Bernhard Maier, CEO von Škoda, spricht über den Erfolg der Marke in der Schweiz, Megatrends und ihre Folgen und seinen Job.
Interview: Michael Schenk
Automobil Revue: Bernhard Maier, Sie sagten einmal, wenn es dem Esel zu wohl werde, gehe er aufs Eis tanzen. Die Autowelt bewegt sich derzeit rasend schnell, nichts von tanzen. Mögen sie hohe Drehmomente?
Bernhard Maier: Wir lieben es, Herausforderungen anzunehmen und mutig und leidenschaftlich mit Neuem umzugehen. Das ist seit 124 Jahren unser Leitmotiv, und dem bleiben wir auch in Zukunft treu. Und ja, ich mag hohe Drehmomente.
Der Octavia ist seit Jahren die Nummer 1 in der Schweiz – wieso?
Unsere Werte passen sehr gut zu denen der Schweizer. Wir stehen für Cleverness, Bodenständigkeit, hohen Zuverlässigkeit und hohen Werterhalt. Wir stehen auch für Überraschungen und Lösungen, die Sie nicht unbedingt im Auto erwarten – den herausnehmbaren Regenschirm in der Tür, intelligente Gepäckaufbewahrungsmöglichkeiten oder den Eiskratzer im Tankdeckel.
Darum haben Sie in der Schweiz eine der höchsten Kundenloyalitäten?
Nicht nur deshalb! Unsere Produkte haben eines gemeinsam: Sie stehen – Škodatypisch – für sma-tes Understatement: für ein überlegenes Raumangebot, für ein Höchstmass an Funktionalität, für ein überzeugendes Preis-Wert-Verhältnis und für ein klares, charaktervolles Design.
Können Sie Ihre führende Rolle auch unter Strom verteidigen?
Wir befinden uns in der grössten Transformations-phase, welche die Automobilbranche je zu stemmen hatte. Die Zukunft ist elektrisch, aber der Wandel findet nicht über Nacht statt. Wir gehen davon aus, dass wir 2025 einen Elektroanteil von 25 Prozent haben. In anderen Worten: 75 Prozent unserer Fahrzeuge sind dann immer noch mit einem topmodernen Verbrennungsmotor ausgestattet.
Können Sie sich das leisten?
Wir leisten es uns, unseren Kunden gut zuzuhören, um ihnen das Passende anzubieten. Wir sind über-zeugt, dass der Superb iV, unser erster Plug-in-Hybrid, und der Citigo E iV, unser erstes reines E-Auto, genau zur richtigen Zeit kommen.
Warum ist es der genau richtige Zeitpunkt? Weil wir nun wesentliche Anforderungen der Kun-den erfüllen: höhere Reichweiten, kürzere Ladezeiten und – für uns besonders wichtig – erreichbare Preise. Unser vollelektrischer Citigo E iV hat eine alltagstaugliche Reichweite von 260 Kilometern.
Škoda hat also noch einiges im Köcher?
Wir elektrifizieren Schritt für Schritt unser gesamtes Modellportfolio. Nächstes Jahr startet die Serienproduktion unseres ersten grossen E-Modells. Bis Ende 2022 haben wir bereits zehn teil- beziehungsweise vollelektrische Modelle im Programm. Sie sind Teil der grössten Produkteoffensive der Unternehmensgeschichte. Zwischen 2019 und 2022 bringen wir 30 neue Modelle auf den Markt.
Sie haben Digitalisierung, Globalisierung, demografischen Wandel und Nachhaltigkeit als die Megatrends der Gegenwart bezeichnet. Gibt es da punkto Priorität eine Reihenfolge?
Es gilt, alle in gleichem Masse zu berücksichtigen, weil sie sich gegenseitig beeinflussen. Aus meiner Sicht ist jedoch der demografische Wandel der Nachhaltigste. Er ist der am wenigsten unmittelbar sichtbare Megatrend und doch der schlagkräftigste, weil er auf der Welt in sehr unterschiedlicher Geschwindigkeit stattfindet – mit Auswirkungen auf geopolitische Fragestellungen, den jeweiligen nationalen sozialen Frieden und auf die Generationenverträge. Wir leben in einer älter werdenden Gesellschaft, in Japan etwa gibt es heute schon mehr über 60-Jährige als unter 15-Jährige. Das wird in Europa bis 2030 auch so sein. Für die Sozialsysteme ist das eine enorme Herausforderung.
Und für die Automobilindustrie?
Ebenso. Unsere Klientel auf den Weltmärkten ist sehr heterogen. So sind unsere Kunden zum Bei-spiel in Westeuropa über 50 Jahre jung und in Chi-na gerade einmal etwas über 30 Jahre. Miteinher geht eine starke Urbanisierung. Wir werden inter-modale Lebenswelten sehen, wo das Wohnen, das Arbeiten und die Freizeit miteinander verschmelzen. Das stellt uns vor neue Herausforderungen, bietet jedoch gleichzeitig enorme Chancen und er-öffnet ein ganz neues Angebotsspektrum für die individuelle Mobilität.
Unter all diesen Gegebenheiten, Veränderungen und Unsicherheiten war es wohl nie herausfordernder, CEO einer grossen Automarke zu sein.
Es ist in jedem Fall eine spannende Aufgabe! Die individuelle Mobilität bleibt auch in Zukunft ein wesentlicher Treiber einer prosperierenden und modernen Gesellschaft. Gleichzeitig wissen wir, dass sich der Lebensstandard in den nächsten Jahren auf der Welt durchschnittlich verdoppeln wird. Nehmen Sie Indien, wo sich derzeit sehr schnell ei-ne neue Mittelschicht entwickelt.
