Wild, frech und oben ohne

Mit seinem Charakter ist der Fünfzylindermotor des Audi TT RS Roadster eine ständige Einladung zur Ausschweifung. Vor allem, wenn seine Lebensäusserungen oben ohne genossen werden können.

Schulmässig betrachtet, ist der Fünfzylinder ein Krüppelmotor», provoziert unser Kollege Martin Wyler, ausgebildeter Ingenieur und seit 50 Jahren bei der «Automobil Revue». Stimmt. Eine ungerade Zylinderzahl bedingt eine asymmetrische Zündfolge, welche für Vibrationen sorgt, die man mit Ausgleichswellen kontern muss. Die Ingolstädter Techniker haben allerdings einiges an Erfahrung mit diesem Motortyp, der 1976 im Audi 100 Einstand feierte. Aber es war der legendäre Audi Sport Quattro von 1981, der den Fünfzylinder unsterblich machen sollte.

Gleiche Leistung
Das Triebwerk im Testwagen hat natürlich so gut wie nichts mehr mit dem berühmten Vorgänger gemein. Es ist hingegen identisch mit dem Motor des RS3 und des TT RS von vor dem Facelifting; Leistung und Drehmoment bleiben gleich. Die einzigen Änderungen am Roadster für das Modelljahr 2019 betreffen das Design. Aber auch wenn die Pressemitteilung von einer «komplett neu gestalteten Front» spricht, muss man die minimalen Unterschiede mit der Lupe suchen. Ja, die senkrechte Unterteilung der Lufteinlässe im unteren Teil der Stossstange liegt jetzt innen statt wie bisher aussen und unterstreicht so optisch den Singleframe-Kühlergrill. Hinten gibt es neu zwei Luftaustrittsblenden unter den LED-Lichtern (Aufpreis OLED 1800 Fr. ), und der Spoiler hat zwei schwarze Flaps. Die Retuschen scheinen umso mehr missraten, als sie in unseren Augen den Hintern des TT RS dicker wirken lassen. Das ändert allerdings nichts daran, dass das Ingolstädter Cabrio auch nach fünf Jahren noch ein Blickfänger ist. Die grösseren Radausbuchtungen betonen die Macho-Flanken, die Scheinwerfer blicken noch schärfer drein, die Strassenpräsenz ist markant. Trägt der TT RS Roadster dann auch noch Rot wie der Testwagen, dann fallen die Insassen – zumal mit offenem Dach – auf wie Rockstars im Kloster. Der Innenraum des TT RS macht ebenfalls ungeniert auf Kontinuität. Fortschritte findet man beim modernisierten MMI-Infotainment, das nun natürliches Sprechen erkennt. Ein eigener Bildschirm bleibt ihm aber versagt, die Anzeige ist in den Instrumententräger integriert. Das bringt den Vorteil eines von Tablets verschonten Armaturenbretts, ergonomisch günstig ist die Lösung aber nicht. Es braucht einige Gewöhnung, bis der Fahrer die Informationen von Armaturen und MMI auseinanderzuhalten versteht. Audi verdient sich zudem eine Gelbe Karte für den Preis: Das Infotainment-Pack kostet 3750 Franken extra. Bei einem Auto mit einem Grundpreis von 91 400 Franken ist das durchaus happig. Davon einmal abgesehen, gefällt die Anzeige des MMI mit hoher Auflösung, schönen Grafiken und vielen Funktionen. Ansonsten holt der Wagen nur Bestnoten. Die Materialien sind von bester Qualität, die Einstellungen sind tadellos. Die Herren der Ringe bestätigen sich einmal mehr als Meister der Innenräume. Das gilt auch für die hervorragenden, bestens stützenden Sitze. Nur die Fahrerhaltung ist nicht ideal: In einem Sportwagen will man mit gestreckten Beinen nahe der Fahrbahn sitzen, im TT RS thront der Fahrer eine Spur zu hoch.

