Der schönste Tribut

ATEMBERAUBEND Um die Preise zu feiern, die er sich verdient hat, ehrt Ferrari den V8 durch den Namen des F8 Tributo. Eine Hommage mit 720 Feuerwerksraketen!

Der Eintritt ist mit Shorts oder offenen Schuhen nicht gestattet», heisst es. Nein, wir standen nicht vor den Toren des Vatikans, aber auf einem in Italien fast so heiligen Boden, der Ferrari-eigenen Renn-strecke von Fiorano. Respekt und Sicherheitsmass-nahmen sorgen dafür, dass nicht jeder Zugang zum Tempel von Maranello erhält. Und schon gar nicht an diesem Tag, als sich die jüngste Interpretation des Mittelmotor-Coupés – der F8 Tributo – die Ehre gab. Mit dem Namen Tributo (ital. für Ehrung, Hochachtung) würdigen die Verantwortlichen in Maranello den in V-Stellung konstruierten Achtzylinder, der für den Vortrieb sorgt. Der 3.9-Liter-Motor holte schliesslich viermal in Folge den Titel Car Engine of the Year.

Motor aus dem 488 Pista
Der intern F154 genannte Motor leistet im F8 Tributo 720 PS, also 50 PS mehr als im abgelösten 488 GTB. Was für ein Zufall, das ist genau die gleiche Leistung, die sein schärfster Konkurrent McLaren 720S in die Schlacht einbringt (AR 35/2019). Aber in Tat und Wahrheit kam die V8-Maschine bereits auf 720 Pferdchen, und zwar in der für die Renn-strecke gebauten Version 488 Pista. Das Studium des Datenblattes bestätigt die Vermutung: Der Muskelprotz im F8 Tributo ist bis auf zwei kleine Abweichungen mit dem Motor des 488 Pista identisch. In der neusten Ausführung steht das höchste Drehmoment von 770 Nm bei 3250/min an (statt bei 3000/min). Weiterer Unter-schied: Die strengeren Umweltvorschriften machten erstmals den Einbau eines Partikelfilters notwendig (s. Artikel rechts).

Erinnerungen an Legenden
Die Aerodynamik wurde weiterentwickelt, auch wenn der Auftritt – den Beschwörungen von Ferrari zum Trotz – mehr an ein tiefgreifendes Facelifting als an eine komplette Neuentwicklung erinnert. Das heisst nun aber nicht, dass dem F8 Tributo sein ganz eigener Stil abginge. Der Bolide ist auf den ersten Blick als Neuheit zu erkennen, und was für eine höllisch verführerische! Sehen wir uns nur schon die Form der Lexan-Heckscheibe an, welche in einer gelungenen Anspielung an den legendären F40 in die aufgereihten Lüftungsschlitze übergeht. Oder das Comeback der vier runden Rückleuchten, wie man sie seit dem 458 Italia von 2009 nicht mehr gesehen hat. Auch wenn die Front des F8 Tributo nicht so sauber gezeichnet ist wie beim F355, so tut sie sich umso mehr durch ihre Aggressivität hervor; unser Blick wird durch ihre Klammerform und durch die kräftigen Lufteinlässe in den Flanken geradezu hypnotisiert. Die Strassenpräsenz ist ungemein markant, was nicht selbstverständlich ist, denn bei Ferrari muss die Form immer dem Diktat der Aero dynamik folgen und eine gute Hitzeabführung des Motors garantieren (s. Artikel rechts). Wir wussten diese Leitlinien besonders zu schätzen, wurden während unserer Testfahrten auf der Rennstrecke von Fiorano doch leistungsmordende 35 Grad gemessen.

Leichtfüssig
Das Einsteigen bietet auch mit Schutzhelm keine Mühe, die Fahrerposition ist fast perfekt. Nur das Lenkrad könnte einige Zentimeter näher liegen, und idealerweise hätten die Sitze noch etwas längere Kissen zur besseren Stützung der Oberschenkel. Fuss auf die Bremse, mit dem linken Daumen den Anlasserknopf gedrückt. Die acht Töpfe er-wachen mit einem herzergreifenden Grollen zum Leben. Wir fahren vorsichtig aus der Boxenstrasse heraus, bevor wir dem V8 freien Lauf lassen. Acht Zehntelsekunden später – wenn der Motor auf die Gaspedaländerungen reagiert – ändert sich der Sound des Biturbo-Triebwerks schlagartig. Der Italiener schiesst wie entfesselt voran, aber nicht brutal wie ein Rugbyspieler, sondern leichtfüssig wie Nurejew. Die Drehfreudigkeit beruht auf den Titanpleueln und auf der erleichterten Ausgleichswelle, mit denen das Trägheitsmoment des Motors um 17 Prozent reduziert werden konnte. Bei den Messungen schlägt sich das in einem Sprint von 0 bis 100 km/h in 2.9 Sekunden und auf 200 km/h in 7.8 Sekunden nieder. Auf freier Strecke bedeutet das, dass der Tacho im Nu verrückte Tempozahl-en anzeigt, während die Nadel des Drehzahlmessers, genauso wie die Sicht des Fahrers, zu verschwimmen scheint. Die Kurven kommen im Zeitraffer auf einen zu.
Autsch, wir haben es übertrieben und schiessen zu schnell auf die Schikane zu. Aber nein, Entwarnung, die Bremsleistung ist atemberaubend, der Wagen fährt wie auf Schienen durch die Biegung. Auch die Auslegung des Bremspedals ist ideal, mit kurzen Wegen wie bei einem Rennwagen. Und die Lenkung? Die geringste Drehung genügt, um den F8 Tributo zum blitzschnellen Richtungswechsel zu veranlassen, der Grip der Vorderräder scheint nie abreissen zu wollen, sie folgen mit äusserster Präzision der vorgegebenen Linie. Das schafft Vertrauen, wir zögern nicht, Gas zu geben. Die Hinterachse liegt wie festgesaugt auf der Piste. Will der Fahrer einmal zu viel des Guten, sind die gekonnt abgestimmten elektronischen Heinzelmännchen da, Schlimmeres zu verhüten. Per Manettino kann man den Modus «CT Off» wählen, dann lässt das System auch einen Drift zu.

