QUATTRO 40 Kerzen bläst der Allradantrieb von Audi heuer aus.
Eine gute Gelegenheit, auf die Evolution des Systems zurückzuschauen.
Die Geburt des wohl berühmtesten Allradsystems geht zurück auf den Winter 1976/77, als ein kleines Team von Audi-Entwicklern nach Schweden reist, um die Schnee- und Eistauglichkeit des Iltis zu testen, eines Allradfahrzeugs, das Volkswagen für die deutsche Armee entwickelt hat. Während der Tests stellen die Ingenieure schnell fest, dass der kleine militärische Geländewagen mit seinen 75 PS alle viel stärker motorisierten – aber frontgetriebenen – Prototypen um Längen übertrifft. Diese einfache Erkenntnis reicht aus, dass Audi, stets auf der Suche nach neuen technischen Innovationen, erkennt, dass man den Allradantrieb auch in Personenwagen einbauen kann.
Und doch sind die Herausforderungen, vor denen man für eine Serienfertigung steht, vielfältig. Umso mehr, als das Fahrzeug, das man entwickeln will, auch noch an der Rallye-WM mitfahren soll. Was her muss, ist ein Auto, das leicht, kompakt und effizient ist. Bei Audi wendet man sich dazu an Ferdinand Piëch. Der ist damals im Vorstand des VW-Konzerns für die technische Entwicklung zuständig und übernimmt mit einem kleinen Team von Ingenieuren die Leitung dieses Projektes. Die Lösung lässt denn auch nicht lange auf sich warten: Bereits im Frühjahr 1980 kann am Autosalon von Genf der Audi Quattro präsentiert werden. Mit seiner neuartigen Antriebskonstruktion versetzt der Quattro das Fachpublikum ins Staunen. Hinter dem Schaltgetriebe ist ein Differenzial angeordnet, gefolgt von einer Antriebswelle, die hohl ist, so dass darin eine zweite Antriebswelle laufen kann – eine Konstruktion, die deutlich leichter ist als die damals üblichen, schweren Verteilergetriebe. Damit ist es möglich, das Drehmoment nicht nur auf das Vorderachsdifferenzial, sondern auch auf jenes der Hinterachse zu leiten. Dazwischen erlaubt das dritte Differenzialgetriebe unterschiedliche Drehzahlen zwischen den beiden Achsen und ermöglicht so den permanenten Allradantrieb.
Das Auftauchen des Torsen
Im Jahr 1986 dann bringt Audi den neuen Audi 80 auf den Markt, der mit einer einzigartigen Neuerung aufwartet: Anstelle des bisher verwendeten, manuell sperrbaren Mitteldifferenzials mit 50:50- Aufteilung zwischen Vorder- und Hinterachse kommt ein Torsen-Differenzial zum Einsatz, das die Rotationsgeschwindigkeit zwischen den beiden Achsen über eine reibschlüssige Verbindung begrenzt und so eine frei variable Drehmomentverteilung zwischen Vorder- und Hinterachse von 75:25 bis 25:75 möglich macht. Selbstverständlich findet das Torsen auch Eingang in den Quattro.
Bei der Einführung seiner Zeit voraus, entwickelt sich der Quattro-Antrieb fast 20 Jahre lang nicht weiter. Tatsächlich dauert es bis Mitte der Nuller-Jahre, bis die Quattro-Technologie mit der zweiten Generation des RS4 einen weiteren, grossen Schritt macht. Neu kommt nun ein Planetengetriebe zum Einsatz, das eine bessere Drehmomentverteilung zwischen den Achsen möglich macht und das mit den 420 Nm des V8 fertig wird. Diese dritte Generation des Mitteldifferenzials wird bis heute weiterentwickelt und findet sich immer noch in diversen Modellen wieder.
Auch mit Quermotor
Bis Anfang der 1990er-Jahrer ist das Quattro-Getriebe ausschliesslich in Kombination mit Längsmotor möglich, ab 1996 werden mit dem A3 und dem TT erstmals auch Fahrzeuge mit Quermotor mit dem Quattro-Antrieb ausgerüstet. Als Ersatz für das Mitteldifferenzial kommt eine elektronisch gesteuerte hydraulische Lamellenkupplung zum Einsatz, geliefert von der schwedischen Firma Haldex. Der Unterschied zum Torsen-Differential: Unter Normalbedingungen, also wenn alle Räder Traktion haben, drehen beide Achsen gleich schnell, es wird kein Drehmoment auf die Hinterachse übertragen. Sobald jedoch die Vorderachse schneller dreht als als die Hinterachse, die Räder also durchdrehen, erzeugt eine im Differenzialgehäuse verbaute Pumpe einen hydraulischen Druck und die Achsen werden miteinander verbunden.
