Im März 2018 kündigte die Amag all ihren Service- und Handelspartnern per 31. März 2020. Der Volkswagen-Konzern, der zwölf Fahrzeugmarken umfasst, will in ganz Europa alle Partnerverträge erneuern. Die bald auslaufenden Verträge seien 2005 abgeschlossen worden, seither habe sich die Branche massiv entwickelt, begründete Amag den Entscheid vor zwei Jahren. Die Digitalisierung und Elektrifizierung riefen nach neuen Prozessen und Kompetenzen im Vertriebsnetz. Zum Beispiel beim Datenschutz und bei der Elektromobilität. Weil damit sehr grosse Investitionen verbunden sind, ist das insbesondere für kleinere Partner eine hohe, oft zu hohe Hürde. Längst nicht alle Händler haben den Umwandlungsprozess überstanden.
Was das Geschäftsjahr 2019 betrifft, konnte die Amag einen Umsatz von 4.7 Milliarden Franken ausweisen, über elf Prozent mehr als im Vorjahr. Erwirtschaftet wurde das Ergebnis von über 6600 Angestellten. Von den Hausmarken VW, Škoda, Audi, Seat sowie von den Nutzfahrzeugen des VW-Konzerns konnten 99 140 Einheiten abgesetzt werden. «Mit 29.4 Prozent Marktanteil konnten unsere Marken wieder deutlich zulegen», stellt Konzernlenker Morten Hannesbo zufrieden fest.
Automobil Revue: Importeure bewegen sich im Sandwich zwischen Politik, Herstellern und Handel – und das auf einem sich extrem transformierenden Terrain hin von der klassischen zur digitalen Welt. Wie sieht das mit der Politik aus – kann man davon ausgehen, dass diese ihr Geschäft heute mehr beeinflusst als vor 20 Jahren?
Morten Hannesbo: Die Politik hat die Branche immer herausgefordert. In den 80er-Jahren kam das Katalysatorgesetz und hat viel auf den Kopf gestellt. Später kamen die Euro-Abgas-Normen. Das waren eher kleinere Veränderungen. Die neuen CO2-Ziele dagegen sind jetzt eine sehr einschneidende Veränderung. Der Schnitt von 130 g/km im Jahr 2019 auf 95 g/km in diesem Jahr ist zu hart.
Dieser Wert ist für Sie vorderhand unerreichbar?
In den nächsten zwei Jahren sicher, zumal die Phase-in-Phase, während der 85 Prozent der Fahrzeuge mit den tiefsten CO2-Emissionen gerechnet werden, wohl nur für 2020 gilt und nicht auch für 2021 und 2022. Insofern rechnen wir 2020 und 2021 mit Bussen im zweistelligen Millionenbereich. Ab 2023 sollten wir dann bussenfrei durchkommen.
2019 betrug die CO2-Lenkungsabgabe der Amag rund 30 Millionen Franken. Insgesamt spricht man von 80 bis 100 Millionen. Beteiligt sich der Hersteller an den Lenkungsabgaben?
Am Ende zahlt der Hersteller die Lenkungsabgabe, ja. Er bestimmt ja auch Preise, Volumen und den Markenverbund. Je mehr Hybrid- und E-Fahrzeuge er uns möglichst günstig liefert, umso tiefer fällt die Busse aus. Ich glaube jedoch nicht, dass eine solche Lenkungsabgabe wirkungsvoll für die Umwelt ist. Statt zu lenken, kassiert der Staat so jetzt von vielen Marken sehr viel Geld.
Wie wirkt sich die konsequente E-Konzernstrategie von VW hinsichtlich ihrer Zusammenarbeit mit dem Hersteller und dem Handel aus?
Der Kontakt zum Kunden findet nicht mehr nur über den Handel, sondern immer mehr auch vom Kunden zum Importeur und vom Kunden zum Hersteller statt. Damit tun sich etliche Händler natürlich schwer.
Was sagen Sie diesen Händlern?
Ich verweise jeweils auf das Smartphone und frage sie, ob sie es akzeptieren würden, wenn sie wegen jedes Updates zum Händler fahren müssten. Die Antwort ist: Nein! Autos werden zu rollenden Computern. Darum sollte deren Software wie beim Smartphone over the air kommen – und darum braucht es ein dichteres Netz zwischen Kunde, Händler, Hersteller und Importeur.
Gibt es weitere Vorteile dieser Vernetzung?
Interessant ist das auch für das Occasions- und Mietwagengeschäft. Bei Bedarf kann ich dazu konfigurieren, was gewünscht ist. Das macht das Geschäftsmodell für den Handel interessant.
Stichwort Handel: 2018 kündigten Sie alle Händlerverträge per 31. März 2020. Neu arbeiten Sie mit 13 regionalen Betriebsverbünden zusammen.