Die Bestie erwacht
Aus dem Armaturenbrett reckt sich uns verführerisch das herrliche Lenkrad entgegen. Es ist unten abgeflacht, halb mit Leder, halb mit Alcantara bezogen, in die Speichen integriert ist der Schalter für die Fahrmodi sowie der rote Startknopf. Daumen drauf, und der Turbo-Fünfzylinder erwacht mit einem furchterregenden Aufheulen zum Leben. Das Standgas pulsiert ungeduldig und spornt den Fahrer an, vorwärts zu machen. Wir halten uns noch etwas zurück, die Bestie im Motorraum mit Benzin zu füttern, bis sie etwas aufgewärmt ist. Auch die elektrischen Wächter halten sie an der kurzen Leine: Vor dem Erreichen der Betriebstemperatur setzt der Drehzahlbegrenzer schon bei 5000/min ein, dann lässt er bis 7000/min zu. Endlich signalisiert die digitale Öltemperaturanzeige grünes Licht und wir lassen die Pferdeherde galoppieren. Nach einem leichten Zögern im untersten Drehzahlbereich – das unumgängliche Turboloch lässt grüssen – legt sich der 2.5-Liter-TFSI zwischen 2000 und 5000 Umdrehungen mächtig bis brutal ins Zeug. Der Roadster stürmt fast hysterisch voran, schliesslich reitet er die Riesenwelle seines höchsten Drehmoments von 480 Nm. Im obersten Tourenbereich geht der Fünfer dann noch wesentlich wilder ans Werk, untermalt von Donner- und Heulgeräuschen. So fühlt sich Nervenkitzel an – Achtung, Suchtgefahr! Der Kick wird immer wieder erneuert, denn der Vorwärtsdrang wird durch das blitzschnelle Doppelkupplungsgetriebe mit sieben Stufen praktisch nicht unterbrochen.

Dissonanz
Das Datenblatt bestätigt das Gefühl: 0 bis 100 km/h werden laut Werk in nur 3.9 Sekunden abgehakt. Unsere Messungen ergaben bei heftigem Regen leider nur einen Wert von 4.6 Sekunden. Aber auch unter solchen Bedingungen erwies sich die Launch Control als verblüffend wirksam, der Traktionsverlust war nur minim. Verglichen mit dem überschwänglichen Charakter des Motors scheint das Fahrwerk viel zu brav. Dank des Allradantriebs hat der Wagen immer viel Grip, hohe Kurvengeschwindigkeiten sind leicht zu erreichen. Auch die verschiedenen Fahrmodi – die sowohl die Härte des Fahrwerks als auch das Ansprechverhalten des Motors beeinflussen – ändern sich nicht wesentlich, der deutsche Roadster blieb sich treu. Die Ingenieure haben ihre Pflichtübungen vorbildlich gelöst: Der TT RS Roadster gibt sich im Alltagseinsatz gut erzogen. Er steckt mit seinen adaptiven Dämpfern die Fahrbahnunebenheiten gut weg, die Elektromotoren öffnen das Verdeck in wenigen Sekunden (Funktion bis 50 km/h). Das ausfahrbare Windschott ermöglicht das Offenfahren auch bei Autobahntempo. Selbst der von uns gemessene Verbrauch des Fünfzylinders von 9.4 Liter auf 100 Kilometer geht angesichts der Fahrleistungen absolut in Ordnung. Andererseits wirkt sich die Auslegung als Alleskönner etwas dämpfend auf die Begeisterungsfähigkeit aus, der Wagen weist eine ausgeprägte Untersteuerneigung auf. Dazu kommen noch das nicht ganz scharfe Einlenkverhalten und das Gewicht von 1590 Kilogramm, das dem Kurvenwetzen etwas im Weg steht. Die präzise Lenkung bietet überdies nicht die gewünschte Rückmeldung.

Gesalzene Rechnung
Aber das sind nur kleine Kritikpunkte. Unter dem Strich stellt der TT RS Roadster eine teuflische Versuchung dar. Nur ist die Rechnung wirklich gesalzen: Audi verlangt mehr als 110’000 Franken für den offenen Zweisitzer. Der TT RS Roadster ist damit der teuerste Vertreter der MQB-Plattform, die man auch etwa in einem Seat Leon für um die 20 000 Franken  findet. Bei solchen Preisen würden wir wenigstens einen adaptiven Tempomat erwarten, der aber auch gegen Aufpreis nicht lieferbar ist. Das ist schade, wird aber Fans des Fünfzylinders kaum davon abhalten, mit dem TT RS zu liebäugeln. Allerdings gibt es für etwa das gleiche Geld bei Porsche einen 718 Spyder mit Mittelmotor und traumhaften Fahreigenschaften.

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