R8 und E-tron – die neuen Quattro
Eine atypische Konstruktion bevorzugt der Audi R8 Quattro mit seinem Mittelmotor. Im Normalfall übernimmt die Hinterachse den Vortrieb, im Bedarfsfall kann aber über eine Viskokupplung auch Drehmoment an die Vorderachse geleitet werden (Verteilung zwischen 65 und 90 Prozent).
Seit der Enthüllung des Audi E-tron im Jahr 2018 kann der berühmte Allradantrieb nun ganz ohne Kardanwelle auskommen, da an jeder Achse ein eigener Elektromotor verbaut ist. Eine Entwicklung, die abzusehen war, die aber Audi den Vorsprung durch Technik, den sich die Ingolstädter in den vergangenen 40 Jahren erarbeitet haben, verlieren lässt.
Quattro-Virus, auch in der Schweiz
JUBILÄN 40 Jahre Audi Quattro, 20 Jahre Urquattro IG Schweiz, dazu eine Quattro-Manufaktur: Drei Komponenten und zwei Jubiläen, die ohne einander nicht können.
Der Audi Quattro ist 40 Jahre alt. Auch in der Schweiz, wo er mehr Liebhaber hat, als man denkt. Die Urquattro IG, wie sie sich nennt, ist genau halb so alt, die Fans sind aber von Anfang an dabei. «1980 kam der Ur-Quattro, der insgesamt 11 452-mal gebaut wurde, auf den Markt. Da kostete er noch ungefähr 50 000 D-Mark. Bis 1991 wurde er gebaut, zu einem damaligen Preis von 100 000 Mark», sagt Gerd Neumann (57), Mitglied der Interessengemeinschaft für den Ur-Quattro. «1981 habe ich den Führerschein gemacht. 1984 kostete ein gebrauchter Quattro im Dorf noch 25 000 D-Mark, immer noch zu viel. Ich war damals Azubi. Ich dachte, den muss ich mal fahren, und meldete mich trotz des Preises zu einer Probefahrt an. Und wurde sofort infiziert. Er hatte 200 PS, mein Audi 80 nur 110. 16 Jahre später habe ich mir einen Ur-Quattro geleistet, für 4500 D-Mark. Dieser Ur-Quattro steht in umgebautem Rallye-Trim draussen.» Grundfarbe Weiss, mit den für einen Rallye-Audi typischen Werksfarben, innen wie aussen fast original. Sportlich eben. Richtig sportlich. Draussen, das ist die Bahnhofstrasse in Beringen SH. Dort betreibt Neumann eine Werkstatt, in der er allradgetriebene Audi-Produkte, Youngtimer, am Leben erhält, im Kundenauftrag pflegt, repariert oder ganz neu aufbaut. «Mein Hobby ist zu meinem Beruf geworden», so der gelernte Automechaniker. Er schraubt aber heute nicht allein.
Klubpräsident Hannes Schobingers Auto steht ebenfalls draussen vor der Tür. Rallyemässig aufgebaut und eingefärbt, in der Sanyo-Lackierung. Blau-Gelb herrscht vor. Nur das Armaturenbrett erinnert noch an die Vorlage, einen zivilen Ur-Quattro. «Das umzubauen wäre aufwendig, aber man muss ja gewisse Arbeiten für die Zukunft aufsparen, sonst wird es irgendwann langweilig», meint Hannes Schobinger (41). Auch ihn hat früh das Audi-Virus erwischt. «Mein Grossvater hatte einen Audi 200 der ersten Serie, mein Vater einen Audi 80 mit Fünfzylindermotor», erinnert er sich. «1998 habe ich den Führerschein gemacht. Eine Kollegin hatte einen Ur-Quattro mit 200 PS. Mit ihr war ich viel unterwegs. Das war doch was! In der Uni Zürich in der Tiefgarage bin ich dann an einen herangelaufen, der gerade angelassen wurde – allein sein Sound! Er stand zufällig zum Verkauf, Jahrgang 1982. Ich erstand ihn für 5400 Franken. Und steckte nochmals 2700 rein, nur für Reparaturen. Mittlerweile wurde er restauriert und wird als Oldtimer bewegt.»