Was bedeutet das für Škoda?
Für jeden Kunden das passende Angebot zu entwickeln! Das tun wir zum Beispiel mit unserem In-dia-2.0-Projekt. Bereits nächstes Jahr geben wir auf der Auto Expo in Delhi einen konkreten Aus-blick auf unser India-2.0-Modellportfolio.
Müssen sich Autobauer im Zeitalter von Seamless Mobility, wo jeder Verkehrsteilnehmer je nach Streckenabschnitt das Gefährt wählt und nutzt, das für ihn am zielführendsten und effizientesten ist, auch kannibalisieren, um zu überleben? Müssen Sie also auch Kooperationen eingehen, die einst undenkbar gewesen wären?
Es wird ja nicht nur das Auto neu erfunden. Im Zuge der Digitalisierung finden Veränderungen in allen Lebensbereichen statt. In der Tat wird das Auto künftig zum rollenden Smartphone und damit neben Wohn- und Arbeitsort zum perfect third place, also zum perfekten dritten Lebensraum. Sie werden im Auto viel mehr Zeit verbringen als noch vor wenigen Jahren. Diese Technologien basieren jedoch stark auf Big-Data-Ansätzen. Hier holen wir uns Unterstützung ausserhalb der Autoindustrie. Für mich steht fest: Partnerschaften sind ein wichtiger Schlüssel für den Erfolg von morgen.
Bei Kooperationen mit Start-ups ist Škoda sehr aktiv, vorab in Israel. Da ist zum Beispiel Chakratec, das eine Energiespeichertechnologie mit unbegrenzter Anzahl Lade- und Entladezyklen entwickelt hat, oder Anagog, das mit künstlicher Intelligenz aus mehr als 100 Smartphone-Apps mit bis zu zehn Millionen aktiven Nutzern Mobilitätsmuster ableitet. Wieso Israel?
Tel Aviv hat sich neben dem Silicon Valley zum zweitgrössten Hub für Start-ups entwickelt. Dort existiert eine sehr vitale Szene, die sich sehr intensiv mit Cybersecurity beschäftigt, ein für uns sehr wichtiges Feld. Deshalb sind wir dort seit Januar 2018 mit dem Digilab Israel vertreten. Mut, Kreativität, Neugier, Schnelligkeit, unkonventionelle Herangehensweisen und Flexibilität – das verbindet uns mit diesen Start-ups. Zudem ist Škoda seit sieben Jahren stärkste europäische Marke in Israel und viertgrösster Autohersteller im Land mit einem Marktanteil von über acht Prozent.
Wie autonom ist eine Marke wie Škoda im Rahmen eines solchen Mega-Branchen-Gamechangers in einem Konzern wie Volkswagen?
Der Volkswagen-Konzern ordnet die Aufgaben neu und verteilt damit die Verantwortung auf mehrere Schultern. Wir bauen beispielsweise den EA-211-Motor oder das DQ200 nicht nur für Škoda, sondern auch für andere Konzernmarken. Wir sind zum Beispiel verantwortlich für das Human-Machine-Interface im Einstiegssegment. Auf der Marktseite verantworten wir die Konzernaktivitäten beispielsweise in Indien und Russland. Und al-le Marken profitieren von den Synergieeffekten des Mehrmarkenkonzerns und tragen somit dazu selbst auch bei.
Die Branche steckt aktuell in einer Krise. Rückläufige Märkte, dazu der Wandel hin zum E-Antrieb mit grossen Investitionen in Infrastruktur und Humankapital – wie geht Škoda damit um?
Eine Studie des World Economic Forum besagt, dass in den nächsten Jahren durch die Digitalisierung 75 Millionen Jobs wegfallen, jedoch 133 Millionen neue Jobs generiert werden. Von vielen dieser neuen Berufsbilder kennen wir heute noch nicht einmal die genaue Bezeichnung. Wir bei Škoda starten deshalb ein grosses Weiterbildungs-programm und investieren in den kommenden Jahren jährlich 40 Millionen Euro, um unsere Beschäftigten auf neue Aufgabenfelder vorzubereiten.
Derzeit sind weltweit 1.4 Milliarden Autos zugelassen. Experten rechnen mit einer Zunahme auf weit über zwei Milliarden bis 2050. So schlecht kann die Situation der Branche doch nicht sein?
Die Wirtschaft verläuft immer zyklisch. Experten gehen davon aus, dass dieses Jahr weltweit wieder rund 80 Millionen Autos produziert und verkauft werden und sich diese Zahl aufgrund des wachsen-den Bedürfnisses an individueller Mobilität bis 2030 auf rund 100 Millionen steigern wird. Aller-dings mit sehr unterschiedlichen Segmententwicklungen und Geschwindigkeiten in den jeweiligen Märkten. Dennoch haben wir vor, uns von diesem Kuchen ein ordentliches Stück abzuschneiden.
Letzte Frage: Welcher Antrieb entwickelt sich in den nächsten Jahren wie stark?
Meine Glaskugel ist auch nicht grösser als die der anderen. Wenn wir uns nur den Reifegrad anschau-en, wird sich der batteriegetriebene Elektroantrieb – neben Benzin, Diesel und Erdgas – über die nächsten zehn Jahre am ehesten durchsetzen. Ob in Hybridform oder vollelektrisch, bestimmt auch das Marktangebot. Das Thema Brennstoffzelle und Wasserstoff ist in Zukunft eine hochinteressante Alternative, jedoch erst, wenn Wasserstoff regenerativ hergestellt werden kann und eine leistungsfähige Infrastruktur zur Verfügung steht.
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