Die IAA (Internationale Automobil Ausstellung) in Frankfurt (D) hat auch schon bessere Zeiten gesehen. Zuhauf haben dieses Jahr Hersteller mit klingenden Namen abgesagt. Bereits am Genfer Automobilsalon vom März 2019 hatten zahlreiche Autohersteller auf eine Teilnahme verzichtet. Dieser Trend setzt sich nun fort. Die deutsche Automobilbranche durchläuft eine schwierige Phase, und das hat Auswirkungen, auch auf die Schweizer Zulieferer, von denen es rund 570 Firmen gibt und die 34 000 Mitarbeiter beschäftigen sowie einen Umsatz von über 32 Milliarden Franken erwirtschaften. Die Lage der Schweizer Autozulieferer hängt stark von der Situation in Deutschland ab. «Wenn Deutschland hustet, hustet auch die Schweiz, denn die Schweiz ist stark vernetzt mit unserem nördlichen Nachbarn», sagt Anja Schulze, Professorin für Technologiemanagement an der Universität Zürich. Das ist auch der Grund, weshalb die meisten Zulieferer in der nördlichen Hälfte der Schweiz zu Hause sind. Schulze nahm in einer Studie, die Anfang 2019 veröffentlicht wurde, die Schweizer Automobilindustrie unter die Lupe und attestierte ihr damals einen guten Allgemeinzustand. Die vorgelegten Zahlen stammen allerdings aus dem Jahr 2018. Ob sie heute ohne Abstriche immer noch gelten? Anja Schulze möchte sich dazu ohne Kenntnis der jüngsten Zahlen nicht äussern.
Lage ist angespannt
Diese Rolle übernimmt Daniel Burch, Geschäftsführer der Fachgruppe Automotive bei Swissmem (Verband der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie), in der rund 50 Unternehmen aus dem Autozuliefererbereich angesiedelt sind. «Die momentane Lage der Schweizer Autozulieferer ist angespannt, und das dürfte auch im kommenden Jahr so bleiben. Erst im Jahr 2021 erwarten wir einen Aufschwung», fügt er am Rande der Pressekonferenz von Swissmem hinzu. Die Gründe da-für lägen in einem Rückgang der Verkäufe der deutschen Hersteller. In wichtigen Märkten wie in China oder in den USA habe sich der Absatz zu-rückgebildet. Hinzu komme die Unsicherheit bezüglich der Elektromobilität. Indes seien nicht alle Zulieferer bei einer Veränderung des Antriebskonzepts in gleichem Masse betroffen. Das hänge davon ab, was die betreffende Firma herstelle. Im Weiteren hingen die Auswirkungen des zurzeit starken Schweizer Frankens davon ab, wo produziert werde. Werde beispielsweise in der Nähe des betreffenden Autoherstellers produziert, spiele die Höhe des Frankens keine entscheidende Rolle.
Oetiker blickt positiv in die Zukunft
Die Aussagen von Swissmem-Mann Burch decken sich in etwa mit den Antworten von angefragten Zulieferern. So bezeichnet Markus Hänzi, Executive Director EMEA bei der Firma Oetiker, einer Familienfirma in Horgen ZH, die mit über 1900 Mitarbeitern in mehr als 25 Ländern qualitativ hochwertige Klemmen, Schellen, Ringe, Bänder und Quick Connectors für Fahrzeuge produziert und vertreibt, die jetzige Lage als volatil. In Europa sei die Situation für Oetiker noch recht stabil, hier sei dieses Jahr der Umsatz gegenüber 2018 nur um zwei Prozent zurückgegangen, während er sich in den USA im gleichen Zeitraum um zehn Prozent reduziert habe. Aber für die nächsten Jahre wagt Hänzi keine Prognose. Die allgemeine Wirtschaftslage sei vom Handelsstreit zwischen den USA und China belastet, zusätzlich komme der Wechsel vom konventionellen Antrieb zum Elektroantrieb hinzu. Trotz-dem blickt Hänzi positiv in die Zukunft. Weniger Sorge bereitet ihm der Schweizer Franken, da Oetiker durch lokale Produktionsstandorte die Währungsrisiken klein halten kann. Eines ist für ihn klar: «Die Mobilität in der Gesellschaft wird zunehmen.» Was per se eine Chance für anpassungsfähige Unternehmen ist.
Autoneum ist auf Kurs
Nach Angaben der Kommunikationsverantwortlichen des Winterthurer Autozulieferers Autoneum, Anahid Rickmann, konnte die Firma trotz eines Einbruchs im weltgrössten Automobilmarkt China um über 13 Prozent und eines Rückgangs der Produktion in Deutschland um zehn Prozent den Umsatz um zwei Prozent steigern. Eine Marktbelebung im zweiten Halbjahr 2019 erwartet Rick-mann jedoch nicht. Wie alle Fahrzeughersteller und Zulieferer habe Autoneum mit dem konjunkturellen Gegenwind zu kämpfen. So hätten «operative Ineffizienzen» in zwei US-Werken die Profitabilität des Konzerns stark belastet. Doch als Markt- und Technologieführer im Wärme- und Akustikmanagement für Fahrzeuge verfüge Autoneum, so Rickmann, über ein breites Produktportfolio mit innovativen Komponenten. Das stimme positiv. Erhöhte Anforderungen stelle beispielsweise der Übergang vom Verbrennungs- zum Elektromotor. So stünden durch den Wegfall des Antriebsgeräusches bisher übertönte oder neuartige Lärm-quellen wie Lüfter, Pumpen oder elektronische Antriebselemente stärker im Fokus. Gleichzeitig bräuchten Elektrofahrzeuge aufgrund des vergleichsweise hohen Batteriegewichts eine stärkere Reduktion des Gewichts durch den Einsatz von Leichtbaukomponenten. Was den Schweizer Franken angehe, sei Autoneum mit 55 Produktionsstandorten weltweit von dessen Auf und Ab nur bedingt betroffen. Allerdings sei die Frankenaufwertung im einzigen Schweizer Werk in Sevelen SG, wo Komponenten für Automobilhersteller im Euroraum produziert werden, schon spürbar.