Die Werkstatt
Fahrer von Young- und Oldtimern sind, wenn sie nicht fahren, in der Werkstatt anzutreffen. Im vorliegenden Fall in der von Gerd Neumann. Der auch Kundenprojekte verwirklicht. Ein roter Ur-Quattro mit Motorschaden wird gerade umfangreich in Stand gesetzt. Oder ein weisser gleichen Typs wird als Rallye-Replika komplett neu aufbaut. Fehlen nur noch Motor und Innenausstattung. Aber auch andere Modelle haben eine Chance, etwa eine 4.2-Liter-V8-Limousine, die zur DTM-Tourenwagen-Replika umgestaltet und dann auch bei DTM-Classics eingesetzt wird. Replika entstehen auf der Basis strassenzugelassener Altfahrzeuge, die selektiv umgebaut werden. Sie werden komplett zerlegt, repariert, neu lackiert und je nach Wunsch mit Zubehör neu aufgebaut. Ersatzteilprobleme gibt es dank einer aktiven Klubszene immer weniger. Es gibt für fast alles eine kreative Lösung.
Der Klub
Die Urquattro IG hat derzeit 43 Mitglieder, mit insgesamt über 100 fahrbaren Audi im Bestand. «Wir sind ein eher lockerer Zusammenschluss von Personen, die eine Passion für dieses Auto haben, eine Gemeinschaft, in der man sich gegenseitig unterstützt. Wer mitmachen will, sollte ein Quattro-Fahrzeug der Marke Audi aus der entsprechenden Epoche besitzen. Die meisten Mitglieder, die aus allen Berufsgruppen kommen, haben mehrere davon. Ziel des Klubs ist es in erster Linie, Spass miteinander zu haben und die Autos zu fahren, nicht sie auszustellen oder zu präsentieren», erklärt Schobinger, «und sie 20 Jahre nach ihrem Marktauftritt weiterhin fahrbar zu halten.» Wobei auch zügig gefahren wird. Auch auf Schotter. Oder, alle zwei Jahre, beim Track-Day auf der Rennstrecke in Anneau du Rhin (Rheinring) im südlichen Elsass. «Nur Salz mögen die Quattro nicht so. Darum werden sie im Winter eher nicht bewegt.»
Zum richtigen Klassiker wurde der Audi Quattro durch seinen permanenten Allradantrieb, befeuert von einem leistungsfähigen Turbomotor, dem unvergleichlichen Fünfzylinder-Sound und dem unverkennbaren Design sowie unzähligen Rennsporterfolgen. Mit dem Audi Quattro und der V8-Limousine wurde der Aufstieg in die automobile Oberklasse eingeleitet: «Der Unterhalt wird immer wichtiger, weil es immer weniger Autos dieses Typs gibt.» Wichtigste Klubaktivitäten sind aber die Ausfahrten, sechs bis sieben im Jahr, manche mehrtägig: «Ende September ist eine Jubiläumsausfahrt zum 40. Geburtstag des Quattro und zum 20-Jahr-Jubiläum des Vereins nach Italien angesetzt.»
Die «Automobil Revue»-Jacke
Fürs Fotoshooting bietet Gerd Neumann, der irgendwie alle Quattro-Besitzer der Schweiz und darüber hinaus zu kennen scheint, schnell einen aus der Nachbarschaft auf: «Damit wir zu den Rallye-Quattros noch einen zivilen dazustellen können.» Der rollt wenig später an, Jahrgang 1986, tornadorot, weiss lackierte Alufelgen. Hübsch irgendwie. Total unmartialisch. Sehr gepflegt. Sein Besitzer, Rudolf Isenring, pensionierter ehemaliger Automechaniker, aber (noch) kein Mitglied der Urquattro IG, hat ihn selbst hergerichtet. 177 176 Kilometer stehen auf der Uhr, und er ist mit den aus der ersten Serie stammenden Doppelscheinwerfern ausgestattet. «Er sieht so gut aus, weil ich ihn nicht mehr so plage und lieber an ihm herumschraube», sagt Isenring, der noch ein paar andere Oldtimer sein eigen nennt. Wenn er 3000 Kilometer im Jahr fährt, ist das eher viel. Er, Gerd Neumann und Hannes Schobinger bauen sich mit ihren Quattro auf der Rampe des Bahnhofs Beringen auf – Neumann und Schobinger in authentischen Rennanzügen mit ihren Replika, Isenring mit seinem roten Ur-Quattro und in einer weissen Sportjacke. Mit dem «Automobil Revue»-Logo drauf.
