Würde Captain America ein Motorrad fahren, um die Welt zu retten, etwa zum Zwecke der CO2-Einsparung, würde er es wohl auf der Harley-Davidson Live Wire tun. Sie sieht gerade genug futuristisch aus und erinnert doch an einen traditionellen Töff, sodass sie genau auf ihn zugeschnitten scheint. Ich bin aber weder Captain America noch fuhr ich je eine Harley, und dem rein Elektrischen stehe ich noch immer kritisch gegenüber. Glaube ich. Geradezu historisch in meiner Motorradkarriere war deshalb die Chance, genau das zu tun: ein elektrisches Motorrad zu fahren – und dann noch eine Harley-Davidson.
Fühle den Herzschlag!
Die Einweisung war kurz. «Mit diesem Knopf startest du sie, du wirst dann ein Pulsieren fühlen, etwa wie ein Herzschlag. Dann läuft sie. Hier kannst du die sieben Fahrmodi einstellen. Wundere dich nicht, wenn du am Anfang noch instinktiv den Kupplungshebel ziehen und mit dem Fuss den Gang einlegen willst. Beides ist unnötig, da nicht vorhanden. Wichtig: Bleib im Fahrmodus Rain, die Strasse ist novemberkalt und im Wald manchmal feucht und schmutzig. Ausserdem beschleunigt sie schon im Normal-Modus radikal. Und von wegen Range anxiety: Für die zweistündige Testfahrt reicht der Strom locker», erklärte Nick, der englische Harley-Davidson-Spezialist. Das wars.
Ich startete die schwarze Live Wire, und es tat sich – nichts. Kein Herzschlag. Kein Summen. Nur ein paar Zahlen, die über den Farbtouchscreen flimmerten. «Oh, die braucht wohl einen Service, der ist nach 1650 Kilometern nötig.» Nicht eben vertrauenerweckend. Ich bekam eine neue Maschine in Orange. Schaltete sie ein, wieder flimmerten Zahlen, aber diesmal lief sie, wie ich bemerkte, als ich sachte am Hahn drehte. Und meinen heftigen Herzschlag spürte. Oder den der Maschine? Sofort rollte sie los. Ohne Harley-Gebrüll. Ohne unterleibserschütternde Vibrationen. Das Wort Bobber kann man aus dem Motorradfahrervokabular ersatzlos streichen. Dank der Live Wire.
Auf der Strasse aus Barcelona hinaus war noch Vorsicht geboten, zu viel Verkehr, die Bedienroutine und das Gefühl zwischen den Schenkeln für das elektrische, 249 Kilogramm schwere Monster mit umgerechnet 106 PS fehlten noch. Eines war schnell klar: Es ging ab wie Nachbars Lumpi. Nur leiser. Wir waren eine Gruppe aus fünf E-Harley-Testern. Aber – niemand bemerkte uns! Keiner guckte. Weil keiner uns hörte. Harley-Fahrer fahren doch auch Harley, weil sie gehört werden wollen? Wenn dem so ist, wird sich das jetzt radikal ändern, dachte ich. Und düste hinter den anderen her. Wir hatten einen Guide, der im Gegensatz zu mir mit seiner E-Harley verwachsen schien. Später sollte er sagen: «Ich fahre jetzt 40 Jahre Motorrad, aber das ist das Beste, was ich je unter dem Hintern hatte.» Wers glaubt.
Wir erreichten eine Landstrasse in den Hügeln nördlich von Barcelona. Nun gab es kein Halten mehr. Das Düsen mutierte zu einer Art Zischen, und wir zischten um gefühlt 1000 Ecken. Das stille, rasche Entwickeln schieren Vorwärtsdrangs begann uns zu faszinieren. Wir legten, ja schmiegten uns in die Kurven, vertrauten Fahrwerk und Reifen. Na ja, mir war das Geläuf etwas zu hart eingestellt. Kurvenräubern in einer neuen Dimension? Das Beschleunigungsverhalten war anders, der Bremspunkt immer später, das Überholen blitzschnell. Man hatte keine Zeitverluste durch Schalten und Kuppeln. Nach eineinhalb Stunden Kurventanz und Fotoshooting ging es zurück zum Ausgangspunkt – über die Stadtautobahn. In der City zeigte die Live Wire weitere Stärken: Sie ist schmal, und sie ist blitzschnell. Fahren wie ein Einheimischer, sich durch den Abendverkehr schlängeln: Es machte Laune, auch wenn das Risiko auf dem Soziussitz mitfuhr. Ständig musste man sich zur Vernunft rufen.
Die Live Wire – eine faszinierende Erfahrung. Auch von Reichweiten-Angst keine Spur. Zu meinem Erstaunen befand ich mich plötzlich in Gefahr, Fan eines Elektromotorrades zu werden. Allerdings ohne auf das andere, konventionelle verzichten zu wollen. Auf ein Selfie, das ich nach Hause schickte, erhielt ich die Antwort: «Du siehst glücklich aus!» Oha.
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