«Die Abwesenden haben immer Unrecht»

GIMS Das Fehlen von 17 Marken am ­diesjährigen Autosalon Genf ­kontert Direktor ­Olivier Rihs mit neuen Konzepten. Die Zukunft der GIMS ist dennoch ungewiss.

Noch nie war der Vorlauf des Genfer Automobilsalons so schwierig. Zusätzlich zur Abwesenheit von 17 Marken – Rekord – muss die Geneva International Motor Show (GIMS) die Bedrohung durch das Corona-Virus im Auge behalten. Aus Angst vor ­einer Pandemie wurde in Barcelona (E) kürzlich der Mobile World Congress, die wichtigste Messe für Unterhaltungselektronik, abgesagt. Trotz Gegenwind verfügt Genf weiterhin über starke Trümpfe, um sich als führender Salon in Europa zu behaupten. Der abtretende Direktor Olivier Rihs ist nach wie vor davon überzeugt.

Automobil Revue: Welche Gefühle begleiten Sie wenige Tage vor der Eröffnung der GIMS?
Olivier Rihs: Die Geneva International Motor Show ist eine aussergewöhnliche menschliche Erfahrung. Ich freue mich, sie mit den Leuten des Pal­expo teilen zu dürfen. Ich bin auch verblüfft, wie die Marken mit Begeisterung und Einsatz ihre Stände aufbauen. Leider tendieren wir zu sehr dazu, über diejenigen zu sprechen, die nicht kommen, ich konzentriere mich lieber auf diejenigen, die vertreten sind. Die fehlenden 17 Marken machen 25 Prozent des Verkaufsvolumens in der Schweiz aus, also werden 75 Prozent da sein. Praktisch alle Top-Ten-Marken werden vor Ort sein.

Wie geht man mit dem Fehlen der Marken um?
Wir bieten neue Konzepte und bringen neue Marken, indem wir das Ökosystem generell um das Thema Mobilität erweitern. Wir müssen den Fokus auf diejenigen legen, die teilnehmen, und ihnen sämtliche logistische Unterstützung bieten.

Kommen die Marken nicht, weil weniger Besucher kommen, oder kommen die Besucher nicht, weil weniger Marken vertreten sind?
Meines Erachtens muss am Anfang immer ein Inhalt stehen. Wenn Sie eine Onlineplattform erstellen, müssen Sie einen bestimmten Inhalt haben, sonst kommen die Leute nicht wieder. Wir hoffen, dass wir mit unseren neuen Konzepten eine Basis für die Zukunft schaffen können, damit die Leute kommen. Allerdings müssen wir auch klar sagen, dass wir keine Salons mehr finden werden, wie sie vor fünf Jahren noch existierten.

Ist das Maximum an Abwesenheiten erreicht, oder muss in den kommenden Jahren mit weiteren Absagen gerechnet werden?
Da sich die Dinge aktuell sehr schnell und von Grund auf verändern, ist es schwierig zu sagen, was nächstes Jahr passieren wird. Ich möchte daran erinnern, dass die Stiftung des Autosalons eine gemeinnützige Organisation ist, die mittelfristig die Konten ausgleichen muss. Der Stiftungsrat wird prüfen, ob die Rahmenbedingungen und die Bereitschaft der Marken weiterhin gegeben sind. Er wird schnell eine Entscheidung treffen müsen.

Ist die aktuelle Situation rund um das Corona-Virus eine Gefahr für die diesjährige Ausgabe?
Wir arbeiten derzeit mit verschiedenen, möglichen Szenarien. Wir hoffen, dass die Zeichen gut stehen, aber sollte sich eine Pandemie entwickeln und die Schweiz treffen, dann müsste die GIMS als letzte Konsequenz abgesagt werden. Eine unserer Stellen arbeitet daran, wir kommunizieren viel und arbeiten eng mit dem Bundesamt für Gesundheit und dem kantonalen Gesundheitsamt zusammen. Wir orientieren uns an deren Empfehlungen und unternehmen aktuell alles, was in unserer Macht steht. Aktuell gibt es aus rationaler Sicht keinen Grund, in Panik zu geraten. Eine normale Grippe in der Schweiz ist genauso gefährlich wie dieses Virus.

Haben Sie den einen oder anderen Aspekt in der Vorbereitung unterschätzt?
Ich habe vorgefunden, was ich erwartet hatte. Um die Herausforderungen in der Welt der Salons zu bewältigen, muss man investieren. Es braucht neue Talente, um die Digitalisierung und verschiedenen Anforderungen zu bewältigen. Wir müssen auch deutlich proaktiver werden. Wir können uns nicht mehr damit begnügen, abzuwarten, dass die Hersteller auf uns zukommen. Die Marken kommen nicht mehr von sich aus. Sie wissen, dass sie im reinen Verkauf über den Zeitraum der Messe nie ­eine Rendite erzielen werden, der Gewinn zeichnet sich eher auf Imageebene ab. Die Hersteller werden über die Zukunft der GIMS entscheiden.

