Der Stadtliche

KLAR BESSER Die jüngste Generation des ­Nissan Micra ist frecher geworden – und dank des neuen Einliter-Dreizylinder-Motors auch etwas flotter.

Gewiss, es gibt Autos, die lassen einen überschwänglich träumen: Wir zusammen bis zum Horizont und darüber hinaus. Der Nissan Micra tut das nicht, er ist eine ehrliche Haut: Kumpel, unser Revier ist ziemlich genau abgesteckt. Vor uns steht ein Kleinwagen, der als Einsteigerauto zu einem jungen Pärchen passt, das sich vornehmlich in der Stadt bewegt und sich ab und an auch zu einem Ausflug an den nahegelegenen See traut. Gleiches gilt für Senioren. Nissan verspricht mit dem adretten Kleinwagen – er misst immer noch keine vier Meter – denn auch das ideale Fahrzeug für die Stadt.

Der Nissan Micra in seiner bereits fünften Generation seit 1982 (damals noch als Datsun) kam schon 2017 sehr gut an und ist mit der jüngsten Version richtig aufgepeppt worden. Neu sind der Einliter-Dreizylinder-Motor mit Turbolader, der aus 999 Kubikzentimetern Hubraum 100 PS und 160 Nm Drehmoment schöpft, und der erstmalige Einsatz eines stufenlosen Getriebes. In der sporlichsten Variante N-Sport sind es 117 PS und ein Sechsgang-Schaltgetriebe. Zur Erinnerung: Anders als das Vorgängermodell wird der Micra mit der fünften Generation nicht mehr in Thailand, sondern im französischen Werk von Renault in Flins gebaut, zusammen mit dem Renault Zoe. Dank moderner Technik liege der Treibstoffverbrauch bei 4.5 l/100 km. Das ist eine Ansage!

Bezahl- und personalisierbar
Der Micra lässt auch viel Raum für die Personalisierung, von edel anmutenden Alcantara-Teilledersitzen bis hin zu sportlicher Folierung und farblich passenden Felgen. Die Nissan-Palette ist gross, aber sie bleibt übersichtlich und vor allem finanzierbar. Den Micra gibt es in seiner günstigsten Variante ab 14 590 Franken, mit derselben Motorisierung (IG-T 100, 100 PS/74 kW) stehen vier weitere Modelle mit Verkaufspreisen bis zu 26 230 Franken im Angebot. Die sportlichste Variante ist dann  mit 117 PS/86 kW ganz anständig motorisiert. Das junge Citypärchen, aber auch die grauen Panther können sich austoben.

Vor uns steht nun das Modell N-Connecta mit einem Einstiegspreis von 21 540 Franken. Eines fällt auf, wenn man sich erstmals in den Nissan Micra setzt: Man tendiert klar dazu, den Kleinen zu unterschätzen. Man habe wenig in der Hand, denkt man sich beim ersten Griff ans Lenkrad. Man kommt aber bald zur Besinnung, wenn man sich auf den Stadtbummel konzentriert. Wir starten den Motor mit Knopfdruck, es wummert zurückhaltend. Der durchaus temperamentvolle Antrieb mit dem Xtronic-Automatikgetriebe (mit sechs virtuellen Schaltstufen) passt sich dem Stop-and-go-Stadtverkehr sehr gut an, bei der Anfahrt stockt und ruckelt es erfreulich wenig. Eben: Innerorts bewegt sich der Kleine in seinem Revier, er ist wendig und sticht behände in Lücken – auch solche zum Parkieren. Der Wohlfühlfaktor im urbanen Micra stellt sich nach anfänglichen Bedenken und trotz stressigen Stadtlebens bald ein, nicht zuletzt auch dank des neuen Nissan-Connect-Systems, mit dem nun auch die Anbindung an Apple- und Android-Smartphones klappt. Überhaupt beeindruckt uns das ganze Infotainment auf dem Sieben-Zoll-Bildschirm mit seiner Aufgeräumtheit und Bedienfreundlichkeit. Da kann sich die Konkurrenz noch etwas abschauen.

Der Nissan Micra ist ein fröhlicher, dynamischer Cityflitzer. Der Fahrzeuglenker stört sich bei der Kurvenfahrt bisweilen an der gewaltigen A-Säule, freut sich aber über das übersichtliche Infotainment. Der Kofferraum ist anständig, im Fond ist es eng.

