Automobil Revue: Gregor Rutz, wie geht es Ihnen?
Gregor Rutz:Vielen Dank, mir geht es zum Glück gut. Ich reise weniger, ich habe weniger Sitzungen, dafür mehr Telefontermine. Es wird mir nicht langweilig.
Machen Ihre Mitarbeiter auch Homeoffice?
Ja, darum bin ich sehr oft am Telefon oder in Videokonferenzen. Zum Glück sind wir ein eingespieltes Team, sodass alles trotz räumlicher Distanz reibungslos funktioniert. In der Weinhandlung Chardon Bleu, an der ich beteiligt bin, liefen die meisten Bestellungen schon immer via Internet. Beim Hauseigentürmerverband Zürich, den ich präsidiere, ist es nicht möglich, alle 85 Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten zu lassen. Vor allem die Umzüge Ende März und die Tätigkeit der Immobilienbewirtschafter warfen einige Fragen auf. Mittlerweile hat der Bundesrat auch hier Klarheit geschaffen, worüber ich froh bin. Die Welt hat sich stark entschleunigt.
Können Sie der Krise etwas Gutes abgewinnen?
Die zwischenmenschlichen Kontakte haben an Wert gewonnen. Wir telefonieren öfter und erkundigen uns nach dem Wohlbefinden bei Freunden. Meine Frau spürt die neue Situation auch ganz direkt: Ich bin jeden Abend daheim – normalerweise bin ich das nie. Das ist für mich sehr positiv, da wir uns auch nach bald 30 Jahren noch immer sehr gut verstehen.
Zurzeit scheinen alle Verkehrsprobleme gelöst. Der ÖV ist nicht mehr überlastet, keine Staus mehr auf den Strassen, Homeoffice funktioniert gut, die Luft ist so sauber wie schon lange nicht mehr, das Wasser ist wieder klar und so weiter. Braucht es dazu erst einen Virus?
Ja, das ist auf den ersten Blick erstaunlich und auch etwas seltsam. Die Tatsache, dass es weniger Verkehr auf der Strasse hat und die Züge und Trams leer sind, zeigt, dass die Massnahmen des Bundesrates wirken. Umgekehrt steht nicht nur das öffentliche Leben, sondern auch die ganze Wirtschaft still. Die Stadt Zürich, wo ich wohne, wirkt während der Woche so ausgestorben wie sonst nur an hohen Feiertagen. Umgekehrt hat es vor meinem Büro den ganzen Tag über viel mehr Spaziergänger und Jogger.
Stichwort wirtschaftlicher Schaden: Der wird immens …
Umso mehr müssen wir jetzt auch in der Krise vernünftig und produktiv bleiben und – auch als Unternehmer – Eigenverantwortung zeigen. Die Wunschlisten, welche gewisse Politiker jetzt gegenüber der öffentlichen Hand präsentieren, sind oft realitätsfremd. Da wird in der nächsten Session noch einiges auf uns zukommen.
Lange wurde der Privatverkehr verteufelt und der ÖV über den grünen Klee gelobt. Jetzt werden ältere Personen sogar aufgefordert, den ÖV nicht zu benutzen. Erwarten Sie, dass der Individualverkehr in Zukunft zunimmt respektive seitens der Politik in der Sache ein anderer, gütigerer Ton angeschlagen wird? Man rechnet ja damit, dass Corona nicht der letzte solche Virus war, der uns einbremst.
Dass die Globalisierung die Verbreitung solcher Krankheiten wie Corona beschleunigt, ist klar. Umgekehrt bringen solche Ereignisse oft auch Veränderungen mit sich, sei es politisch oder bezüglich Lebenseinstellung des Einzelnen. Tatsächlich erkennen heute viele Menschen, wie wichtig der Individualverkehr ist. Hauslieferdienste haben Hochkonjunktur, und auch die Grossverteiler könnten nicht mehr existieren, wenn die Lebensmittel nicht jeden Tag per Lastwagen angeliefert würden. Insofern hoffe ich schon auf einen gewissen Lerneffekt der Politik.
Die Bevölkerung wächst ja Jahr für Jahr – und damit auch der Verkehr.
Unsere Bevölkerung ist seit 2008 von 7.5 auf fast 8.6 Millionen Einwohner angewachsen. Jeder braucht eine Wohnung, einen Arbeitsplatz oder möchte ein Auto. Darum stossen wir mit Strasse, Schiene, aber auch Elektrizität und Wasser an die Grenzen.
Also müssen wir die Zuwanderung beschränken?
