Automobil Revue: Frank Rinderknecht, Sie waren vergangene Woche an der CES in Las Vegas. Was war ihr persönliches Highlight?
Frank Rinderknecht: Aufgrund des grossen Besucherstroms an unserem Stand, wo wir mit dem Metro Snap unser neues Konzeptfahrzeug vorstellten, fand ich kaum Zeit für einen Rundgang.
Es ist beinahe Tradition, dass Rinspeed auf der CES ein neues Konzept zeigt. Mit dem Metro Snap halten Sie aber nun seit mehreren Jahren an ein und demselben Konzept fest.
Snap steht für uns als Überbegriff eines modularen Fahrzeuges. Bei diesem können der Aufbau – die Pods – und das Chassis – das Skateboard– frei zusammengestellt werden, damit unterschiedliche Einsatzgebiete abgedeckt werden können. Mittlerweile hat das von uns erstmals gezeigte Konzept industrieweit grossen Anklang und auch Nachahmer gefunden.
Die Idee startete 2017 mit dem Oasis, einem vollautonomen Kleinwagen mit eingebautem Garten. Inwiefern müssen wir unsere Beziehung zum Auto und dessen Nutzung überdenken?
Aus meiner Sicht macht ein vollautomatisiertes Fahrzeug im Privatgebrauch und -besitz nur sehr beschränkt Sinn. Die Kosten sind hoch, und die Lebensdauer wird, bedingt durch die Fülle an Elektronik, auch nur beschränkt sein.
Kommt hinzu, dass es noch grosse rechtliche Fragezeichen gibt – Stichwort Schuldfrage.
Das ist ein grosser Katalog von komplexen, aber lösbaren Fragen. Rom wurde auch nicht an einem Tag gebaut. Trotzdem war und ist die ganze Entwicklung der Snap-Serie ein konstanter Lernprozess. Wir kennen heute nach drei Jahren die Schlaglöcher. Das ist ein Grund, weshalb wird unseren Kurs auch angepasst haben. Wir werden zuerst mit Level 2 sprich menschengesteuert an den Start gehen. Die Verbreitung von Level 5, also das vollautonome Fahren, wird noch einige Jahre benötigen, vielleicht auch länger, als es in der Euphoriephase einst angedacht wurde. Aber sie kommt und wird auch viele andere Verkehrsträger und Industrien erfassen. Da bin ich mir sicher.
Eine weitere Schwierigkeit ist, dass sich autonome Fahrzeuge und vom Menschen gesteuerte Autos auf der Strasse begegnen werden.
Eines der grossen Themen im Verkehr ist die Vision Zero, also das Ziel der Verhinderung von Unfällen und Emissionen. Aber gut Ding will Weile haben, die Maschinen müssen erst die notwendige Serienreife in der Auswertung der Sensor-Informationen erreichen – ähnlich wie ein Gehirntraining beim Menschen also.
Trotzdem stellt Hyundai Pläne von fliegenden Taxis vor und will Toyota gleich eine ganze digitale Stadt bauen. Ist das derzeit alles nur Science-Fiction?
Fiegende Taxis werden sich im Liniendienst sicher etablieren. An deren Streubesitz glaube ich nicht. Die digitale Stadt wiederum könnte schon bald Wirklichkeit sein. Man denke nur an die vielen neuen chinesischen Millionenstädte, welche jährlich aus dem Boden gestampft werden.
Solch futuristische Ideen sind an der CES allgegenwärtig, von kompostierbaren Akkus bis Solarzellen auf dem Dach. All das scheint noch Jahre vom kommerziellen Erfolg entfernt. Trotzdem: Wie wichtig sind solche Denkanstösse für die weitere Entwicklung?
Die CES ist eine Bühne und ein Marktplatz, wo sich reale und kühne Ideen vereinen. Der Freigeist ist ausserordentlich, er regt Ideen und Inspirationen an, die ohne ihn nicht geboren werden können. Träumen ist durchaus erlaubt.