Massgeschneidert
Aber am meisten fasziniert der F8 Tributo mit seinem natürlichen Fahrverhalten. Der Bolide scheint die Gedanken des Fahrers lesen zu können. Die telepathische Verbindung gibt einem das Gefühl, in Tempobereiche vordringen zu können, die man nie für möglich gehalten hätte. Das ist diese eine Eigenschaft, die nur wirklich aussergewöhnliche Autos bieten. Hat man die Rennstrecke gemeistert und begibt sich auf den Heimweg, dann gibt sich der F8 Tributo auch lammfromm und verwöhnt die Passagiere mit gediegenem Komfort. Damit schafft er das Kunststück, das Beste des 488 Pista mit echten Alltagseigenschaften unter einen Hut zu bringen. Damit hat es Ferrari einmal mehr verstanden, ein spektakuläres Meisterwerk auf die Räder zu stellen. Der F8 Tributo kostet weniger als der 488 Pista, was auch jene wenigen freuen dürfte, die ihn sich leisten können.


Technische Highlights – auch wegen strengerer Normen

Die spektakuläre Front des F8 täuscht nicht: Sie folgt den strikten Anforderungen der Aerodynamik. Der Tributo nimmt damit die Lösungen neu auf, die bei 488 GTE, GT3 und Challenge angedacht wurden. Dazu gehören etwa die Luftführungskanäle, die nicht mehr in den Flanken enden wie beim 488 GTB. Die Luft fliesst auf den Heckspoiler zu, wird dabei beschleunigt und er-zeugt Druck. Die kürzeren Kanäle verhindern den Druckabfall. Die neu verlegte Strömung erlaubt nicht nur ei-ne grössere Luftmenge, die Positionierung schafft an den Flanken auch mehr Platz für die jetzt grösseren Kühler, die Hitzeabfuhr wird verbessert. Ferrari nahm sich auch der vorne verbauten Intercooler an: Sie liegen jetzt ganz flach. Die Heissluft entweicht durch Schlitze in der Unterbodenverkleidung nach unten und wird auf die Radkästen geleitet. Damit entsteht ein Luftsack, der die Turbulenzen der Radumdrehungen ausgleicht. Die im 488 Pista eingeführten S-Ducts machen auch hier ihre Aufwartung. Der Luftstrom unter dem Frontspoiler wird durch die grosse Öffnung in der Fronthaube gezwungen, beschleunigt und er-zeugt damit mehr Anpressdruck. Der vom 488 Pista übernommene Motor er-fuhr eine Unmenge von Modifikationen. Diese be-treffen natürlich auch die Massnahmen für die strengeren Umweltnormen, wie etwa den Partikel-filter. Der Motorenverantwortliche Nicola Pini meint, der V8 erfülle alle künftigen Normen für «ein Jahrzehnt», ohne auf Hybridtechnik angewie-sen zu sein. Von grösstem Interesse sind die Leichtbau-massnahmen. Titanpleuel und Abgaskrümmer aus Inconel sind für 18 Kilogramm gut. Das ist schon fast die Hälfte der 40 Kilogramm, die der F8 Tributo dem 488 GTB abnimmt. Einige Gramm ent-fallen zudem bei den hohl gegossenen Ansaug-stutzen. «Das erhöht den Luftstrom um zwei Pro-zent, ergibt also zwei Prozent mehr Ansaugluft für den Motor», meint Nicola Pini. «Ein weiterer Vorteil ist die bessere Verwirbelung, mit welcher die Verdichtung im Zylinder erhöht wird. Diese erfolgt jetzt um zehn Prozent schneller als im 488 GTB.»


Keine halben Sachen
Die beiden Turbo erhalten neu Sensoren für die Drehzahlmessung. Die präzisen Daten gehen an die Motorsteuerung und erlauben eine effizientere Aufladung. Nicola Pini erklärt: «Ohne diese Angaben muss man eine Sicherheitsmarge einbauen, weil die Drehzahlen des Laders mathematisch hochgerechnet werden.» Ferrari verwendet jetzt einen Wall-Effect-Begrenzer, der die Benzinzufuhr bei Maximaldreh-zahl schlagartig abklemmt und nicht schon progressiv bei der Annäherung an den roten Bereich reduziert. Der besser berechenbare Turbodruck lässt eine präzisere Auslegung der Drehmoment-kurve bis in den obersten Bereich zu, das Benzin muss nicht vorzeitig gekappt werden. Die Techniker aus Maranello sind sich bewusst, dass die verschiedenen Filter (für Partikel, Katalysatoren) den für Ferrari so wichtigen Sound be-schneiden. Ihre Lösung: Der Hot-Tube-Resonator. Das ist ein Querkanal im Abgaskrümmer vor den Filtern, der die Musik der Mechanik aus Modena pur und freudig erklingen lässt und direkt an die Ohren der Passagiere führt.


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