Die Auto- Industrie lebt – und wie!

GENEVA INTERNATIONAL MOTO SHOW Schade, dass der Salon nicht stattgefunden hat. Das Neuheiten-Feuerwerk wäre wunderbar gewesen.

Was war im Vorfeld des Genfer Autosalons, aber auch schon auf vergangenen Messen geschimpft worden. Die Zeit der Autoausstellungen sei vorbei, neue Formate müsse man finden, alles müsse anders werden. Es ist aus verschiedenen Gründen eine absolute Tragödie, dass die Geneva International Motor Show 2020 nicht stattfinden konnte, die Absage könnte den Organisatoren (finan­ziell) das Genick brechen, kostet die Hersteller viel Geld, wird vielen Arbeitern im Standbau, Hostessen, Restaurants, Hotels ein tiefes Loch ins Portemonnaie reissen. Doch schade, sehr schade ist es auch deswegen, weil die in Genf anwesenden Hersteller mit ihren Neuheiten, Conceptcars, Studien und Ideen aufgezeigt hätten, dass einerseits das Format der Messe noch lange nicht am Ende ist. Und andererseits, dass die Autoindustrie lebt. So lebendig ist wie schon seit Jahren nicht mehr, sprüht vor Kreativität, Ideen hat, den Fortschritt propagiert.

Der komplette Wahnsinn, dieser Aston Martin V12 Speedster: Kein Dach, keine Scheiben, sehr teuer.

Die Abwesenden hatten Unrecht
Genf war schon immer anders. Genf war immer die Messe mit der stärksten internationalen Anziehungskraft und Ausstrahlung, ein neutraler Spielplatz für die Hersteller aus aller Welt. Für die Italiener ist der Salon so etwas wie ein Heimspiel, für die aufstrebenden Chinesen ist er das Tor zur Welt, für die kleinen Hersteller eine grossartige Chance, sich einem kundigen, interessierten und auch noch kaufkräftigen Publikum zu präsentieren. Studien und andere kreative Konzepte haben in Genf immer eine viel grössere Rolle gespielt als in Frankfurt, Detroit, Tokio, speziell für die Designer ist die die Ausstellung in den Palexpo-Hallen seit Jahrzehnten der wichtigste Termin des Jahres. Und all diese Stärken hätte die Geneva International Motor Show in diesem Jahr – trotz einer langen Reihe von Abwesenden – wieder ausspielen können.

Ob nun ein Elektroauto aus Sri Lanka, ein 700-PS-Zweisitzer von Aston Martin oder der Koe­nigs­egg Gemera die (Um-)Welt wirklich voranbringen, das wissen wir auch nicht. Aber all diese Weltpremieren, auch ein Leichtbauwunder von McLaren, auch ein 650 PS starker Porsche 911 Turbo, auch eine um 100 Kilogramm erleichterte Giula von Alfa Romeo – sie alle zeigen auf, dass die Autoindustrie sehr lebendig ist. Dass in den Teppichetagen der Hersteller wieder mehr Zuversicht herrscht, dass man daran glaubt, zwölf Exemplare eines sündhaft teuren Bentley Bacalar verkaufen zu können, dass man überzeugt ist, für einen kleinen, frechen Racer wie den Toyota GR Yaris eine Kundschaft zu finden, dass es den Versuch wert ist, der Alpine A110 mit ganz vielen fröhlichen Farben noch mehr Leben einzuhauchen. Dass Hyundai quasi seine ganze Modellpalette erneuert hat, geht da fast etwas unter.

Ob das etwas wird mit dem Vega EVX aus Sri Lanka, steht in den Sternen. Verdient hätte er es – auch weil er in Genf war.