In den vergangenen Jahren wurden an der CES vermehrt Autoprototypen vorgestellt. Gemessen daran löst die CES die traditionellen Automessen in der Bedeutung langsam, aber sicher ab.
Die Aufteilung der Wichtigkeit der Komponenten verschiebt sich immer mehr in Richtung IT. Und da ist die CES sicher eine der wichtigsten – wenn nicht die wichtigste – Messe der Welt. Das bislang bekannte Automessenkonzept hat mehrheitlich ausgedient. Aber diese Wandlung war vorhersehbar.
Was bedeutet es, wenn beispielsweise der Unterhaltungselektronik-Riese Sony aus dem Nichts ein Auto vorstellt?
Nun, vorerst war das eine recht geschickte Marketingübung. Die tatsächlichen Chancen für eine Serienproduktion sind aus meiner Sicht verschwindend klein.
Mercedes stellte mit dem Vision AVTR ein weiteres Konzeptauto vor. Erst vor Kurzem zeigte Mercedes an der IAA den Vision EQS. Was ist die Bedeutung solcher Konzepte? Ist es vielleicht auch nur eine geschickte Massnahme, um von den eigenen Problemen abzulenken?
Mercedes weiss sich zwar sehr professionell in Szene zu setzten, was der AVTR aber soll, ist mir selbst während dessen Präsentation nicht klar geworden. Und schon gar nicht, was die vielen lustigen Klappen auf dem Heck sollen.
Das Auto ist nach wie vor ein enormes Statussymbol. Daran klammern sich traditionelle Hersteller trotz neuer Ideen. Wann und weshalb wird ein Umdenken – auch in der Bevölkerung – stattfinden?
Statussymbole sind wie Mode, viele von ihnen kommen und gehen. Ich sehe neue Marken als Status der geteilten Mobilität Einzug halten. Man muss hier über den Tellerrand hinausschauen und das heute vielleicht Unmögliche auch in Betracht ziehen.
Zwei Themen haben beinahe alle Projekte gemein: Es geht einerseits um das autonome Fahren, andererseits um die Nachhaltigkeit. Alles dreht sich um batterieelektrische Mobilitätslösungen, auch Rinspeed vertraut darauf. Ist das der endgültige Weg?
Elektromobilität ist kein Hype, sie ist und wird Realität. Für mich steht sie für Erneuerbarkeit. Das ist das Schlüsselwort.
Braucht die Elektromobilität ein Konzept wie jenes des Snap, wodurch die Fahrzeuge variabel einsetzbar und beispielsweise längere Ladestopps verhindert werden können? Ist ein solches Baukastenkonzept nötig, damit die Elektromobilität wirklich nachhaltig wird? Zumindest stellen die immer grösser werdenden Batterien eine grosse Belastung der Ökobilanz dar.
Der Trend zu einem Skateboard (siehe Anfang – Red.) ist in der Industrie weit verbreitet. Ob nun die Aufbauten gewechselt werden oder nicht, ist eine Philosophiefrage. Bei Elektrofahrzeugen will man das Gewicht der Batterien möglich gut verteilen.
Fest steht, dass das Automobil und die Technologie rasant verschmelzen. Trotzdem hat die Automobilindustrie eine lange Tradition. Wo können Tech-Nerds vom traditionellen Weg lernen? Und gibt es Punkte, in denen der technische Fortschritt ein Rückschritt sein kann?
Traditon ist per se nichts Schlechtes. Aber Stillstand schon. Um den Anschluss nicht zu verpassen, braucht es Agilität und Visionen. Wer diese nicht hat, wird früher oder später aus dem Markt gedrängt.
Wo haben die traditionellen Hersteller Nachholbedarf?
Die Hersteller kommen mit einem umfangreichen und schweren Rucksack der Vergangenheit daher. Diesen umzupacken ist für grosse Unternehmen äusserst schwierig. Zudem gibt es überall und zahlreich Menschen, die sich Veränderungen und damit der Zukunft in den Weg stellen.
Sie wiederum sagten kürzlich, dass mit dem Metro Snap der entscheidende Schritt in Richtung Serie getan ist. Was muss alles noch passieren?
