Überschall

Mit dem Fiat 8V Supersonic schuf Ghia 1953 eine Skulptur, die den technischen Leckerbissen aus Turin in einen futuristischen Traumwagen verwandelte.

Es war im Jahr 1947, als der Amerikaner Chuck Yeager mit dem Experimantalflugzeug Bell X-1 erstmals die Schallmauer durchbrach und damit Supersonic-Speed erreichte. Fünf Jahre später nahmen die ersten Düsenflugzeuge von de Havilland den Liniendienst auf. Die 1950er-Jahre standen ganz im Zeichen von Überschall, Raketen und Düsentriebwerken, nicht umsonst nannte man sie das Jet-Age. Sofort setzten auch Autodesigner rund um den Globus das Thema am Zeichentisch in ihren Entwürfen um, und so entstanden Zeichnungen von Fahrzeugen, die aussahen, als könnten sie fliegen.

Auch Giovanni Savonuzzi, Designer bei Ghia, liess sich von modernen Flugzeugen inspirieren, und kleidete unter anderem (und wahrscheinlich) vierzehn Fiat 8V mit einer futuristischen Karosserie ein. Am Pariser Salon im Jahr 1953 wurde das Coupé zum schönsten Auto der Show gewählt, heute ist es unter dem Namen Supersonic bekannt. 

Die «Automobil Revue» schrieb am 7. Oktober 1953 über den schönen Italiener: «Die Turiner Firma Ghia zeigte einen höchst auffallenden und schnittigen Fiat-8-V-Sportwagen, dessen Linie derjenigen des verbrannten Alfa-Conrero des Genfer Sportsmannes Fehlmann gleicht.» Das Coupé sah neben anderen ausgestellten Fahrzeugen wie etwa dem Ford Vedette oder dem Simca Aronde aus, als sei gerade ein Raumschiff von einem anderen Stern gelandet.

Savonuzzi hatte den Kühlergrill des 8V im unteren Bereich leicht nach hinten geneigt, wodurch er zusammen mit der langen Motorhaube schon im Stand eine dynamische Erscheinung abgab. Die gerade gezeichnete Gürtellinie endete mit kleinen Heckflossen sowie Rücklichtern, die an Düsentriebwerke erinnern sollten. Um die fliessenden Linien nicht zu unterbrechen, brachte Savonuzzi den Tankdeckel im Kofferraum vor dem Reserverad unter. Viel Platz für Gepäck blieb allerdings nicht übrig.

Im modern gestalteten Cockpit wurde ein Kombiinstrument mittig hinter dem Lenkrad platziert, welches den Drehzahlmesser und den Tachometer, der bis 250 km/h reichte, beherbergte. Daneben gab es eine Uhr sowie Anzeigen für den Tankinhalt und die Batterie. Das Interieur variierte bei jedem Modell leicht, da die betuchte Kundschaft bei Ghia individuelle Ausstattungswünsche anmelden konnte.

Der erste Nachkriegs-V8 von Fiat
Als technische Basis verwendete Ghia den 1952 vorgestellten Fiat 8V, dem ersten Nachkriegssportwagen von Fiat mit einem V8-Motor, der bei seiner Premiere am Autosalon in Genf für grosses Aufsehen gesorgt hatte. Fiat, an der Massenmotorisierung in Italien mit dem kleinen Topolino nicht ganz unbeteiligt, hatte wohl kaum jemand einen solchen Wurf zugetraut, und die Begeisterung beim Publikum sowie der Fachpresse war entsprechend gross. Der «Otto Vu», wie er genannt wurde, konnte auch ohne Karosserie, also nur als Fahrgestell mit Motor, bei Fiat bestellt werden – eine ausgezeichnete Basis für die damaligen Karosseriebauer, um ihr ganz individuelles Blechkleid für einen Sportwagen zu schneidern. 

Wenn Designer träumen Giovanni Savonuzzi liess sich eindeutig von den ersten Überschall-Jets inspirieren, das sieht man nicht bloss an den nur angedeuteten Heckflossen. Keiner der 14 (oder 15) Fiat 8V von Ghia ist genau gleich, die Kunden konnten insbesondere beim Interieur ihre ganz persönlichen Wünsche anbringen.

Der 1996 Kubikzentimeter kleine, von Dante Giacosa konstruierte V8-Motor mit hängenden Ventilen und einem Fallstromvergaser wies einen aussergewöhnlichen Gabelwinkel von 70 Grad auf, und leistete je nach Ausbaustufe 105, 115 oder 127 PS, geschaltet wurde von Hand via Vierganggetriebe. Für die sportliche Strassenlage spendierten die Turiner dem Otto Vu Einzelradaufhängung an allen Rädern, wobei die Vorderachse vom 1100 und die Hinterachse vom Camagnola stammte. Die Federn und Dämpfer lagen in einer geschlossenen Einheit in einem Ölbad, eine Lösung, welche erst in den 60er-Jahren im Rennsport wieder eingesetzt wurde, und die Borrani-Speichenräder mit Zentralverschluss unterstrichen das sportliche Image des Coupés. Mit einem Radstand von 2.4 Metern und den Dimensionen 4.04 × 1.57 × 1.29 Metern war das Werkscoupé kompakt, mit einem Trockengewicht von nur 930 Kilogramm agil. Als Höchstgeschwindigkeit wurden 180 km/h angegeben.

