Das Monstrum aus Michigan

BIG BOY In den USA gehören grosse Pick-ups wie der Ram 1500 zu den Bestsellern. Funktioniert das 6-Meter-Konzept auch im kleinräumigeren Europa?

Um etwas gleich vorwegzunehmen: Der Ram 1500 ist vor allem eines – amerikanisch. Er ist gross (knapp unter 6 m), schwer (mind. 2.6 t), unsportlich, durstig, Sie verstehen, was wir meinen. Wer also hier in Europa so ein Teil kauft, weist entweder zumindest leicht masochistische Züge auf – oder hat einen klaren Verwendungszeck dafür, der vorzugsweise nicht in der Stadt liegt.

In den USA zählt der Ram 1500 zu den Full-Size-Pick-up-Trucks, also der grossen der beiden alltagstauglichen Pick-up-Klassen – darüber geht es dann zu den richtig massigen Nutzfahrzeugen. Darunter liegen die Mid-Size-Trucks wie ein Ford Ranger oder ein VW Amarok, die bei uns die gros­se Mehrheit der Pick-ups aumachen. In den USA hingegen dominieren die Full-Size seit Jahrzehnten die Verkaufsranglisten und entsprechen in der Wahrnehmung der Amerikaner in etwa dem, was bei uns Golf und Megane sind.

Luxuriöses Reisegefährt
Wie bei Pick-up-Trucks üblich kann der Ram 1500 mit verschiedenen Kabinen-Pritsche-Konfigura­tionen geordert werden, zur Auswahl stehen die kleine Quad-Cab mit der langen 192-Zentimeter-Ladefläche und die geräumigere Crew-Cab, wahlweise mit 170- oder 192-Zentimeter-Ladefläche. Unser Testwagen ist mit der grossen Kabine und der kleinen Pritsche ausgestattet und kommt in der edlen Ausstattungsvariante Laramie, die mit den Chromeinlagen am Kühlergrill, sauber verarbeitetem Lederinterieur sowie einem Panoramadach über die ganzen Kabinenlänge klarmacht, dass er kein Baustellen- und Bauernhoffahrzeug ist, sondern eher in Richtung gepflegte Oberklasse drängt.

Der günstige Basispreis trägt in den USA massgeblich zum Verkaufserfolg des Ram bei. Bereits ab rund 32 000 Dollar gibt es die spartanisch ausgestattete Handwerkervariante – mit Hinterradantrieb und 3.6-Liter-Pentastar. Unser Testwagen setzt mehr auf amerikanische Muskeln. Der 5.7-Liter-Hemi-V8 mit 400 PS und 552 Nm bewegt das Monstrum in rund sieben Sekunden auf Tempo 100. Solange es geradeaus geht, fühlt sich dies erst einmal grossartig an, sobald aber die Kurven kommen, braucht es etwas mehr Finger- und Fussspitzengefühl. Auf Wunsch lässt sich das gesamte Motormoment über die Achtgangautomatik von ZF an die Hinterachse leiten, sodass der Kreuzer mit feinfühlig forcierten Gasstössen auch schon mal quer gefahren werden kann.

Am Ram ist alles riesig – Ladefläche, Beinfreiheit, das Zwölf-Zoll-Tablet. Praktisch ist der Handyhalter auf dem Armaturenbrett (M. r.) – und auch dringend nötig, denn das Ram-Navi funktioniert mehr schlecht als recht.

Ansonsten dominiert aber das typische, entkoppelte Body-on-Frame-Feeling, das nicht primär der Kurvendynamik zugutekommt. Anders sieht es beim Cruisen aus. Auf grossen – und vor allem geraden – Strassen schlucken das massive Chassis, Luftfahrwerk und die monströsen 285/45R22-Reifen Unebenheiten anstandslos, und Motorgeräusche und -vibrationen werden auch nur minimal übertragen. Die komfortablen, beheizten und belüfteten Ledersitze und das wohnliche Interieur machen den Ram zum perfekten Gefährt für lange Reisen. Im Fond sind die Sitze zwar nicht ganz so luxuriös, aber die riesige Beinfreiheit macht auch da lange Fahrten zum Genuss.

