Fünf grelle Leuchtdioden, 8500 Umdrehungen: Alarmstufe rot! Im Cockpit blitzt, flammt und blinkt es just vor dem Drehzahlbegrenzer wie in einem Kommandoraum kurz vor der Reaktorkernschmelze. Die Power des 6.5-Liter-V12-Aggregats ist unbeschreiblich, gar galaktisch. Die 800 PS torpedieren die 1525 Kilogramm schwere Rakete auf vier Rädern in nur 2.9 Sekunden auf 100 km/h. Diese unglaubliche Traktion bei 718 Nm Drehmoment, welches das Doppelkupplungsgetriebe auf die Hinterachse hämmert, ist durchaus nicht selbstverständlich. Umso schöner, dass ich im Cockpit des Ferrari 812 Superfast Platz nehmen durfte – hinter dem Lenkrad eines heiligen Italieners.
2500 Euro und ein Ferrari
Wie es sich anfühlt mit einem Ferrari in der grünen Hölle des Nürburgrings über den Asphalt zu donnern? Nun, wenn es bei der roten Göttin nicht funkt, dann sollte man vielleicht das Hobby wechseln. Das haben sich die Teilnehmer der von Ferrari organisierten Esperienza Nordschleife auch gefragt und sich bei ihrem deutschen Ferrari-Händler für dieses Erlebnis angemeldet. Wer einen Ferrari, 2500 Euro und den Mut hat, auf der Nord-schleife zu fahren, ist für den zweitägigen Event qualifiziert. 17 Kundenfahrzeuge kamen auf den Nürburgring, lediglich ein 458 Speciale stammt aus der Schweiz. Der grösste Teil der aus Maranello (I) stammenden Supersportler waren 488er, darunter auch drei Pista-Modelle, welche sich durch etwas mehr Leistung und eine verbesserte Aerodynamik vom Standard-488er abheben. Die Gruppen wurden in drei Kategorien eingeteilt. Je nach Erfahrung und Selbsteinschätzung konnten sich die Besitzer nach eigenem Ermessen einteilen. Angeleitet von Instruktoren – einschliesslich mir – ertönten Informationen wie Ansagen zu Brems- und Einlenkpunkten über Funk direkt in die Cockpits. Ferrari stellte uns fünf Stück der Vorserie des 812 Superfast zur Verfügung. Mit der Nordschleife ist nicht zu spassen, die Verantwortung der Instruktoren ist hoch. Denn es gibt bei solchen Veranstaltungen immer wieder Teilnehmer, die sich überschätzten oder etwas übermütig werden und deshalb höflich, aber bestimmt gebremst werden müssen.
Ein Apotheker im Rausch
Apothekenbesitzer und Ferrari-Kunde G.S. wurde auch gebremst, allerdings, weil er sich an seinem 812 einen Plattfuss holte. «Man wird schnell euphorisch, das Adrenalin schaltet gewisse Regionen im Verstand aus, es ist wie ein Rausch!», erklärte der Deutsche. Ich kann G.S. durchaus verstehen. Der 812er im Grenzbereich ist kein hinterhältiger Typ und auch kein sturer Ideallinienverfechter. Die Allradlenkung ist phänomenal, der 812 ist ein wahrer Kurvenliebhaber und lässt sich fahren, als wüsste er bereits im Voraus, wo sein Herrchen ihn hinführen will. Interesse geweckt? Apotheker S. ist dem Ferrari-Virus zum Opfer gefallen: «Ich habe mir gerade vor einigen Tagen den neuen SF90 Stradale mit 1000 PS bestellt. Ferrari schafft es immer wieder, noch einen drauf zu setzen!» Der 812 Superfast – zum Einstandspreis von rund 330 000 Franken – ist bereits restlos ausverkauft. Die letzten Exemplare werden voraussichtlich im Jahr 2022 vom Band rollen, bevor das Nachfolgemodell produziert wird. Wer dennoch ein Exemplar ergattern will, muss noch tiefer in die Tasche greifen: 400 000 Franken sind nötig, wenn man mit seinem eigenen 812 mit Tempo 340 über die Döttinger Höhe rauschen will. Unglaublich, zu welchen Preisen die Fahrzeuge im Internet angeboten werden. Bei meinem Selbstversuch schaffte ich 310 km/h. Immerhin: Die aktuellen GT3-Autos beim 24-Stundenrennen auf dem Nürburgring sind bei Tempo 270 km/h bereits am Limit, zur gleichen Zeit schaltet man im 812 in den siebten Gang und freut sich, dass bald die Zahl 3 ganz vorne auf dem digitalen Tacho steht. Apropos digital: Die Beifahrerseite wird durch ein kleines Display im Armaturenbereich ergänzt, so kann der Co-Pilot immer den aktuellen Gang, Geschwindigkeit oder bei Be-darf auch das Navi ablesen.
Vettel & Leclerc
Nach zahlreichen, zum Glück unfallfreien Runden auf der Rennstrecke ging es nach Bonn, wo die Ferrari-Besitzer abends zum Gala-Dinner geladen waren. Mit von der Partie war auch Francesco Bianchi, Europas Verkaufschef von Ferrari. Er präsentierte am folgenden Tag den neuen SF90 Stradale auf dem Grand-Prix-Kurs des Nürburgrings. Es gab aber noch weitere prominente Gala-Besucher: Ferraris Formel-1-Piloten Sebastian Vettel und Charles Leclerc liessen sich fotografieren und und unterhielten sich mit den Gästen. Ferrari bringt der Kundschaft viel Wertschätzung entgegen, der Trackday war somit auch neben der Strecke ein unvergessliches Erlebnis.