Ich bin dezidiert der Auffassung, dass die Kontrolle der Zuwanderung ein zentrales Interesse der Wirtschaft sein muss. Für einen starken Wirtschaftsplatz ist es elementar, dass wir die Arbeitskräfte rekrutieren können, die wir brauchen, aber jene abweisen können, die wir nicht wollen. Leider haben dies viele Wirtschaftsverbände noch nicht begriffen. So kommen heute 80 Prozent der Zuwanderer nicht in einen Mangelberuf, aber benötigen dennoch alle Infrastrukturleistungen und vielleicht sogar soziale Leistungen. All dies merken wir letztlich auch in der Verkehrspolitik.
Ist es denkbar, dass der Bundesrat angesichts des milliardenschweren wirtschaftlichen Hilfsprogramms infolge Corona grössere Bauvorhaben auf dem Nationalstrassennetz auf der Zeitachse verschiebt?
Das wäre falsch. Einerseits besteht bei vielen Projekten höchste Dringlichkeit. Ich denke nicht zuletzt an das Projekt der Zürcher-Oberland-Autobahn, die mir speziell am Herzen liegt. Seit über 30 Jahren kämpfen wir dafür, dass Städte wie Uster oder Wetzikon vom Durchgangsverkehr entlastet werden können. Aber eine Verschiebung wäre auch für die Baubranche fatal: Genau in dieser Phase soll der Staat solche Investitionen tätigen und damit den Unternehmen Aufträge verschaffen.
Im zu revidierenden CO2-Gesetz ist geplant, einen Klimafonds zu schaffen. Besteht die Gefahr, dass mit der Zeit der Vorschlag kommt, einen Teil der Treibstoffeinnahmen statt wie bisher in den Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs-Fonds in diesen Fonds umzuleiten?
Die Corona-Krise hat zu einer Verzögerung der Beratungen zum CO2-Gesetz geführt. Ich hoffe, das das heilsam ist. All jene, welche im Zusammenhang mit dem Klima von einem Notstand sprachen, sehen jetzt mit Blick auf China oder die Lombardei, was Notstand wirklich ist. Dieser Klimafonds ist einer jener Punkte, warum man das CO2-Gesetz sowieso ablehnen sollte. Wir brauchen jetzt sicher keine neuen Abgaben und Steuern oder neue staatliche Geldverteilungsmaschinerien.
Stichwort Klima – davon spricht gerade niemand mehr. Überrascht Sie das oder kommt da noch etwas, vielleicht im Sommer?
Corona führt bei vielen Menschen dazu, dass sie sich überlegen, was wirklich wichtig und dringend ist. Vielleicht bringt es gewisse Leute dazu, auch wieder mehr an Abstimmungen teilzunehmen. Die Klimadiskussionen wurden von Anfang an nur in Ländern geführt, wo grosser Wohlstand herrscht. Das sagt viel. Länder, die mit Hunger, Kriminalität oder Naturkatastrophen kämpfen, haben andere Sorgen als Greta.
Die Sanktionseinnahmen sprich Lenkungsabgaben für Fahrzeuge mit zu hohem CO2-Ausstoss haben dem Bund 2019 einen Betrag im Bereich von 80 bis 100 Millionen Franken eingebracht. 2020 sprich 2021 wird der Betrag unter normalen Umständen noch viel höher sein. Neu gilt ja ein Emissionsgrenzwert von nur noch 95 Gramm CO2 pro Kilometer. Ist das nicht zu viel des Guten an Busse, macht das noch Sinn? Das Geld wird ja irgendwie auf die Kunden abgewälzt.
Am Schluss zahlt immer der Kunde, das ist klar. Und ich hoffe, der Bevölkerung wird das auch bald bewusst. Anfang Jahr musste der Preis für verschiedene Automodelle genau aus diesem Grund erhöht werden. Und wenn wir hier über die Fahrzeuge sprechen, ist das erst der Anfang. Auch alle Produkte und Dienstleistungen werden natürlich teurer. Dies werden die Kunden merken, und es wird hoffentlich zu einem Umdenken in der CO2-Debatte führen.
Es ist geplant, dieses Geld dem erwähnten Klimafonds zugutekommen zu lassen. Müssten diese Einnahmen nicht in den NAF fliessen und für die Belange der Strasse verwendet werden?
Dieser Klimafonds war die Idee der ständerätlichen Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie. Eine Schnapsidee, die an der gleichen Sitzung besprochen wurde, an der die Kommission auch über die Flugticketabgabe entschied.
Sie halten nicht viel von Lenkungsabgaben?
Meine Meinung ist klar: Es soll kein Klimafonds eingerichtet werden, es ist falsch, den Menschen immer mehr Geld wegzunehmen und dies staatlich umzuverteilen. Dass die Kommission die Gelder aus dem Klimafonds auch für kommunale oder kantonale Projekte ausgeben will, ist gefährlich: So will man sich natürlich die Zustimmung der Kantone zu diesem verunglückten Gesetz abholen.