Heute weit mehr als eine Million wert
Insgesamt entstanden 114 Fiat 8V, wovon 58 die Rapi-Werkskarosserie trugen. Bei Zagato wurden auf 8V-Fahrgestellen 27 Sportwagen eingekleidet, bei Ghia 14, bei Vignale 9, bei Pininfarina drei weitere Fahrzeuge. Mit dem 8V-Motor baute auch Siata elegante Coupés und Cabriolets. Trotz des erheblichen Aufsehens, die die Supersonic-Fiat-Coupés an den Autosalons verursachten, ist ihr Einfluss auf das Design der Massenfahrzeuge relativ gering geblieben. Auch für die Rennstrecke eigneten sich die gegenüber den leichtgewichtigen Rapi- und Zagato-Coupés deutlich behäbigeren Showcars nicht, sie waren eher auf Schönheitskonkurrenzen und dem Boulevard zu Hause.

Heute gehören die Otto Vu mit der Karosserie von Savonuzzi zu den gesuchtesten Fiat 8V überhaupt, sie erzielen an Auktionen Preise von weit jenseits einer Million Franken. Das hier porträtierte Fahrzeug wird an der RM/Sothebys-Elkhart-Collection-Auktion, die am 1. und 2. Mai 2020 stattfindet, versteigert. 

Der erste Supersonic

Der Schweizer Robert Fehlmann beauftragte Virgilio Conrero, einen konkurrenzfähigen Rennwagen zu bauen, mit dem er 1953 an der Mille Miglia teilnehmen konnte. Conrero, der hauptsächlich Fahrzeuge der Marken Alfa Romeo und Lancia für den Rennsport optimierte, verwendete dazu den Motor des Alfa Romeo 1900 und Komponenten aus dem Fiat 1400 und dem Lancia Aurelia. Für die Aussenhaut wandte er sich an seinen Freund Giovanni Savonuzzi, dem mit dem Cisitalia 202 MM schon ein grosser Wurf gelungen war, und der als Chefdesigner von Ghia verantwortlich zeichnete. Savonuzzi entwarf die erste Supersonic-Karosserie für den Conrero Alfa Romeo 1900 Sprint (Bild l. M.). Der Wagen sorgte am Autosalon in Turin noch im gleichen Jahr für grosses Aufsehen, aber Fehlman brachte er kein Glück. An der Mille Miglia kam er nicht ins Ziel, und verunfallte kurz darauf (Bild u. l.). Die «Automobil Revue» vom 29. Juli 1953 schrieb dazu: «Der vom Genfer Sportwagenpiloten Robert Fehlmann zusammen mit dem Turiner  Ingenieur Conrero entwickelte und in der AR vom 20. Mai 1953 beschriebene Alfa-Conrero-Rennsportwagen ist bei einer Versuchsfahrt vor dem Vue-des-Alpes-Rennen restlos verbrannt. Sein bedauernswerter Besitzer erleidet einen riesigen Schaden, da er das elegante Fahrzeug nur noch als Altmaterial verkaufen kann.» Andere Quellen schreiben, der Unfall habe sich an der Mille Miglia kurz nach dem Start zugetragen.

Ghia, beeindruckt vom Aufsehen, das der Wagen erregt hatte, beschloss, auf der technischen Basis des Fiat-8V-Fahrgestells eine Kleinserie aufzulegen. So entstand ein gutes Dutzend Fiat 8V Supersonic. Das Design der Karosserie wurde im Vergleich zum Conrero-Prototyp nur leicht modifiziert, allerdings wich das grosse Heckfenster, welches sich bei der Conrero-Version bis ins Dach zog, einer konventionelleren Lösung.

Jaguar, Aston Martin und DeSoto fuhren auch mit Überschall-Kleid
Ghia nutzte nicht nur die Fahrgestelle des Fiat 8V als technische Basis für Supersonic-Karosserien, sondern schneiderte gegen gutes Geld auch für den Jaguar XK120 (3 Exemplare) und einen Aston Martin DB2/4 MkII (Bild u. r.) ein futuristisches Überschall-Kleid. John Willment, ein englischer Fordhändler, baute aus einer Karosserie, die er auf dem Schrottplatz fand, sowie dem Chassis und dem 427er-Motor einer Cobra den Willment-Supersonic, der heute noch existieren soll.

Das Ghia-Design beeindruckte Publikum und Autobauer auch jenseits des Atlantiks, und so entstand unter Federführung des Designers Virgil Exner mit dem DeSoto Adventurer II ein Coupé, das dem Fiat 8V Supersonic frappant ähnlich sah, was wohl auch daran lag, dass man sich als Inspiration einen der ersten Fiat 8V Supersonic beschafft hatte. DK

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