Wir haben das Händlernetz der neuen Welt angepasst. Die Branche wird sich verändern, den Handel benötigen wir aber noch lange. Dennoch sind die Händler gefordert, flexibler zu werden. Nur diese Händler werden eine Chance haben.
Nach der Auflösung der Händlerverträge gab es vermutlich viel Diskussionsbedarf. Wie muss man sich die Debatten vorstellen?
Wir haben versucht, jedem Händler eine Perspektive aufzuzeigen, sofern es eine gab. Jeder Händler sollte erkennen, wie und warum er wie viel investieren oder verändern muss, um künftig nachhaltig Geld verdienen zu können.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Wenn Händler X bisher zum Beispiel Audi und Škoda im Service und Handel hatte, sein Einzugsgebiet aber zu klein ist, um bei beiden Marken genug Durchgänge zu generieren, dann geht das in Zukunft nicht mehr. Also haben wir gesagt, er müsse sich für eine Marke entscheiden. Und bei dieser Entscheidung haben wir mitgeholfen. Der Handel von morgen sieht anders aus.
Salopp gesagt: Weg vom Gemischtwarenladen mit kleinem Angebot, hin zum Shoppingcenter?
Wir brauchen Händler, die investieren können und wollen, und die qualitativ erstklassig sind. Dafür braucht es eine gewisse Spezialisierung. Nehmen sie das Beispiel Arzt. Zu welchem Herzchirurgen würden Sie gehen? Zu dem, der jede Woche mehrmals am Herz operiert – oder zu dem, der alle zwei Jahre einmal einen Eingriff vornimmt? Unsere Modellpalette hat sich in den letzten zehn Jahren verdreifacht und wird immer komplexer. Dazu kommen künftig die Elektrofahrzeuge. Wenn man als Händler nicht eine gewisse Grösse hat, fehlt es an Kapital, Personal, Platz, Know-how und Ausrüstung. Darin liegt die Herausforderung für kleinere und mittlere Betriebe – nicht für die grossen.
Also eine Art Professionalisierung auf einer digitalisierten und elektrifizierten Ebene?
Ja. Wir haben für unsere eigenen Betriebe in Buchrain und Genf je rund 50 Millionen Franken investiert, um sie fit für den Markt und die Zukunft zu machen. Das ist in etwa das Preisschild für neue Autohäuser.
Als Importeur und Händler können Sie Ihr Händlernetz bis zu einem gewissen Grad nach Ihrem Gusto ausgestalten. Sie vergeben die Verträge und bestimmen die Auflagen. Das hat auch schon zu Ärger und 2014 zu einer Weko-Abklärung geführt. Die hat nach der Vorabklärung aber auf eine Untersuchung verzichtet.
Schauen Sie, die Entwicklung des Handels findet in den nächsten zehn Jahren auf drei Feldern statt. Die Neuwagenmarge wird sich um ein Drittel verringern, das Aftersales-Geschäft wird sich durch das Aufkommen wartungsärmerer E-Fahrzeuge und effektiverer Assistenzsysteme auch um ein Drittel reduzieren. Zudem fällt auch ein Drittel des Volumens gemessen am heutigen Neuwagenmarkt weg, weil neue Player aufs Parkett kommen, Stichwort Abo- und Sharingmodelle. Dem Händler, dem das bewusst wird, bleiben zwei Möglichkeiten: entweder aussteigen oder investieren.
Das kann im Einzelfall ziemlich brutal sein.
Wichtig ist, dass die Händler daran glauben und verstehen, dass man den Handel heute, morgen und übermorgen weiter braucht. Ich habe höchsten Respekt vor allen Händlern, die ihr Geld in den eigenen Betrieb stecken. Aber ein paar Millionen reichen nicht, um in Zukunft zu überleben. Wir sind selber Händler und beschäftigen rund 4000 Mitarbeiter in unseren 80 Retailbetrieben. Wenn wir Lösungen entwickeln, die falsch sind für den Handel, tun wir uns selbst weh. Meine Prognose ist, dass man als Händler oder Händlerverbund bis in zehn Jahren mindesten 100 Millionen Franken Umsatz pro Jahr machen muss.
Das ist für viele ein Mehrfaches des Bisherigen.
Genau. Das geht oft nicht mehr allein, sondern nur, wenn man konsolidiert und sich mit dem oder den Nachbarn zusammenschliesst.Vor allem die E-Mobilität generiert massive Investitionen punkto Ausrüstung, Logistik und Schulungen und so weiter.
Für viele Händler, die mit Benzin im Blut aufgewachsen sind, ist eine so krasse Veränderung, wie sie jetzt stattfindet, nicht einfach zu verdauen. Aus dem ursprünglich von Mechanik geprägten Auto wird ein Internet-Device.
Das ist in der Tat nicht immer einfach, aber ich hoffe, dass uns da unsere Händler vertrauen. Vor 30 Jahren war das Handy noch ein riesiger Klumpen, kostete 10 000 Franken und wog zehn Kilo – heute ist es ein Minicomputer. Es geht darum, wie wir uns aufstellen und wie schnell wir uns umstellen. Der Händler muss sich überlegen, was er in die Zukunft übernehmen soll.
