Die Show des deutschen Air-Racers Matthias Dolderer im nach 2011 zweiten Red Bull Race Day auf dem Flugplatz Grenchen SO war überraschenderweise die letzte dieser Art auf der Welt. 2003 lanciert, geht die Serie mit dem Rennen am 8. September in Chiba bei Tokio zu Ende. Red Bull zieht der Serie den Stecker, offiziell wegen mangelnden Interesses. «Das ist ein sehr einschneidender Moment für mich, mein Team und die 500 Personen, die an dieser Serie dranhängen», sagt Dolderer. Der 49-Jährige ist seit 2009 im Air-Race-Zirkus dabei und war 2016 Weltmeister. Air Race – das ist die Formel 1 der Lüfte, die schnellste Rennserie der Welt.
Voll im Tunnel
Wenn man knapp über dem Boden angeschossen komme
und ein Tor anpeile, sei das, «wie wenn du mit dem Auto mit 400 km/h in die Garage
reinfahren würdest», sagt Dolderer. Die aufblasbaren Air Gates sind 20 Meter hoch
und stehen in einem Abstand von zehn bis 14 Meter zueinander. Links und rechts
der Flügelspitzen der extrem wendigen und stabilen Flieger verbleiben fünf bis zehn
Zentimeter. Leicht nachzuvollziehen, wie eng das wird – und fürs Auge sieht es
noch viel enger aus. Zumal im Gegensatz zum Motorsport auch der Wind eine wichtige
Rolle spielt. «Wenn der Wind plötzlich von der anderen Seite bläst, ist das ein
völlig anderes Rennen. Man kann sich das vorstellen, wie in einem Fluss zu schwimmen.
Je nach Strömung wird man mehr oder weniger abgetrieben.» Während des Rennens, sagt
Dolderer, sei man daher derart in einem Tunnel, dass man nicht mehr wisse, in welcher
Stadt man gerade sei, wie viele Menschen da seien oder woher man komme. Um diese
Fokussierung zu trainieren, spielt der Pilot mit dem aggressiven Flugstil Tischtennis,
Badminton, Tennis, jongliert oder fährt Ski, Motorrad oder Bike. «Ich bin aber
auch super gern im Wald. Der Wald gibt mir Ruhe, Kraft und Energie.» Doch auch schnell
Auto fahren ist für den 49-Jährigen aus dem süddeutschen Ochsenhausen «kein Problem».
Selber sass der gelernte Industriekaufmann, der auf dem Flugplatz seines Vaters
aufgewachsen ist, schon im Rahmen des Audi TT Cup und der Mini Challenge am Steuer.
Als Beifahrer chauffierte ihn einst DTM-Meister Marco Wittmann über den Nürburgring.
«Ich muss aber ehrlich zugeben, dass ich mir von dieser Taxifahrt etwas mehr erhofft
habe», erinnert sich Dolderer. Tja, wer so krass wie er durch enge Tore jagt und
Monster-G-Kräften ausgesetzt ist, für den sieht das auf der Strasse mit Tempo 250
noch ziemlich friedlich aus. «Aber ich habe natürlich keine Chance gegen Toppiloten
am Steuer», sagt Dolderer. Stichwort Toppilot: 2007 flogen Michael Schumacher und
dessen Kinder Mick und Gina als Passagiere mit Dolderer mit. Und wie hat sich der
erfolgreichste Formel-1-Fahrer aller Zeiten im Formel-1-Flieger gemacht? «Er war
einer meiner talentiertesten Passagiere. Man musste ihm nur sagen, was er tun soll,
und eine Viertelstunde später konnte er fliegen.» Mit den G-Kräften, egal ob negativ,
positiv oder vertikal, hatte Schumacher ohnehin keine Probleme, auch wenn diese
deutlich über jenen der Formel 1 liegen.
Mit den Sternchen spielen
Drückt man in einem normalen Auto aufs Gaspedal, wirken zirka 0.3 g. Einen Formel-1-Piloten, der den Helm vergisst und dem ein Stäubchen ins Auge fliegt, das eine Träne zur Folge hat, störte diese Träne nur bis zur nächsten Kurve. Beim Anbremsen reichte die Adhäsionskraft des Wassers nicht mehr aus, und die Träne würde aus dem Auge nach vorne geschleudert. Ein Formel-1-Wagen fährt mit bis zu 5 g durch Kurven, normal wirken 3.4 bis 3.6 g Querbeschleunigung. Ein Kampfjetpilot muss kurzzeitig 8 g aushalten. Beim Air Race reichen 0.4 Sekunden, um die Belastung von 1 auf 12 g zu steigern. Normalsterbliche sähen nur kurz ein Sternenmeer, ehe sie via Blackout ins Reich der Träume abtauchen würden. Allein: «Man gewöhnt sich mit der Zeit an die Belastung», sagt Dolderer. Die Muskeln hätten eine Art Memoryfunktion, um sich einzuprägen, wann Höchstleistung angesagt sei. Die beste Übung sei fliegen, fliegen, fliegen. Rund ein Jahr seines Lebens sass Dolderer schon im Flugzeug. Ehe es jeweils losgeht, spielt er mit den Sternchen, wie er sagt. Er zieht am Steuerknüppel und steigert damit gleichzeitig die G-Kräfte, bis die Sternchen langsam vor dem Auge aufgehen. G-Warm-up nennt man das. «Das ist ein cooles Gefühl», so Dolderer. Wie es für den mit damals 21 Jahren jüngsten Fluglehrer Deutschlands nach dem letzten Rennen in wenigen Tagen weitergeht, weiss der sympathische Dolderer noch nicht: «In Richtung Vorträge, Events, man wird sehen. Ich bin offen für alles, wer etwas weiss …» Freilich hat Mann, der schon alles geflogen ist, was Flügel hat und auch die Verkehrspilotenlizenz besitzt, viel zu erzählen. Etwa, dass ihn LTU einst als zu wenig gut qualifizierte, um ihn als Linienpiloten anzustellen. Eines steht aber fest: Ein Leben ohne Fliegen ist für den Familienvater, dessen 21-jährige Tochter auch fliegt, unmöglich.