Der Todesstoss kam nach einer Woche quälenden Wartens. Die 90. Ausgabe des Genfer Autosalons kann wegen der Corona-Virusepidemie nicht stattfinden. Unter Berufung auf das Epidemiegesetz hat der Bundesrat am Freitag, 28. Februar, ein landesweites Verbot für alle Veranstaltungen mit mehr als 1000 Personen bis 15. März angeordnet. Die Automesse am Genfersee musste so nur wenige Tage vor der geplanten Eröffnung abgesagt werden. «Mich macht diese Absage persönlich sehr traurig», sagt Olivier Rihs, der sichtlich betroffene Direktor der Geneva International Motor Show (GIMS), «aber es ist eine Entscheidung des Bundesrates, und ich halte sie für vernünftig. Ich befolge die Befehle.» Auch François Launaz, Präsident von Auto-Schweiz, dem Dachverband der Schweizer Autoimporteure, zeigt sich bedrückt: «Politisch gesehen kommt die Absage zu einem schlechten Zeitpunkt, denn während der parlamentarischen Sessionen hätten wir mit dem Erfolg der neuen Technologien zeigen können, dass die Autoindustrie ihren Anteil zum Klimaschutz leistet.»
Ein logistischer Albtraum
Auch in den Hallen der Palexpo leiden die Arbeiter unter der Entscheidung: Sie alle haben viel Energie in den Aufbau der Messestände investiert. Die meisten Bereiche waren zum Zeitpunkt der Benachrichtigung am Freitagmorgen schon fertig, bei Mercedes-Benz und DS Automobiles standen die Fahrzeuge bereits auf dem Stand. Nun müssen sie unter Zeitdruck alles wieder zurückbauen, denn die Organisatoren haben gefordert, dass bis 7. März alle Hallen geräumt sind. Dies stellt die Standbauer vor grosse logistische Schwierigkeiten, war der Abbau doch eigentlich für 15. März geplant gewesen. Transportunternehmen zu finden, die kurzfristig einspringen können, ist schwierig und kostspielig – die Preise für eine Fahrzeugvermietung können bis zu dreimal so viel betragen wie normalerweise. Auch die IT-Spezialisten und Elektriker bleiben während der Salondauer nicht in Genf, sondern arbeiten an anderen Projekten – manchmal am anderen Ende der Welt.
Keine Rückzahlungen vorgesehen
Noch weiss niemand genau, wer die offenen Rechnungen bezahlen und wer auf den Kosten sitzenbleiben wird. Bei grossen Ständen sprechen wir hier von Investitionen von bis zu zehn Millionen. Rückerstattungen sind nicht vorgesehen, da Stornierungen aufgrund höherer Gewalt üblicherweise nicht versichert sind. «Sie hätten den Entscheid früher fällen und uns nicht wenige Tage vor der Eröffnung so hängen lassen können», sagt uns ein Mitarbeiter eines grossen Herstellers. Olivier Rihs verteidigt seine Startegie: «Wir haben auch Verpflichtungen. Hätten wir ohne wirklichen Grund früher abgesagt, wären wir auch dafür verantwortlich gemacht worden!» Dennoch sichert Rihs seine Bereitschaft zu, mit den Ausstellern zu diskutieren, um die Verluste jedes einzelnen von ihnen zu minimieren: «Wir haben ihnen versprochen, dass wir sie nicht alleine lassen, aber wir können nicht für die finanziellen Aufwände der Hersteller verantwortlich gemacht werden. Im Falle höherer Gewalt muss jeder seine eigenen Kosten tragen.»
Die Absage der GIMS 2020 wird nicht nur für die Hersteller, sondern auch für die Stiftung, die den Salon betreut und organisiert, einen immensen Verlust bedeuten. So gehen alle Einnahmen aus dem Verkauf der Eintrittstickets verloren, was jeweils die Hälfte des Umsatzes ausmacht. Die andere Hälfte stammt aus der Vermietung der Standflächen. Die Organisatoren haben zugesichert, alle bereits verkauften Tickets zurückzuerstatten.
Steht 2021 auf der Kippe?
Der Dolchstoss kommt für die organisierende Stiftung zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Für die Ausgabe 2020 wurden mehrere Millionen in neue Konzepte investiert, beispielsweise in die Indoor-Strecke, die Besuchern die Möglichkeit gegeben hätte, Fahrzeuge mit Alternativantrieben zu testen. Die genaue Höhe des Verlustes ist noch nicht bekannt, da Olivier Rihs sich nicht genauer festlegen will als auf «mehrere Millionen». Es würde aber ausreichen, um die Existenz der Stiftung ernsthaft zu gefährden. «Wir werden finanzielle Probleme haben, das wissen wir», konstatiert Maurice Turettini, der Präsident des Stiftungsrates des Autosalons. «Wir müssen evaluieren, wie viel wir benötigen, um das weitere Überleben der Stiftung zu sichern.» Ins gleiche Horn bläst auch Olivier Rihs: «Wir werden sehen, ob die Stiftung an ihre Grenzen stösst oder nicht. Im Moment ist es noch zu früh, um das zu bewerten. Wir arbeiten aber auf jeden Fall hart daran, dass es auch 2021 wieder einen Salon geben wird.»