Feintool will weiter wachsen
Das in Lyss BE domizilierte Technologieunternehmen Feintool, spezialisiert im Bereich Feinschneiden, blickt gemäss den Aussagen seiner Mediensprecherin Karin Labhart auf ein durchwachsenes erstes Halbjahr 2019 zurück, war doch ein leichter Umsatzrückgang zu verzeichnen. Das zweite Halbjahr 2019 dürfte anspruchsvoll bleiben. «Dennoch erwartet Feintool im Geschäftsjahr 2019 ein nachhaltig positives Nettoergebnis», ergänzt Labhart. Die Gründe für die jetzige Situation ortet sie in den konjunkturellen und politischen Unsicherheiten des Marktumfelds. Nach Angaben des Ver-bands der deutschen Automobilindustrie ging der Absatz weltweit zurück. Der Absatz im chinesischen Markt reduzierte sich gar um 14 Prozent. Dazu kämen die Diskussionen über die Zukunft des Verbrennungsmotors oder über Elektrofahrzeuge und ganz allgemein darüber, wie sich die Mobilität entwickeln solle. Das wirke sich auf die Branche und auch auf das Verhalten der Marktteilnehmer aus. Bei Feintool ist man überzeugt, dass das Unternehmen in den kommenden Jahren weiter wachsen werde. Allen Herausforderungen zum Trotz.
Experten diskutierten in Bern über die Mobilität der Zukunft
Es war eine geballte Ladung an Denkanstössen, neuen Sichtweisen, Anregungen, die vergangene Woche in den Räumen der Berner Expo auf die Teilnehmer niederprasselte. Themen wie automatisiertes und vernetztes Fahren, E-Mobilität, neue Parkierungslösungen, Förderung der E-Mobilität im Strassen-ÖV, Strassen als Lebensräume, Umsatteln aufs Velo, Herausforderungen der Verkehrsplanung im ländlichen Raum und viele andere Probleme wurden erörtert. Namhafte Experten aus dem In- und Ausland nahmen an dieser Tagung teil.
Mobility Pricing wird kommen
Jürg Röthlisberger, Direktor des Bundesamts für Strassen (Astra), stellte sein Referat unter den Ti-tel «Mehr Effizienz für die mobile Schweiz» und erklärte anhand von Annahmen, wie sich der Verkehr in den nächsten 20 Jahren voraussichtlich entwickeln werde. So erwarte man einen Verkehrszuwachs im öffentlichen Verkehr (ÖV) um 50 Prozent bis zum Jahr 2040 – um über 30 Prozent im Langsam- und um knapp 20 Prozent im Individualverkehr. Gleichzeitig werde die Zahl der älteren Menschen markant zunehmen. Röthlisberger gab sich überzeugt, dass Digitalisierung und Elektrifizierung die Mobilität in Zukunft noch sicherer, verträglicher, verfügbarer, preiswerter, effizienter und multimodaler machen würden. Das beginne schon bei der Fahrausbildung. Bereits heute lernten 90 Prozent der Fahrschüler das Fahren auf ei-nem Auto mit Automat. Das habe den Vorteil, dass sie sich umso intensiver dem Verkehr widmen könnten. Carsharing und -pooling gewännen an Bedeutung und Mobility Pricing werde nach dem Prinzip «Pay as you use» realisiert werden. Eine effizientere Nutzung der Verkehrsfläche werde schon heute angestrebt – mit Wechselsignalen, Geschwindigkeitsharmonisierung oder etwa Rechtsvorbeifahren auf Autobahnen. Hinzu komme die zusätzliche Verkehrsfläche durch die Pannenstreifenumnutzung, wie sie auf der A1-Umfahrung von Lausanne bereits heute geschieht. Schliesslich befürwortet Röthlisberger die Benutzung der Assistenzsysteme zur Erhöhung der Verkehrssicherheit.
Risiken sind nicht auszuschliessen
Markus Maurer, Professor an der Technischen Universität Braunschweig (D), vertrat die Auffassung, dass den autonomen Fahrzeugen Risiken innewohnen, welche sich nicht eliminieren liessen, weil man nicht alle erdenklichen Situationsmomente schon zum voraus berechnen könne. Wann etwa muss das Auto die Spur wechseln, und was werden die anderen Autos tun? Das wisse man nicht. Das bedeute, es geschähen auch beim autonomen Fahren Unfälle. Barbara Lenz, Institutsleiterin am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, vertrat die Ansicht, der Klimawandel beeinflusse die Mobilität. Bei Hitze werde der Verkehr zu- und bei Schnee und Regen abnehmen. Werde das Wetter extrem, so Lenz, nähmen die Senioren vermehrt das Auto. Auch auf den Güterverkehr wirke sich das auto-nome Fahren aus. Wenn etwa auf diese Weise die Güter bequem von Haus zu Haus transportiert werden könnten, sei davon auszugehen, dass sich der Transport von der Schiene auf die Strasse zurückverlagere. Und das sei ja eigentlich unerwünscht.