Den Skandinaviern ist es wohl von Natur aus gegeben, wenn man bedenkt, wie viele Schneespezialisten aus dieser Region stammen. Das Fahren auf schneebedeckten Strassen kommt mehr als jeder anderen Fähigkeit am ehesten dem Seiltanzen nahe, denn der Untergrund wartet mit unzähligen Überraschungen auf. Anlässlich des FCA-Snow-Drive-Events auf der verschneiten Piste in Samedan GR haben wir zwar nicht den Ehrgeiz, die Exzellenz eines Stig Blomqvist oder Ari Vatanen zu erreichen. Aber: Wir wollen unsere Technik beim zügigen Fahren auf Schnee verbessern. Dazu geben uns die Trainer des Driving-Centers in Samedan wertvolle Tipps, wie man die Alfa Romeo Giulia und Stelvio Jahrgang 2020 um die Kegel tanzen lässt, die sie auf dem verschneiten Teil des Flugplatzes aufgestellt haben. Und dann ist da noch Arturo Merzario, der legendäre, unterdessen 77-jährige ehemaligen Alfa- und Ferrari-Pilot, der einst Niki Lauda das Leben gerettet hat.
Schnelle, aber nicht heftige Bewegungen
In den ersten Runden nehmen wir im Fond eines Stelvio Platz, während ein Kollege am Lenkrad dreht. Merzario überwacht das Ganze vom Beifahrersitz aus. Der Trainer gibt uns per Walkie-Talkie grünes Licht, und wir starten in den frisch gewalzten Schnee. «Jetzt ist es noch einfach, weil die Oberfläche eben ist», warnt Merzario, der wie immer seinen weissen Stetson trägt. «Aber in zwei Stunden wird der Belag voller Löcher sein. Dann wird es viel schwieriger sein, die Kontrolle über den Wagen zu behalten.» Der Kollege beginnt mit dem Lenkrad zu jonglieren, schlägt weit nach links und rechts ein, um die Bewegungen des Mailänder SUV unter Kontrolle zu bekommen. «Du machst zu grosse Lenkbewegungen! Du fährst doch kein Motorrad, bei dem du das Gerät von links nach rechts werfen musst», korrigiert Merzario mit seiner erfrischenden Direktheit. «Das Geheimnis ist, schnelle, aber keine heftigen Lenkbewegungen zu machen. Sonst bringt man den Wagen auf diesem Untergrund zu sehr aus der Bahn, stellt ihn quer und riskiert, dass sich die Pendelbewegung aufschaukelt.» Stattdessen sollte man wie folgt vorgehen: Bremsen zum Entlasten der Hinterräder und Belasten der Vorderräder, am Lenkrad drehen – nicht heftig, wie wir gelernt haben – und wieder beschleunigen, sobald das Auto in die richtige Richtung zeigt.
Die Mahnung der Stoppuhr
Nun sind wir an der Reihe. Vor uns driftet ein anderer Stelvio in weiten Winkeln um die Kegel herum. «Wow, der weiss, wie es geht», staunen wir. «Nein, weiss er nicht! Das sieht spektakulär aus, ist aber nicht schnell!», korrigiert Meister Merzario. «Wenn du so fährst, sagt die Stoppuhr nur: Du Depp!»
Wir sind zwar nicht hier, um auf Zeit zu fahren, aber wir wollen unsere Fahrtechnik auf Schnee doch verbessern – und Spass haben. Bei diesem Spiel enttäuschen die beiden Italiener dank ihres sehr ausgewogenen Fahrverhaltens nicht, das Ergebnis ihrer idealen 50:50-Gewichtsverteilung. Leider sind sie ebenso frustrierend, weil sie über eine nicht abschaltbare Spursteuerung verfügen, die das Gas zurücknimmt, sobald die Steuergeräte einen Verlust der Bodenhaftung bemerken. «Man darf nicht so stark beschleunigen, wenn man die Räder schon eingedreht hat», erinnert mich mein Exklusivtrainer und drängt mich, immer näher an die Kegel heranzugehen. «Schneide die Kurve! Sei weniger heftig mit dem Lenkrad, noch weniger heftig, Sch…!» Nach und nach zeigt die Lektion von Arturo Merzario Wirkung, die Abfolge von Bremsen, Lenken, Beschleunigen hat den richtigen Rhythmus – und der Alfa fädelt sich mit sanften Schwüngen durch den Parcours.
Die abschliessende Demonstration
Merzario kann nicht widerstehen, uns selbst eine Demonstration zu geben. Mit einer Hand, wie ein Pianist, gibt er die Impulse millimetergenau ans Lenkrad weiter. Die Giulia Veloce – wir haben unterdessen das Gefährt gewechselt – gehorcht ihm aufs Wort, als würden sie sich seit ewigen Zeiten kennen. «Ich fahre das Auto, nicht umgekehrt», donnert er, um schliesslich ein zufriedenes Lächeln auf das von den Jahren gezeichnete Gesicht zu zaubern. «An dem Tag, an dem ich keinen Spass mehr am Autofahren habe, höre ich auf», schickt er hinterher. Wir wünschen ihm, dass er hoffentlich noch lange Spass daran hat – und wir mit und auch an ihm!