Wie müsste denn ein Konzept zur Sicherung der langfristigen Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur aussehen, wenn der Fahrzeugpark einmal zum grössten Teil aus Elektrofahrzeugen besteht?
Eigentlich ist der Fall klar: Alle Verkehrsträger, die keine Mineralölsteuer entrichten, sollen sich an der Finanzierung der Strasseninfrastruktur beteiligen. Auch Fahrzeuge mit Elektro- oder Wasserstoffantrieb, aber auch Fahrräder sollen zahlen. Sie alle sind auf intakte, leistungsfähige Strassen angewiesen. Mit dem Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs-Fonds haben wir die Grundlage für eine solche Abgabe geschaffen.
Und wann sollen Abgaben bei E-Autos kommen?
Die Einführung einer Abgabe für Elektrofahrzeuge wäre auf 2020 geplant gewesen. Doch nun soll das hinausgezögert werden. Für einige ist dies ein Beitrag, um die Attraktivität von Elektrofahrzeugen zu steigern. Ich halte das, wie gesagt, für völlig falsch: Wer die Strasse benutzt, soll auch an die Infrastruktur zahlen müssen. Das ist eine Frage der Logik und der Gerechtigkeit.
Der Kanton Genf hat Umweltzonen eingeführt, das heisst, Autos mit hohem Ausstoss ist die Fahrt ins Stadtzentrum untersagt. Basel will ab 2050 ausschliesslich Verkehrsmittel zulassen, die emissionsarm, klima- und ressourcenschonend sind, zudem darf der private Autoverkehr auf Stadtstrassen nicht zunehmen. Halten Sie derartige Einschränkungen und Massnahmen für sinnvoll und durchführbar?
Die Einführung von Umweltzonen oder Umweltplaketten ist nicht legal, das widerspricht dem Bundesrecht. Zudem ist es widersinnig, wenn die Städte sich abriegeln. Da nützten alle Investitionen in das Nationalstrassennetz nichts, wenn die Städte den Durchgangsverkehr abblocken wollen.
Macht es aus Sicht der Umwelt keinen Sinn?
Umweltzonen provozieren stets kontraproduktiven Umfahrungsverkehr sowie einen enormen bürokratischen Aufwand, wenn man nur schon an die Verteilung der nötigen Vignetten denkt. Auch dies ist eine Schnapsidee.
Wenn die elektronische Vignette kommt, gibt es Befürchtungen, dies sei der erste Schritt zu Road-Pricing. Teilen Sie diese Meinung?
Ja, selbstverständlich. Aber es gibt noch einen ganz anderen Grund gegen die Einführung der elektronischen Vignette: Mit einer E-Vignette kann der Staat immer und überall überwachen, wer sich wann wo aufhält. Schliesslich ist es nur so möglich, die Mobilitätskosten des Einzelnen zu errechnen. Als liberalem Menschen widerstrebt mir eine solche Kontrolle zutiefst.
Wie stehen Sie zum Mobility-Pricing?
An sich wäre die Idee richtig, bei allen Verkehrsträger Kostenwahrheit zu schaffen. Aber seien wir ehrlich: Politisch ist das ein völlig unrealistisches Szenario. Letztlich wird immer der motorisierte Individualverkehr die Zeche bezahlen müssen. Der öffentliche Verkehr wird heute schon massiv subventioniert. Wenn man dort Kostenwahrheit haben wollte, würde vieles anders aussehen.
Eine Krisensituation wie jetzt ist ein extremer Beschleuniger der Digitalisierung. Was erwarten Sie diesbezüglich als Lehre aus der Krise?
Ich bin erstaunt, dass erfahrene Berufsleute erst jetzt entdecken, was punkto Telefon- und Videokonferenzen möglich ist. Vielleicht führt das dazu, dass man sich in Zukunft besser überlegt, ob eine Geschäftsreise nötig ist. Das wäre ein erfreulicher Effekt. In den Unternehmen, in denen ich Verantwortung trage, haben wir schon heute viel digitalisiert – das ist auch eine Frage der Effizienz.
Zur Person
Geboren 12. Oktober 1972 in Zürich. – Bürger von Zollikon ZH und Wildhaus SG. – Verheiratet mit Beatrix. – Beruf: lic. iur., Unternehmer (Inhaber einer Agentur für Kommunikations- und Strategieberatung, Teilhaber einer Weinhandlung), seit 2012 Nationalrat. – Hobbys: Wandern, Geschichte, Piano. – Mandate: Präsident des Hauseigentümerverbands der Stadt Zürich, Vizepräsident des Hauseigentümerverbands Kanton Zürich, Präsident der Vereinigung des schweizerischen Tabakwarenhandels, Stiftungsrat Davos Festival (Young Artists in Concert). – Militär: Fourier a. D. der Fliegerabwehrtruppen, RS als Motorfahrer.