Wenn ich die Level-5-Technologie ausklammere, dann braucht es für den Metro Snap nur noch die notwendige Umsetzung. Und diese sollten wir im Griff haben.
Sind die Begebenheiten – Mensch und Infrastruktur – denn überhaupt schon gegeben, um ein solches Konzept in naher Zukunft zum Erfolg zu bringen?
Ja, selbstverständlich. Aber eben: Noch nicht mit Level 5, aber da gibt es ganz andere und sehr spannende Lösungen.
Wen sehen Sie als ersten Abnehmer des Metro Snap? Und wo das erste Einsatzgebiet?
Der nächste Schritt des Snap-Konzeptes wird sich erst und für eine ganze Weile klar der Supply-Chain sprich den Lieferdiensten zuwenden.
Es ist Tradition, dass Rinspeed jährlich ein neues Konzeptfahrzeug präsentiert. Sehen wir im kommenden Jahr nun kein Konzeptfahrzeug mehr, dafür aber ein serienreifes Produkt?
Lassen Sie sich überraschen. Unsere Lernkurve war und ist noch immer sehr steil.
Auf dem Weg in die digitale Zukunft
Traditionelle Automessen sind out. Die CES ist in. Jeder will Teil der grössten Technologie-Party der Welt sein. Mehr als 4500 Aussteller präsentierten an der Consumer Electronics Show mehr oder weniger obstruse Ideen auf dem Weg in die digitale Zukunft. Das Automobil hat dabei einen so hohen Stellenwert, dass gar Elektronik-Riese Sony mit einem Konzeptauto überraschte (AR 1-2/2020).
Schon länger arbeitet der einstige Aston-Martin-Chefdesigner Henrik Fisker an einem eigenen E-Auto. Der Ocean ist ein SUV mit Solarzellen im Dach und einem Innenraum aus Recycling-Materialien. Für einen Preis von nur 37 500 Dollar sollen ab 2022 1600 sonnenangetriebene Zusatzkilometer pro Jahr möglich sein.
Noch mehr verspricht die niederländische Firma Lightyear bei ihrem One, der bereits dieses Jahr in Produktion gehen soll. Ebenfalls mit Solarzellen auf dem Dach soll die Reichweite durch Sonnenkraft pro Stunde um zwölf Kilometer erweitert werden. In Verbindung mit dem angebenen Stromverbrauch von nur 83 Wh/km soll eine Akkuladung für eine Reichweite von 725 Kilometer reichen.
Derweil fuhr Daimler-Chef Ola Källenius zu seiner CES-Eröffnungsrede im Vision AVTR vor. Das Auto wurde gemeinsam mit Disney entwickelt und vom Hollywood-Blockbuster «Avatar» inspiriert. Es sei ein Ausblick auf die Verbindung zwischen Maschine, Mensch und Natur.
Noch eine Spur grösser denkt Toyota, wo man gleich eine digitale Stadt bauen will, um Technologien wie das autonome Fahren in realen Umgebungen zu testen. Ein Grossteil der Infrastruktur – zum Beispiel Brennstoffzellen-Anlagen – soll unter die Erde verlegt werden. Eine zentrale Rolle spielt ein autonomes Auto namens E-Palette, das zum Transport von Menschen, aber auch als mobiles Geschäfte oder Büro eingesetzt werden kann.
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Hyundai, wobei die Langstrecke in Zukunft mit Lufttaxis absolviert werden soll. Ähnliche Pläne hegt das Dienstleistungsunternehmen Uber schon seit mehreren Jahren. Der kommerzielle Start in ersten Städten wird für 2023 angepeilt.
Der M-Byte von Byton ist dagegen beinahe langweilig – auch, weil er umfassend bekannt ist (AR 38/2019). Die Studie AI:ME von Audi wurde vergangenen April in Shanghai ebenfalls schon gezeigt (AR 16/2019). Im futuristischen Umfeld der CES erscheinen beide bereits wieder veraltet.