Wer sich zudem mit dem Gasfuss in Zurückhaltung übt, bekommt auch den Verbrauch auf ein erträgliches Level. Dank Zylinderabschaltung wird der V8 beim entspannten Dahingleiten kaum merklich zum Reihenvierzylinder, erst bei erhöhter Leistungsanforderung wird die zweite Bank wieder reaktiviert. Ausserdem duckt sich der Ram ab 100 km/h um rund zwölf Millimeter, um die Frontfläche zu verkleinern, die Aerodynamik zu verbessern und den Verbrauch um ein Quäntchen zu senken. Der Ram 1500 wurde erst kürzlich vom amerikanischen «Green Car Magazine» zum Green Truck of the Year gewählt. Zwar nicht mit dem Hemi-Kraftprotz unter der Haube, sondern wegen des vorbildlichen Dieselaggregats und des sparsamen Pentastar mit Mildhybrid – aber immerhin.

Rund zwölf Liter schluckt der Ram auf unserer Normrunde, knapp vierzehn sind es im Schnitt über die gesamte Testdauer. Die fehlende Stopp-Start-Automatik drückt im Stadtverkehr den Verbrauch nach oben.

Übermass – innen wie aussen
Allerdings ist die Stadt sowieso nicht eben der Freund dieses Amis. Zu gross, zu breit, zu unübersichtlich ist er, es fällt schwer, im Stadtverkehr einen ruhigen Puls zu bewahren. Es braucht einiges an Aufmerksamkeit, um keine Velofahrer, Kleinwagen oder sonstige Hindernisse zu übersehen, die dummerweise eventuell noch in der Nähe herumstehen. Auch Parkhäuser sind für das Monstrum aus Michigan feindliches Terrain. Mit rund sechs Metern Gesamtlänge – plus Anhängerkupplung – überragt er so manchen Stadtparkplatz um einen halben Kleinwagen.

Ein so grosses Auto bietet natürlich auch einiges an Stauraum. Alleine die Mittelkonsole bietet mit 151 Litern mehr Ladevolumen als ein Porsche 911 in seinem Kofferraum! Dazu kommen Handschuhfächer, weitere Stauräume in Türen und auf dem Armaturenbrett sowie diverse Getränkehalter – ganze vier liegen in Reichweite des Fahrers. Schade, dass die Interieur-Entwickler gerade bei Letzteren auf Übergrössen verzichtet haben – eine 1.5-Liter-Flasche passt in keinen der Becherhalter.

Für noch mehr gut zugänglichen, wetterfesten Stauraum können optional die Ram-Boxen geordert werden, die in den Seitenwänden der Ladefläche eingelassen sind – jagdbegeisterte Amis versorgen dort gerne ihre Flinten. Egal, ob zum Jagen, Angeln oder einfach zum Spass, wer mit dem Ram in die Pampa möchte, sollte damit keine Probleme haben. Dank 4×4 und manuellen Axle-Locks kommt er auch mit losem Untergrund problemlos zurecht, und das Luftfahrwerk lässt sich bei Langsamfahrt in die Offroad-2-Stellung bringen, die 278 Millimeter Bodenfreiheit ermöglicht.

Wer die Ladefläche öfter zu gebrauchen gedenkt, dem sei das Split Tailgate empfohlen, mit dem sich die Heckklappe sowohl herunterklappen wie geteilt zur Seite öffnen lässt.

Schwache Assistenten
Und dann war da noch Uconnect. Daran, dass das Infotainmentsystem von FCA, genauso wie die Fahrassistenten, nicht gerade zu den Klassenbesten gehört, hat man sich langsam gewöhnt. Mit dem riesigen Zwölf-Zoll-Tablet im Hochformat scheint das System aber noch einen Zacken schlechter klarzukommen. Zu unlogisch ist die Menüführung, das Navi quittiert des öfteren komplett den Dienst. Gleiches gilt für den theoretisch aktiven Spurassistenten oder den Parkassistenten, die sich beide derart passiv verhalten, dass man sich die Kreuze an diesen Positionen auf der Optionenliste getrost sparen kann. 

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