Vom Ur-Quattro zum E-tron
VIER RINGE, VIER RÄDER Wer Quattro denkt, denkt Audi. Und wer Audi denkt, denkt Quattro. Und an inzwischen 40 Jahre Vorsprung (durch Technik).
Alle Dekadenrückblicke über den Audi Quattro fangen mit der Geschichte über den Ursprung des Allradantriebs an. Warum nicht auch dieser? Einst trat ein von Audi für die deutsche Bundeswehr als Ersatz für den Munga entwickeltes hochbeiniges Gefährt namens Iltis mit 75 PS und zuschaltbarem Allradantrieb in einem Versuch in Schweden gegen einen 170 PS starken Audi-200-Prototyp an, bei dem die Leistungsfähigkeit eines Frontantriebs getestet werden sollte. Der Audi hatte keine Chance. Die Idee entstand: Ein Audi mit permanentem Allradantrieb und ordentlich Dampf.
Das O. k. für ein Projekt unter der Leitung des Entwicklungsvorstandes Ferdinand Piëch gab der VW-Vorstandsvorsitzende Toni Schmücker. Blieb am Ende nur der Name des Autos: Es hätte Carat heissen sollen als Abkürzung für Coupé All-Rad-Antrieb Turbo. Alles andere als geeignet als Bezeichnung für ein Auto, das zunächst als Homologationsbasis für den Einstieg in die Rallyeweltmeisterschaft dienen sollte. Projektleiter Walter Treser nannte die ersten A80 schlicht Quattro. Das sportliche Coupé leistete 200 PS aus einem 2.2-Liter-Fünfzylinder-Turbomotor. Es gab sein sportliches Debüt Anfang 1981 bei der Jänner-Rallye in Österreich.
Die extremste sportliche Evolutionsstufe war der Sport Quattro S1, auch «der Kurze» genannt, hässlich-eckig-kantig, eine verspoilerte Kampfmaschine, ein Konzept nackter Funktionalität und das damals teuerste Auto Deutschlands. Mit ihm gewann Walter Röhrl 1987 das Pikes-Peak-Rennen im US-Bundesstaat Colorado in 10.47:85 Minuten. Das war ein starker Schlussstrich unter den wilden Rallye-Jahren, andere nannten es den Abgesang dieses 600-PS-Monsters, der Gruppe-B-Rallyeserie, des Ur-Quattro und der Audi-Rallyeabteilung. Wegen einiger fataler Unfälle zog sich Audi aus dem Rallyerennsport zurück.
Der Quattro lebt
Der Quattro war indes nicht tot, im Gegenteil. Denn Quattro ist ohne Motorsport undenkbar, oder umgekehrt. Nach zahlreichen Titeln im Rallyesport starteten Audi in Tourenwagenrennen, 1988 in der amerikanischen Transam-Serie mit dem Audi 200, in der IMSA-GTO-Serie und in der DTM. 1998 verbannten die europäischen Regelhüter den Allradantrieb weitgehend aus dem Tourenwagensport. Doch 2012 startete wieder ein Allradrennwagen auf der Rundstrecke, der Audi R18 E-tron Quattro mit Hybridantrieb aus einem V6 TDI, der die Hinterachse antrieb, und zwei E-Maschinen an der Vorderachse. Dreimal gewann er das 24-Stunden-Rennen von Le Mans sowie zwei Fahrer- und Herstellertitel in der World Endurance Championship (WEC). Er hielt auch Einzug in fast die gesamte Audi-Modellpalette mit dem Ergebnis, dass bis Ende 2019 weltweit 10 448 406 Audi mit Allradantrieb produziert worden waren: Der Allradantrieb wurde zur tragenden Säule der Marke. Ausser im kompakten A1 ist der Quattro in jeder Modellreihe vertreten. 2019 besassen knapp 45 Prozent aller produzierten Audi-Modelle Quattro-Antrieb, die meisten von ihnen wurden in Werken in China (Changchun) und Mexiko (San José Chiapa) produziert, 250 765 entstanden in Ingolstadt und Neckarsulm.
Am 90. Genfer Autosalon hätte die Audi E-tron S und S Sportback vorgestellt werden sollen, mit 503 PS und heftigen 973 Nm maximalem Drehmoment, die über elektronisches Torque-Vectoring gezielt an die vier Räder verteilt werden. Ein bisschen Quattro muss immer sein. HPS