Schwer vorhersehbare Entwicklungen
François Launaz zeigt sich optimistisch, was das Überleben der Stiftung und die Austragung im kommenden Jahr angeht: «Die Hersteller haben bereits ihre Absicht angekündigt, im nächsten Jahr zurückzukehren. Aber was wird sich in den nächsten zwölf Monaten abspielen? Wie werden sich die Verkäufe entwickeln, und wie wird sich die Covid-19-Krise auf die Automobilindustrie auswirken? Es gibt viele Fragezeichen, und niemand weiss, was passieren wird. Aus heutiger Sicht würde ich aber sagen, dass der Salon noch nicht tot ist!»
30 000 Übernachtungen
Diesen Optimismus wird man in Genf gerne hören, denn die Stadt hat ein vitales Interesse daran, dass der Salon weiterbesteht. Die direkten und indirekten Einnahmen, die der Grossanlass generiert, werden auf 200 bis 250 Millionen Franken geschätzt. Man denke bloss an all die Restaurants, Läden, Taxis und natürlich die Hotels: 30 000 Übernachtungen werden während des Autosalon sonst verzeichnet. Eine Zahl, die zwar beeindruckend klingt, von Hélène Lebrun von der Fondation Genève Tourisme et Congrès aber relativiert wird: Von den 3.2 Millionen Übernachtungen pro Jahr macht der Autosalon bloss ein Prozent aus. Hélène Lebrun bestätigt jedoch, dass der Salon «die meisten Übernachtungen für einen einzelnen Anlass» zur Folge habe und die Attraktivität von Genf steigere.
Eine verpasste Gelegenheit
Abgesehen vom wirtschaftlichen Schaden, bedauert François Launaz vor allem, dass die GIMS die Gelegenheit verpasst habe, sich als Leader unter den Messen zu positionieren. «Wir spüren bei den Messen den Drang, sich neu auszurichten. Dank unserer neuen Konzepte hätten wir die Möglichkeit gehabt, die Führungsrolle zu übernehmen.» Es sei aber noch nicht alles verloren, meint Launaz, und verspricht, dass die für 2020 geplanten Innovationen im Jahr 2021 zum Tragen kämen. Wenn alles gut geht, wird man sich von 4. bis 14. März 2021 in Genf wiedersehen.
«Wir sind nicht in der Lage, 2020 noch einen Salon auf die Beine zu stellen»
Wenn es einen Mann gibt, der sich am Freitag, 28. Februar, allein gefühlt haben musste, dann war es er: Olivier Rihs. Durch den Beschluss des Bundesrates waren alle seine Bemühungen der letzten Monate zunichtegemacht. Er wird als erster Direktor, der nie einen Salon durchführen konnte, in die Geschichte eingehen. Wir haben mit ihm gesprochen.
Automobil Revue: Wieso kann man den Salon 2020 nicht verschieben?
Olivier Rihs: Hätten denn die Hersteller das nötige Budget, um ein weiteres Mal nach Genf zu kommen? Ich denke nicht. Nicht einmal von unserer Seite hätten wir genügend Ressourcen, Kapazitäten und Personal gehabt, um in diesem Jahr noch einmal eine solch grosse Show auf die Beine zu stellen. Das ist schlichtweg unmöglich.
Wäre es nicht möglich gewesen, die Pressetage durchzuführen und Pressekonferenzen zu streamen?
Nein. In jedem Fall sind mehr als tausend Personen anwesend, alleine schon, um den Betrieb zu ermöglichen. Und das ist vom Bundesrat verboten worden.
Werden die Hersteller Ihnen das nicht übelnehmen?
Wir haben ganz klargemacht, dass nicht wir die Entscheidungsträger sind. Das war die Schweizer Regierung aufgrund höherer Gewalt.
Müssen wir uns Sorgen machen um die Durchführung des Salons 2021?
Wenn man Verluste in Millionenhöhe macht, dann muss man schon schauen, ob die Stiftung nicht irgendwann an ihre Grenzen stösst. Im Moment ist es noch zu früh, um das zu bewerten. Wir arbeiten aber hart daran, dass es auch 2021 wieder einen Autosalon geben wird.
Interview: Lorenzo Quolantoni