Es geht vorwärts
Aber es geht noch um mehr, viel weiter. Nicht nur alle jene, bei denen wie gehabt viel Benzin durch die Adern sprudelt, wären in Genf auf ihre Rechnung gekommen. Die Hersteller, junge, aufstrebende Start-ups wie auch die bekannten Namen, machen vorwärts mit der Elektrifizierung. Manche machen das ganz pragmatisch, etwa Mercedes-Benz mit sieben verschiedenen Plug-in-Hybriden für die aufgefrischte E-Klasse. Konkurrent BMW zeigt den i4 als Konzept, doch man wird ihn bald schon kaufen können. Wir wissen nicht, ob die Wiedergeburt von Fiat mit dem 500E wirklich funktionieren wird, wann der ID 4 von Volkswagen tatsächlich bei den Händlern steht, ob da etwas dran ist an der Nathalie von Gumpert mit ihrem Methanol-Brennstoffzellenantrieb. Aber wir sehen die Bemühungen – und man wird die Resultate auch bald sehen. Und darum geht es doch: Den Kopf in den Sand stecken sollen andere.

Und was all diese neuen, so grossartigen Formate betrifft, Livestreams, Roadshows – davor braucht sich eine Messe wie Genf nun wirklich nicht zu fürchten. Es waren nach der Absage ja die meisten Hersteller gezwungen, ihre Weltpremieren auf anderen Kanälen zu präsentieren. Ob sie damit ihre potenzielle Kundschaft wirklich erreichen konnten, das können und wollen wir nicht einschätzen. Aber wir spüren, fühlen, nein: wissen, dass wir dieses Feuerwerk an Neuheiten am Genfer Salon gerne in Realität miterlebt hätten, sie in 3D gesehen hätten. Und darüber diskutiert mit echten Menschen, Fachleuten, Kollegen. Das geht auf einem Bildschirm: nie.

Was die AR-Redaktoren sehen wollten

Audi A3

Zu gerne hätte ich gesehen, wie das Design und das Interieur des neuen Audi A3 in Realität auf mich wirken. Auf den ersten Bilder mag es so aussehen, als ob die Optik nur geringfügig modernisiert worden sei, doch wenn dann man genauer hinschaut, wird man bemerken, wie ausserordentlich gut dieser Feinschliff gemacht ist. Auch innen, man möchte sie einfach gerne berühren, diese Knöpfe und Schalter. Olivier Derard

Alfa Romeo Giulia GTA

Mich hätte man selbstverständlich auf dem Stand von Alfa Romeo gefunden. Denn die Italiener lassen mit ihrer D-Segment-Limousine als GTA eine der schönsten Legenden der Vergangenheit wieder aufleben. Ausserdem stimmt bei diesem Wagen das A für Alleggerita, denn sie haben es tatsächlich geschafft, 100 Kilogramm Gewicht einzusparen. Lorenzo Quolantoni

Toyota GR Yaris

Der Toyota GR Yaris wäre für mich sicher ein Höhepunkt gewesen – weil der japanische Hybridspezialist wieder Racing auf die Strasse bringt. Und dies in Zeiten, in denen all diese GTI und RS im CO2-Emissionswahn je länger, desto mehr verrauchen. Werner J. Haller

Porsche 911 Turbo S

Der 911 Turbo S. Zuerst einmal: because Porsche! Und weil er noch stärker, noch breiter, noch schneller ist als alle bisherigen Turbo­modelle. Ramon Egger

Mercedes E-Klasse

Die E-Klasse von Mercedes wäre für mich sicher auf dem Programm gestanden. Nicht nur weil im Wort Corona kein E vorkommt, sondern auch weil die Pflege des Herzens der Marke – in diesem Fall dank eines äusserst gefälligen und auffälligen Facelifts der Optik, Technik und Elektrik – immer interessant ist. Michael Schenk

Gumpert Nathalie

Gerne hätte ich mehr erfahren über den Gumpert Nathalie, immerhin das erste Serienfahrzeug mit einer Methanol-Brennstoffzelle. Aber auch das BMW i4 Concept hätte mich sehr interessiert, denn live kann man einfach besser sehen, ob die Niere wirklich überdimensioniert ist und der Diffusor unstimmig. Auch das Curved Display, das ja bald in Serie gehen soll, wäre sicher eine nähere Betrachtung wert gewesen. Cedric Heer

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.