Drei Dinge braucht der Vertreter: Anzug, Angebot, Auto. Der VW Passat erwies sich schnell als Nummer 1, als es darum ging, in dieser Reihe die Rolle des Autos zu übernehmen. Generationen von Aussendienstmitarbeitern und Ärztebesuchern haben die Passate so im Verlauf der letzten 47 Jahren sicher, benzinsparend und in Windeseile von Vertragsabschluss zu Vertragsabschluss getragen.
VW blieb seinerzeit dem Käfer-Prinzip des luftgekühlten Boxer-Heckmotors (zu) lange treu. 1973 – getrieben von der Ölkrise und wachsender und immer stärker werdender Konkurrenz – entschied man sich endlich zu einem Derivat des Audi 80. In jenem Frühling wurde der Passat als Fliessheckmodell mit wassergekühltem Motor, Frontantrieb und hochmoderner Ganzstahlkarosserie vorgestellt. Damals ahnte in Wolfsburg noch niemand, dass der Passat mit mehr als 30 Millionen produzierten Exemplaren selbst den legendären Käfer (21.5 Millionen) hinter sich lassen würde. Andreas Tostmann, Produktionsvorstand von VW, sagt: «Wir bauen den Passat auf drei Kontinenten in zehn Werken für über 100 Absatzmärkte. Damit ist der Passat ein echter Weltbestseller.» In der aktuell achten Generation wurde die Ausstattungsmatrix neu konfiguriert. Statt Trendline, Comfortline und Highline heissen die Ausstattungslinien jetzt Basic, Business und Elegance.
Unter der Haube der auf 2000 Stück limiterten Sonderserie aus der R-Abteilung heizen ausschliesslich die beiden Topmotorisierungen mit 176 kW/240 PS (TDI) und 200 kW/272 PS (TSI) ein. Das heisst gleichzeitig auch Allradantrieb sowie ein Siebengang-DSG. In weniger als sechs Sekunden soll es damit gemäss Werk auf 100 km/h gehen. Auch wenn da mindestens 0.2 Sekunden Hoffnung dabei sind, geht es definitiv sehr flott nach vorn. Die Spitze liegt bei 250 km/h.
Jost Capito, Geschäftsführer von VW R und ehemaliger Motorsportchef der Wolfsburger, sagt: «Volkswagen R bringt Emotionen in die Marke sprich Modelle.» Und in der Tat: Aus dem vermeintlich biederen, zweckorientierten Kilometerfresser wird ein adretter Blickfang. Das hängt auch mit dem neuen Farbton Mondsteingrau zusammen. Noch wichtiger freilich: Es macht echt Fun, diesen Passat zu bewegen. Spontan könnte man sagen, das Auto sitzt wie ein Massanzug ab der Stange. Der Turbo-TSI klingt nach oben ausgedreht kernig, was sein vitales Temparement wunschgemäss akzentuiert. Die Progressivlenkung reagiert bemerkenswert direkt – sehr cool. Die Dämpfer sind in einem grossen Bereich und je nach Modi spürbar verstellbar und schlucken weg, was die Bodenwellen hergeben. Wankbewegungen gibts nicht, und auch die Gasbefehle werden feinfühlig und widerspruchslos umgesetzt. Auf jeden Fall verliert der Passat nie die ihn ausmachende Contenance, er wird nicht zickig oder ausfällig und widerstrebt schon gar nicht der Hand des Fahrers. Da ist und bleibt eine grundanständige Einstellung.
Die sportliche Note des R-Passat unterstreicht die Funktion ESC off. Damit lässt sich das elektronische Stabilisierungsprogramm zum Beispiel für Fahrten auf abgesperrten Strecken deaktivieren. Wenn man nicht gerade in Schweden über eine Eiswüste driftet (s. Seite 18) oder seiner Freundin massiv imponieren will, werden diese Funktion indes die wenigsten Kunden benutzen.
Was den Verbrauch angeht, kann man mit der R-Line problemlos unter der Siebenliter-Marke – in diesem Fall Benzin – durch die Umgebung rollen. Geht man freilich zum Beispiel am Berg forscher ran und greift über die Schaltwippen satt ins Drehmoment ein, das bei maximal 350 Nm liegt, geht es auch weit über acht Liter hinaus.