Das Problem mit der Sicht
Anderweitig lässt die Übersicht leider zu wünschen übrig. Beim zwangsläufig kurvigen Stadtverkehr durch Strassen und Gässchen beeinträchtig die mächtige A-Säule das Sichtfeld bisweilen stark. Auch nach hinten ist das Blickfeld beschränkt. Da kommen die Rückfahrkamera und die hinteren Parksensoren höchst gelegen, diese gehören aber erst mit unserer teureren Testvariante N-Connecta zur Ausstattung. Apropos schauen: Es lohnt sich, beim Wegfahren auf die Gangschaltung zu blicken, da der Hebel doch rasch vom Park- über den Drive- in den L-Modus flutscht; L steht für Low, also niedrige Gänge, die beispielsweise beim Anfahren am Berg zum Einsatz kommen.

Überland cruisen, aber nicht mehr
Womit wir uns mit dem Micra ausserorts bewegen. Bei unserem Test in der Stadt hat der Cityflitzer die stolze Marke von 4.6 l/100 km nur marginal überschritten (4.9 l), doch bei der flotteren Fahrt über Land und Hügel steigt der Verbrauch mit 7.4 Litern zwar in die Höhe, schiesst aber deswegen nicht über den immer wichtiger werdenden Umweltgedanken hinaus. Immerhin macht auch das Cruisen bei Tempo 80 mit dem Micra Spass. Das Fahrwerk schluckt auch gröbere Bodenwellen erstaunlich gut – diesen Eindruck hat uns der Kleine auf den ersten Blick nicht vermittelt. Eben, man unterschätzt ihn gerne. Auch schnelles Kurvenfahren macht Freude, nervöse Korrekturen am Lenkrad bleiben erspart. Aber wohlgemerkt: Herausfordern sollte man den Micra trotzdem nicht. Er ist kein Sportler – oder dann höchstens in der athletischeren N-Sport-Version. Gewagte Überholmanöver auf Landstrassen sind wenig empfehlenswert, und auch auf der Autobahn bleibt man lieber auf der rechten, gemütlicheren Fahrspur. Klar, der Einliter-Dreizylinder ist einigermassen kraftvoll, aber richtig Schub kommt erst mit dem Turbo, und der setzt vergleichsweise spät ein. Am Berg und aus dem Stand merkt man das deutlich – ach ja, es gibt ja den Extragang mit niedrigen Gängen. Aber den lassen wir gerne aussen vor.

Der Nissan Micra ist ein Cityflitzer, daran gibt es wenig zu rütteln, auf diesem Terrain ist der Zwerg ein Grosser. Klein und wendig und stattlich – pardon: stadtlich – heisst aber auch begrenztes Raumangebot. Das eingangs erwähnte junge Pärchen in der ersten Sitzreihe hat viel Platz, aber im Fond wird es wirklich eng. Oben fehlt wegen der abfallenden Dachlinie Platz für die Köpfe der Passagiere, deren Beine nur dann nicht eingeklemmt sind, wenn der Vordermann ordentlich nach vorne rutscht. Für Taschen nach der Shoppingtour oder Gepäck für den Wochenendausflug gibt es im Kofferraum 300 bis 1004 Liter Stauraum, also durchaus ordentlich für einen Kleinwagen.

Beeindruckt hat uns der Nissan Micra aber trotz anfänglicher Vorbehalte auch betreffend Sicherheit. Serienmässig ist in jeder Version ein hervorragend funktionierender Notbremsassistent mit Kollisionswarnsystem vorhanden, durchaus sinnvoll für ein Auto, das sich im engen Stadtverkehr bewegt. Weitere Sicherheitspakete gibt es für
620 Franken (u. a. mit Fussgängererkennung) oder 690 Franken (u. a. mit Verkehrszeichenerkennung), aber erst ab der Variante Acenta. Mit optionalem Sicherheitspaket holt sich der Micra im Euro-NCAP-Crashtest denn auch alle fünf Wertungssterne. Am Nissan Micra ist eben doch mehr dran, als man zuerst meint. 

Die technischen Daten und die AR-Testdaten zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe der Automobil Revue.

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