront eine festinstallierte Smartphone-Halterung, und der traditionelle Drehzahlmesser wurde durch eine analoge Leistungsanzeige ersetzt. Auf der anderen Seite kommt der Seat aber standardmässig mit Spurhalteassistent und Verkehrszeichenerkennung. Ansonsten sind Materialwahl und Verarbeitung einfach und zweckmässig. Aber bei diesem Preis darf man wohl nicht heikel sein. 

Von Bern ins Wallis

Der Verbrauch des Seat Mii Electric bleibt im Stadtverkehr angenehm tief. Doch wie sieht es bei Fahrten auf der Autobahn oder gar auf Bergstrassen aus? Um das herauszufinden, verlassen wir die Redaktion in Niederwangen BE mit einer vollgeladenen Batterie und machen uns auf den Weg in Richtung La Tzoumaz im Wallis. Die 149 Kilometer lange Strecke umfasst Landstrassen, Autobahnen sowie eine Passstrasse. Weil die angezeigte Restreichweite immer weiter abnimmt, laden wir auf der Autobahnraststätte Greyerz, wo eine 11-kW-Ladestation zu Verfügung steht. Einen Kaffee und knapp 15 Minuten später machen wir uns wieder auf den Weg und erreichen das kleine Dorf in den Alpen ohne Probleme und mit einer noch zu einem Viertel gefüllten Batterie. Eine durchwegs überzeugende Erfahrung!

Die technischen Daten und die AR-Testdaten zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe der Automobil Revue.

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