Haben Salons, die eher auf den Verkauf ausgerichtet sind, bessere Chancen zu überleben?
Das kommt darauf an, es ist auch eine Frage der Tradition. Der Brüsseler Salon zum Beispiel treibt effektiv den Verkauf der Fahrzeuge an, 50 Prozent der jährlichen Verkäufe an Privatpersonen werden in diesem Zeitraum abgewickelt. Die Infrastruktur ist deutlich einfacher. Genf zielt eher darauf ab, ein Schaufenster für die Industrie und die Mobilität zu sein. Die Marken müssen sich entscheiden,  an welche Art von Salons und an welche Plattform sie sich wenden möchten.

Einige Marken wie zum Beispiel Ford hätten Neuheiten vorzustellen, aber sie kommen nicht nach Genf. Nehmen Sie ihnen das übel?
Die Abwesenden haben immer Unrecht. Wir können jedoch nicht Gruppen die Schuld geben, die Geld verlieren und enorme Summen in die Transformation der Industrie und ihre Produktions­anlagen investieren. Man kann es ihnen nicht übel nehmen, dass sie Kanäle wählen, die ihnen für die Bewerbung ihrer Neuheiten passender erscheinen.

Wie sieht es mit Ihrer Nachfolge aus?
Der Stiftungsrat des Genfer Autosalons ist kurz vor Abschluss des Auswahlverfahrens, es sind noch ein paar Kandidaten im Rennen. Zu gegebener Zeit wird alles kommuniziert.

Wir wussten weit im Voraus, dass Sie die Nachfolge von André Hefti antreten würden. Kurz vor der Eröffnung des Salons kennen wir Ihren Nachfolger allerdings noch nicht. Weshalb?
André Hefti verkündete den Entscheid Mitte 2018, ich im Oktober 2019. Der Stiftungsrat benötigt Zeit, um ein Auswahlverfahren durchzuführen.

Bereuen Sie den Entscheid, so früh zu gehen?
Nein. Als man mich anfragte, ob ich den Posten übernehmen wolle, habe ich die Chance ergriffen. Es wird sicherlich nirgends mehr so faszinierend sein wie hier in Genf. Andererseits kommen persöhnliche und private Aspekte ins Spiel, man muss  alles zusammen abwägen. Ich habe mich zum Weggang entschieden, vielleicht bereue ich das später, auch wenn das für gewöhnlich nicht meine Art ist.

Ist die GIMS immer noch in der Lage, der einzige Salon in Europa zu bleiben?
Wir haben offen mit den anderen Salon-Organisatoren gesprochen: Wir wissen, dass der Kuchen heute nicht mehr gross genug ist, dass zwei Salons pro Jahr überleben könnten. Die Marken müssen die Wahl treffen. Wir haben die notwendige Arbeit geleistet, um zu zeigen, dass es neue Konzepte und neue Ideen gibt, und um eine Basis für die Zukunft zu schaffen. 

Viel mehr als nur eine Ausstellung

Die 90. Ausgabe des Genfer Autosalons, der seine Tore von 5. bis 15. März 2020 für die Öffentlichkeit öffnen wird, wird zum Schauplatz für 90 Welt- und Europapremieren. Während der Grossteil der Marken bis kurz vor der Messe wartet, um ihre Neuheiten zu enthüllen, wissen wir bereits, dass Koenigsegg mit einem Elektro-Supersportwagen an den Genfersee kommen wird. Pininfarina feiert an dieser Ausgabe mit einem Konzept seinen 90. Geburtstag.

Drei neue Konzepte
Das Organisationskomitee der Ausstellung hat nicht auf die Hersteller gewartet, um Neues unter das Dach des Palexpo zu bringen. Der Genfer Autosalon stellt dieses Jahr drei neue Konzepte vor: den GIMS-VIP-Day, die GIMS-Tech und die GIMS-Discovery.

Der GIMS-VIP-Day, der am Mittwoch, 4. März, stattfinden wird, gibt den Besuchern die Möglichkeit, an einer Reihe von Vorträgen zum Thema Mobilität in der Zukunft teilzunehmen. Sébastien Buemi, Simona de Silvestro, Neel Jani und Nico Müller werden zum Beispiel mit Alejandro Agag, dem Chef der Formel E, rund um Technologietransfers vom Einsitzer der Formel E zum Elektroauto diskutieren. Der Ticketpreis für diesen Tag beträgt 250 Franken.

Auch die GIMS-Tech in Halle 6 wird Schauplatz für eine Reihe von Vorträgen und Präsentationen über die Mobilität der Zukunft sein. Diese finden während des ganzen Autosalons statt. Auf zwei Teststrecken können elektrische Rollschuhe oder Post-Dreiräder von Kyburz getestet werden.

Die Halle 7, die einst dem Zubehör gewidmet war, beinhaltet eine Teststrecke im XL-Format. Ziel ist es, dass die Besucher Fahrzeuge mit alternativem Antrieb entdecken können. Das Konzept der GIMS-Discovery ermöglicht es, sich ans Steuer von Elektro-, Wasserstoff-, Erdgas- oder wiederaufladbaren Hybridfahrzeugen zu setzen. Die Modellpalette umfasst den neuen Honda E, den Mercedes EQC, den DS3 Crossback E-Tense, den Audi E-Tron, den Toyota Mirai und als Königsklasse den Porsche Taycan. Um ein Zeitfenster zu reservieren, muss man sich über eine Smartphone-App anmelden, die man auf der Webseite des Salons herunterladen kann. LQ

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