In der Spur gehalten
Auf den bellizistisch grauen Farbton abgestimmt, kontrastieren aussen etliche schwarze Features. Abgesetzt wird etwa das von Hand lackierte Dach. Ebenfalls schwarz sind der Dachkantenspoiler, die Dachreling und die Aussenspiegelkappen, die Umrandung der Seitenscheiben, der Heckdiffusor, die Einfassung der Scheinwerfer sowie alle Zierleisten. Ein sich über die gesamte Seitenlinie erstreckender Falz sorgt für die Prise Pfeffer, welche die Dynamik respektive die hier sehr gewünschte, sportliche Note unterstreicht. Mit den dunklen LED-Rückleuchten, den hochglanzschwarzen 19-Zoll-Leichtmetallrädern und 235er-Reifen wird das Styling konsequent durchgezogen.
Selbstverständlich dominiert auch im Innern Schwarz. Fahrer und Beifahrer nehmen im besten Fall auf perfekt konturierten R-Line-Sportsitzen mit Zertifikat der Aktion Gesunder Rücken (AGR) Platz, die automatisch verstellbar sind. Nur die Kopfstützen stellt man eigenhändig ein. Am Steuer hält man ein Lebhaftigkeit vermittelndes, unten abgeflachtes Leder-Sportlenkrad in den Händen. Fühlt sich stimmig an. Die Mittelbahnen der Sitzanlage sind mit Nappa-Leder, die Seitenwangen mit normalem Leder bezogen. Gebürsteter Edelstahl prägt die Pedalerie. Um ein bisschen Farbe in die Bude zu zaubern, gibt es eine Ambientebeleuchtung mit einem grossen Farbspektrum. Klingt total nebensächlich, ist aber in einer immer verrückteren Welt nicht zu unterschätzen. Jede Farbe besitzt schliesslich eine typische Wellenlänge und Energie, die sich auf unsere Körper überträgt.
Ohnehin fühlt man sich in diesem Dienstwagen vor dem Herrn auch nach stundenlanger Fahrt nicht müde und ausgelaugt. Der Passat, speziell in der R-Line, ist die perfekte Inkarnation dessen, was zwischen Flitzen und Cruisen liegt.
Zur üppigen Serienausstattung gehören das Digital-Cockpit und das 9.2-Zoll-Navigationssystem Discover Pro mit R-Line-Startscreen. Das Auto nutzt die dritte Generation des Modularen Infotainmentbaukastens (MIB 3). Dieser ist dank integrierter SIM-Karte ständig online und dank Online-Connectivity-Unit (OCU) immer vernetzt. Das Zentraldisplay hinter dem Lenkrad – ehemals Active-Info-Display – sitzt indes zu tief. Das führt dazu, dass das Lenkrad bisweilen die Sicht auf die Anzeigen trübt. Kann nerven. Das Head-up-Display liefert zwar gestochen scharfe Infos. Letztere werden jedoch auf eine etwas billig wirkende, herausfahrende Plexiglasscheibe projiziert.
gestört. Im Gegenteil. Unterlassene Shootingbrake-Ambitionen kommen vor allem hinten der Kopf- und Beinfreiheit sehr zugute. Vorne und hinten zwinkert LED-Licht.
Ein Highlight dagegen ist der serienmässige Travel-Assist. Der Travel-Assist ist quasi die Luxusausführung des passiven Line-Assist. Letzterer bringt das Auto erst dann in die Spur zurück, wenn dieses die Spur akut und unkontrolliert zu verlassen droht. Beim Travel-Assist dagegen vereinen sich Frontkamera, Umfeldbeobachtungssystem, Parklenkassistent, Spurwechselassistent und automatische Distanzkontrolle zu einem neuen, intelligenten Assistenzsystem. Ein System, das den Passat sauber in der Spur hält. Das führt dann theoretisch dazu, dass der rasende Vertreter seinen Top-Kombi mit bis 210 km/h teilautomatisiert fahren lassen kann. Lenken, Bremsen und Gasgeben übernimmt das Auto. Bis 150 km/h angenehm, darüber ein Adreanlinkick. Aber es ist ein Feature, das dem Entspannungsgrad zugutekommt.
Der seit 1973 gebaute Grossraumkombi ist in seiner neuesten Generation und als R-Line-Sondermodell zwar mit über 70 000 Franken teuer, aber sicher ausgereift und zeugt von uneingeschränkten Langstreckenqualitäten. Und im exklusiven R-Line-Sportanzug sieht er zudem schnittig und flott aus.
Die technischen Daten und die AR-Testdaten zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe der Automobil Revue.