Alternativen gibt es keine mehr – bei Ihnen erst recht nicht. Beim VW-Konzern müssen die ID 3, die Seat Mii, die Audi E-tron, die VW E-Golf und die Porsche Taycan jetzt auf die Strasse. Da wird nicht mehr lange gefackelt. Insofern geht es Ihnen als Importeur wohl ähnlich wie dem Handel. Nimmt der Druck von oben zu?
Ich halte den Druck des Herstellers auf uns wie von uns auf den Handel nicht für übertrieben. Der eine oder andere Händler wird das etwas anders sehen. Fakt ist, der Kunde erwartet kompetitive Eintauschpreise, er erwartet einen Topservice, eine schnelle Lieferung, eine Auswahl an Fahrzeugen, eine schnelle Reparatur. Er erwartet Service-, Finanzierungs- und Versicherungsangebote. All das muss ein Händler heute anbieten können. Es geht nicht mehr, dass die Vertriebskosten beim Autoverkauf 30 Prozent ausmachen. Dazu kommen in Zukunft weitere Approaches hinzu, Stichwort Abo- und Sharingmodelle, Direktvertrieb mit Restwertversicherung und so weiter. Das alles kundengerecht anzubieten, braucht Liquidität, Infrastruktur, ausreichend geschultes Personal – das geht für den kleinen Garagisten einfach nicht mehr.
Also ist die Zeit der idyllischen Familiengarage mit kleinem Neuwagengeschäft vorbei?
Die Guten werden noch lange überleben und sich vielleicht irgendwann auf einzelne Typen von Fahrzeugen spezialisieren. Mit unserem Stop-and-go-Konzept bieten wir ja kleineren Garagen als Ergänzung der Markenvertretungen die Möglichkeit, ältere Fahrzeuge der Marken VW, Audi, Škoda und Seat zu warten und zu reparieren.
Im Moment liegt der Marktanteil von Steckerfahrzeugen bei den Neuzulassungen bei gut fünf Prozent. Wann poppt das Popcorn – wann kommt der Durchbruch?
Durchbruch heisst für mich 15 Prozent Steckerfahrzeuge. Das schaffen wir vielleicht 2021. 2020 könnten wir die Zehn-Prozent-Marke erreichen. 2025 sind ein Viertel Steckerfahrzeuge realistisch.
Die Schweiz ist ein Land von Mietern. Viele können keine Wallbox in der Tiefgarage oder am Strassenrand installieren.
Das ist die vielleicht grösste Hürde vor dem Durchbruch. Es werden noch viele neue Mehrfamilienhäuser ohne Ladestationen gebaut. Oder dann ist man nicht bereit, eine relativ kleine Investition zu tätigen – in Fall meines Vermieters sind das zirka 8000 Franken. Solange wir das nicht lösen, bleiben E-Autos noch etwas Besonderes, auch wenn die Preise sinken und die Reichweiten steigen. Was fehlt, sind ein dichteres Ladenetz und eine transparente Preisstruktur. Aber wir sind auf Kurs.
Stichwort Förderprämien für E-Fahrzeuge: Sie sagten einmal, dass Ihnen eine Abwrackprämie lieber wäre als eine Neuwagenprämie?
Grundsätzlich mag ich keine staatliche Förderung. Eine Abwrackprämie erfüllt aus meiner Sicht in punkto Umweltschutz das Ziel besser. Wenn die alten Fahrzeuge verschrottet werden, kommen sie von der Strasse weg – das bewirkt einen grossen Schritt in die richtige Richtung. Neuwagen zu fördern, finde ich nicht ideal. Man kauft das Auto einfach früher – und die alten sind immer noch da.
Nochmal zurück zum Handel sprich Onlinehandel. Liegt hier nicht ein Widerspruch? Gerade wenn sich die Autowelt so krass verändert, besteht doch ein erhöhter Bedarf an Beratung?
Der Entscheid, sich ein Auto zu kaufen, ist und bleibt ein grosser Entscheid, der mit hohen Kosten verbunden ist. Viele werden das weiterhin in gewohnter Form tun und brauchen entsprechend Beratung. Der Anspruch an den Verkauf nimmt hier sogar zu, weil sich heute viele Kunden schon sehr gut im Internet informiert haben, bevor sie in den Laden kommen. Viele aber, die zwei Autos haben, werden im Sommer künftig online ein Cabrio ordern oder einen Multivan mieten. So etwas ist im Abo viel günstiger, aktueller und einfacher.
Wer bietet diesen Service, der Handel oder Sie?
Sowohl als auch. Wir brauchen immer Lösungen, die den Handel einbinden. Ich will ja, dass unsere Händler Geld verdienen. Darum entwickelt die Amag ihr Händlernetz sehr konsequent.